
- Szenen einer Abnabelung
Beim CDU-Werkstattgespräch arbeitet die Partei unter der Regie von Annegret Kramp-Karrenbauer die Flüchtlingskrise von 2015 auf. Dabei schont sie die Kanzlerin und erstellt einen Maßnahmenkatalog, der die Anhänger versöhnen soll. Aber hat sie dabei die Rechnung mit dem Koalitionspartner SPD gemacht?
Zwei Worte sind es, die es Annegret Kramp-Karrenbauer offenbar besonders angetan haben: „Humanität und Härte“. Sie fallen in dem Expertengespräch am Sonntagabend im Konrad-Adenauer-Haus, der CDU-Parteizentrale in Berlin. Die neue CDU-Vorsitzende und Merkel-Nachfolgerin in diesem Amt wiederholt dieses Plädoyer gleich zweimal während des zweitägigen Werkstattgesprächs, das ihre Partei zu den Themen Migration, Sicherheit und Integration veranstaltet hat – ohne die Bundeskanzlerin. „Humanität und Härte“ müsse die CDU in der Flüchtlingspolitik zusammenbringen, betont Kramp-Karrenbauer am Sonntagabend, und sie betont dies am Montagnachmittag gleich noch einmal. Die Migrationspolitik müsse zwar die Menschenwürde jedes Einzelnen achten, sagt Kramp-Karrenbauer. Dennoch müsse sie auf allen Ebenen konsequent handeln.
„Humanität und Härte“, so könnte also die Formel lauten, mit der die CDU unter Annegret Kram-Karrenbauer versucht, eine Brücke aus der Vergangenheit in die Zukunft zu schlagen und sich in der Migrations- und Flüchtlingspolitik von der Bundeskanzlerin und ehemaligen Parteivorsitzenden abzunabeln. Eine andere AKK-Formel zum Abschluss des Werkstattgespräches lautet: „Wir haben unsere Lektion gelernt.“
Zwei Tage lang trafen sich CDU-Politiker, um die Flüchtlingskrise von 2015 aufzuarbeiten und um sich mit der Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel in den vergangenen dreieinhalb Jahren auseinanderzusetzen. Die CDU will sich selbst finden. Sie will die Gräben überwinden, die Merkels Flüchtlingspolitik in der Partei aufgerissen hat. Und sie will die AfD wieder zurückdrängen, die sich in der Folge der Merkel'schen Flüchtlingspolitik im deutschen Parteiensystem etabliert hat.
Eine konservative Wende in der Flüchtlingspolitik
Im innerparteilichen Wahlkampf um den CDU-Vorsitz hatte Annegret Kramp-Karrenbauer eine solche innerparteiliche Aufarbeitung der Flüchtlingskrise im vergangenen Jahr versprochen. Jetzt löst sie dieses Versprechen ein. Und die Herausforderung für Kramp-Karrenbauer bestand an beiden Tagen darin, dieses einzulösen, ohne allzu lange zurückzuschauen und ohne das Werkstattgespräch in ein Scherbengericht über die Merkel'sche Flüchtlingspolitik münden zu lassen. Denn so viele Merkel-Gegner es in der CDU gibt, so viele Anhänger gibt es auch. Der Prozess der Abnabelung der CDU von ihrer Kanzlerin gleicht also einer Gratwanderung. Zumal die ehemalige CDU-Vorsitzende Merkel noch immer an der Spitze der Bundesregierung steht und ihr die neue CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer irgendwann auch in Regierungsamt nachfolgen will. In der Praxis klingt das dann so: 2015 sei eine „absolute Ausnahmesituation“ gewesen, sagt Kramp-Karrenbauer also zum Abschluss des Werkstattgesprächs, die CDU müsse „alles daransetzen, dass sich sowas nicht wiederholt“. Die Bundesregierung habe seitdem „viel auf den Weg gebracht“, aber man sei noch nicht am Ende, vieles sei „verbesserungswürdig“.
Was das heißt, darin haben die CDU-Politiker und die Experten im Konrad-Adenauer-Haus eine recht konkrete Vorstellung. Die Liste der Spiegelstriche, die sie nach der Beratung in insgesamt vier Arbeitsgruppen präsentieren, ist ziemlich lang. Sie reicht vom besseren Schutz der EU-Außengrenzen über einen besseren Datenaustausch bis zur Ausweitung des Ausreisegewahrsams. Von der Beschränkung des Instanzenweges vor den Verwaltungsgerichten über mehr Sanktionsmöglichkeiten im Asylbewerberleistungsgesetz bis zur Verbesserung von Integrationsmaßnahmen. Die Liste macht unverkennbar: CDU pur würde eine grundlegende Akzentverschiebung in der Flüchtlingspolitik bedeuten, eine konservative Wende. Nur mit dem Koalitionspartner SPD ist diese genauso wenig zu machen wie mit dem Bundesrat, in dem die Grünen eine gewichtige Stimme haben. Man könnte die Liste also auch ein christdemokratisches Wünsch-dir-was nennen.
Die Sollbruchstellen der Koalition
Aber ein Wünsch-dir-was scheint in der Großen Koalition gerade angesagt zu sein. So wie die SPD in der Sozialpolitik ihre politische Eigenständigkeit zu demonstrieren versucht und deshalb umfangreiche Konzepte schreibt, so tut es die CDU in der Flüchtlingspolitik. Am Ende geht es beiden Parteien um innerparteiliche Versöhnung und gleichzeitig um die Profilierung gegenüber dem Koalitionspartner Ob Union und CDU auf dieser Basis noch lange gemeinsam regieren können, wird sich zeigen müssen. Die Sollbruchstellen der Großen Koalition werden zumindest immer sichtbarer.
Ob ein Werkstattgespräch in der CDU zugleich reicht, um die Partei zu versöhnen, daran darf man zweifeln. Denn die Emotionen, die die Partei in den vergangenen Jahren gespalten haben, sitzen immer noch tief. Das zeigt der Schlagabtausch, den sich im Konrad-Adenauer-Haus Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und sein Vorgänger Thomas de Maizière (CDU) liefern. Erst kritisiert de Maizière Seehofer in seinem Buch, aus dem der Spiegel am Wochenende einen Auszug veröffentlicht hat. Dessen Vorwurf des Rechtsbruchs, der sich hinter der Formulierung „Herrschaft des Unrechts“ verbirgt, nennt de Maizière „ehrabschneidend“. Seehofer kontert am Montag. Er nennt die Darstellung seines Vorgängers „objektiv falsch“ und wirft diesem schlechten politischen Stil vor. So zeigt sich: Das Werkstattgespräch ist für die CDU allenfalls ein Anfang. Auf Annegret Kramp-Karrenbauer wartet noch viel Arbeit.