Rückzug im Stiftungs-Streit mit Manuela Schwesig: Ex-Ministerpräsident Erwin Sellering will den Vorstandsvorsitz der umstrittenen Klimastiftung aufgeben / dpa

Erwin Sellering tritt als Vorstand von „Klimastiftung“ zurück - Die Verliererin heißt Manuela Schwesig

Erwin Sellering tritt als Vorstand der Stiftung Klima- und Umweltschutz MV zurück. Manuela Schwesig verbucht das offenbar als Erfolg und glaubt, die Stiftung nun auflösen zu können. Tatsächlich ist aber Sellering der Gewinner. Schwesig dürfte nun ein harter Konflikt mit dem Justizministerium bevorstehen, das ihren Plan bereits öffentlich als rechtswidrig bezeichnete. Die Ministerpräsidentin kann in dieser Angelegenheit nur verlieren.

Ulrich Thiele

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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Es bedurfte keiner herausragenden Feinfühligkeit, um die unterkühlte Stimmung zwischen Manuela Schwesig und Erwin Sellering wahrzunehmen. Überraschend gaben Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin und ihr Vorgänger heute bei einer kurzfristig angekündigten Pressekonferenz bekannt, sich im Streit um die sogenannte „Klimastiftung“ geeinigt zu haben. Sellering und die beiden anderen Vorstandsmitglieder wollen den Teil der Stiftung, der die Vollendung der Pipeline Nord Stream 2 zum Ziel hatte, abwickeln und danach geschlossen zurücktreten – was voraussichtlich Ende September der Fall sein wird.

Was die Landesregierung mit dem Rest der Klimastiftung macht, sei dann ihre Sache, so Sellering, der mehrmals betonte, eine Stiftungsauflösung nach wie vor nicht für rechtskonform zu halten. Eine Ansicht, die nicht nur namhafte Stiftungsrechtler teilen, sondern auch das Justizministerium, das als Stiftungsaufsicht einer Auflösung letztendlich zustimmen muss. Sellerings Worte waren eine mehr als deutliche Botschaft an Schwesig. Schon im Februar hatte er ihr implizit „Anstiftung zur Untreue“ vorgeworfen, als sie vom Vorstand die Unterstützung einer Stiftungsauflösung forderte.

Schwesig glaubt, das Recht umgehen zu können

Diese juristischen Probleme sind dann nicht mehr seine Angelegenheit. Mögliche Haftungsrisiken bei einer rechtswidrigen Auflösung kommen nicht auf ihn zu, da er sich nach wie vor dagegen ausspricht und außerdem dann nicht mehr Vorstandsvorsitzender sein wird. Zudem hat Sellering, der die Stiftung als reine Klimaschutzstiftung fortführen wollte, für seine Mitarbeiter gesorgt: Der Zweck des Klimaschutzes wird mit Landesgeld in einer anderen Rechtsform fortgeführt, in der die Mitarbeiter übernommen werden sollen.

Schwesig dürfte den Rücktritt als Erfolg verbuchen; sie scheint davon auszugehen, das Justizministerium dazu drängen zu können, einer Auflösung entgegen der rechtlichen Lage zuzustimmen. Damit droht ihr ein neuer Konflikt, nachdem der Konflikt mit Sellering nun offenbar an sein Ende gekommen ist.

Ein Symbol für Schwesigs Kremlnähe

Ein Höhepunkt in diesem Konflikt war die Pressekonferenz, mit der Sellering im April zum Affront ausholte. Er hatte zu seinem Lieblingsitaliener in der Schweriner Innenstadt eingeladen. An seiner Seite stellte die Bochumer Rechtsprofessorin Katharina Uffmann die Kernbotschaft ihres Gutachtens vor: Die Stiftung Klima- und Umweltschutz MV könne nicht aufgelöst werden. „Damit ist für uns eine Auflösung vom Tisch“, sagte Sellering triumphierend. Er stellte sich damit offen gegen die Forderungen seiner Nachfolgerin und politischen Ziehtochter Manuela Schwesig.

