
- Verkapselungen und Entladungen
Nicht nur der rechtsterroristische Anschlag von Halle zeigt: Deutschland steht vor einem heißen Herbst. Gegen Extremismus jedweder Art helfen aber keine Sonntagsreden, sondern kühler Kopf und entschlossenes Handeln. Aber ausgerechnet daran mangelt es
Berlin, Limburg, Halle an der Saale: Zweimal ging es glimpflich aus, einmal ganz und gar nicht. In Halle wurden zwei Menschen ermordet, weil sie zufällig in die Schusslinie eines Mannes gerieten, der ausgezogen war, um Menschen zu töten. Am gestrigen Mittwoch fuhr der Täter – ein Rechtsextremist aus Sachsen-Anhalt – zur Hallenser Synagoge. Er wird gewusst haben, dass die örtliche jüdische Gemeinde, rund 50 Menschen, dort gerade das Jom-Kippur-Fest feierte. Wäre sein Versuch, in die Synagoge einzudringen, erfolgreich gewesen, hätte er ein Blutbad anrichten können. Was geht in solchen kranken Hirnen vor? Wie gedeiht ein derart schlimmer Hass? Und warum wächst an vielen Stellen der Eindruck, in Deutschland blühten wieder die Extreme, gehe wieder einmal die Mitte verloren?
Der Extremist von Halle filmte seine Taten mit einer Kamera, die auf seinem Kopf angebracht war. So hielt es auch der Attentäter im neuseeländischen Christchurch, der im März dieses Jahres rund 50 Menschen in zwei Moscheen ermordete. Auch das Video aus Halle fand man im Internet. Der Täter rief antisemitische Verwünschungen aus. An seinem Motiv besteht kein Zweifel. Der Hass auf Juden trieb den Mann. Ihnen unterstellte der Neonazi, für die „Massenmigration“ verantwortlich zu sein. Mir fehlt, offen gestanden, die Phantasie, wie ein erwachsener, ein in Deutschland aufgewachsener Mensch im Jahr 2019 zur wahnhaften Überzeugung von der jüdischen Weltverschwörung gelangen und sich in diese so fest verkapseln kann, dass er zum Töten bereit ist. Wenn diese Bereitschaft dann zwei unbeteiligte Menschen das Leben kostet, steigert sich die Fassungslosigkeit zur abgrundtiefen Trauer.