Die umstrittene Stiftung gründete das Land 2021 auf Initiative Schwesigs, um unter dem Deckmantel des Klimaschutzes die US-Sanktionen gegen Nord Stream 2 zu umgehen. Gefördert mit Gazprom-Millionen und, wie inzwischen bekannt ist, maßgeblich diktiert von Putins Staatskonzern, sollte so der Bau der deutsch-russischen Pipeline vollendet werden. Die Klimastiftung ist zum Symbol für Schwesigs Kremlnähe geworden.

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Nun möchte die Ministerpräsidentin sie unbedingt loswerden. Nur ist das rechtlich nicht so einfach möglich. Und Stiftungsvorstand Sellering wehrte sich lange Zeit vehement dagegen. So sehr, dass er sogar einen Bruch mit seiner Nachfolgerin in Kauf nahm. Sellering selbst begründet sein Verhalten mit seiner beruflichen Biografie: Als Jurist sei ihm rechtliche Präzision besonders wichtig – und der rechtliche Rahmen für eine Stiftungsauflösung sei nun einmal eng.

Ein Wessi im Osten

Sellering wurde 1949 im nordrhein-westfälischen Sprockhövel geboren. Nach dem Abitur studierte er Rechtswissenschaften in Heidelberg, Bochum und Münster. Vier Jahre nach der Wiedervereinigung führte ihn seine Laufbahn nach Mecklenburg-Vorpommern, als Richter an das Verwaltungsgericht Greifswald. Im selben Jahr trat er der SPD bei und legte einen steilen politischen Aufstieg hin. Von 2000 bis 2006 war er Justizminister des Landes, anschließend Sozialminister.

Als er 2008 zum neuen Ministerpräsidenten gewählt wurde, trat er ein großes Erbe an. Sein Vorgänger, Harald Ringstorff (SPD), war ein in der Region verwurzelter und beliebter Landesvater, wie er im Buche steht. Sellering, ein Westdeutscher, der wohl auch wegen der dünnen Personaldecke des ostdeutschen SPD-Landesverbands politisch so schnell Karriere machte, setzte auf eine betont ostdeutsche Identitätspolitik. Dazu zählte auch eine demonstrative Russland- und Kremlaffinität, mit der er um Wählerstimmen im linken, postsozialistischen Milieu buhlte.

Er forderte die Angleichung der Ost- an die Westrenten, wies die Kategorisierung der DDR als „totaler Unrechtsstaat“ strikt zurück und schlug nach seinem ersten Wahlsieg mit dem „Russlandtag“ ein neues Kapitel der Ostdeutschen bestens vertrauten, „deutsch-sowjetischen Freundschaft“ auf. Als Präsident Putin 2014 die ukrainische Halbinsel Krim annektierte und Kritik am Russlandtag in Mecklenburg-Vorpommern aufkam, verteidigte Sellering die Veranstaltung: Es sei besser, „Brücken aufzubauen als abzubrechen“. Auch das trug 2016 zu seinem erneuten und souveränen Wahlsieg bei. Allerdings musste er ein Jahr später aufgrund einer Krebserkrankung von seinem Amt zurücktreten. Seine Nachfolgerin schlug er selbst vor: Manuela Schwesig. Ihr war nicht entgangen, wie es Sellering gelungen war, mit der Pflege der ostdeutschen Seele die Wähler an sich zu binden. Als Schwesig im Jahr 2017 in die Schweriner Staatskanzlei einzog, übernahm sie seine demonstrative Russlandnähe. Auch dass sie ihn später zum Vorstandsvorsitzenden der Klimastiftung ernannte, war kein Zufall. So konnte sie von seinem symbolischen Kapital profitieren.

Schwesig sucht Kamikazeflieger

Seit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine fliegt den beiden ihre Gazprom-Connection um die Ohren. Medienberichte über ein zerrüttetes Verhältnis weist Sellering zwar immer wieder zurück, das sei „völliger Quatsch“. Seine Zwischentöne und vor allem seine Taten klingen jedoch anders. Dass Sellerings Stiftung ein eigenes Rechtsgutachten in Auftrag gab, obwohl Schwesig bereits ein Gutachten bestellt hatte, das mögliche Wege zur Auflösung der Stiftung aufzeigen sollte, kann als Ausdruck tiefen Misstrauens gewertet werden.

Allerdings ist das Misstrauen rein juristisch offenbar berechtigt. Denn zunehmend sind Experten zu vernehmen, die an der Seriosität des Schwesig-Gutachtens zweifeln. Ein Grund war auch die existenzielle Bedrohung, die Sellering so lange nicht nachgeben ließ: Wenn die Stiftung rechtswidrig aufgelöst wird, könnte der Vorstand für finanzielle Schäden mit Privatvermögen haften müssen. Schwesig muss nun einen neuen Vorstand berufen, der die Auflösung auf den Weg bringt. Spannend wird die Frage, wer sich auf diesen Kamikazeeinsatz einlässt.

Hinzu kommt: Vergangenen Monat sagte Justizministerin Jacqueline Bernhardt (Linke) im Landtag, die Stiftung sei nicht gemeinwohlgefährdend, und ihr Stiftungszweck verstoße gegen keine Vorschriften, deswegen könne sie nicht aufgelöst werden. Heißt: Eine Auflösung wäre aus ihrer Sicht rechtswidrig. Das Justizministerium als Stiftungsaufsicht müsste also eine Kehrtwende machen und einer Auflösung trotz attestierter Rechtswidrigkeit zustimmen, damit Schwesig ihren Willen durchsetzen kann.

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Jens Böhme | Di., 17. Mai 2022 - 19:43

Sellering und Vorstand treten erst zur Auflösung der Stiftung im September 2022 zurück.

Manfred Westphal | Di., 17. Mai 2022 - 20:56

Sofortiger Rücktritt der ehemaligen SPD-Hoffnungsträgerin ist angezeigt!!!

Ernst-Günther Konrad | Mi., 18. Mai 2022 - 08:18

Nicht nur der Vorstand, auch Manuela Schwesig müssen sofort und gleich zurücktreten. Diese Stiftung diente einzig und allein nur einem Zweck. In Abhängigkeit russischer Geldgeber ein zunächst an sich sinnvolles Projekt, getarnt als Klimaschutzaktion dem Wähler zu verkaufen, obwohl es nur den energiepolitischen Finanzierungszielen Russlands diente.
Nun ist es für Milliarden fertiggestellt und erst "jetzt" erfährt man die Manipulationen des ganzen Vorhabens und dem Volk wird gegenwärtig das Ausmaß der Gasabhängigkeit von Russland mit diesem Krieg klar gemacht.
Deshalb Rücktritt von allen Blendern, Lügnern und Vertuschern heute, sofort und gleich.

Gerhard Lenz | Mi., 18. Mai 2022 - 09:43

so vollmundig den Rücktritt von Frau Schwesig fordern werden, sollten mal eine Nummer zurückschalten.

Die Unterstützung für die Inbetriebnahme von Nord-Stream-2 war doch überwältigend. Ein Einknicken vor den USA bei der Frage der Inbetriebnahme wäre in diesem Forum "Vaterlandsverrat" gleichgekommen - nicht zuletzt sind die USA sowieso ewiger "Bösewicht", wie man immer wieder bei Diskussionen über den Krieg in der Ukraine sieht.

Dagegen waren, ja sind bei manchem noch immer Sympathien für Putin und Russland groß, Handel mit den USA bedeutete auch mehr Unabhängigkeit von den "verhassten Yankees".

Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, hier wesentliche Kritik an Nord-Stream-2 gelesen zu haben.

Im Nachhinein ist man immer schlauer. Hätte Putin nicht den "Schlächter" herausgekehrt, würde durch jetzt ordentlich Erdgas durch die Pipeline blubbern, ohne dass sich jemand (hier) darüber aufregen würde.

Klar, jetzt nutzt man die Gelegenheit: Schwesig ist schließlich Sozialdemokratin...