
- Politik mit dem Sehnsuchts(w)ort
Die Debatte um ein künftiges Heimatministerium hält an. Doch Häme und Kritik können nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch das links-liberale Lager offener mit dem Thema Heimat umgehen sollte
Der Plan, zukünftig das Innenministerium noch um den zusätzlichen Kompetenzbereich Heimat zu erweitern, stößt auch nach Wochen auf viel Kritik und Häme vor allem im linksliberalen Lager. Dabei könnte der „Heimatminister“ oder nach Seehofer auch eine „Heimatministerin“ eine gute Idee sein. Der Kompromiss der Möchtegern-Koalitionäre aus CDU, CSU and SPD zeigt, dass Politiker beginnen, Gefühle wieder wichtiger zu nehmen.
Vor allem in den Sozialen Medien wurde und wird gegen den Vorschlag polemisiert. Die Sprache der Internetöffentlichkeit mäandert in solchen Fällen üblicherweise zwischen humorvoller Satire und ernster Empörung: „Muss ich mir nun ne Lederhose kaufen?“ wird beispielsweise in einem Tweet gefragt.
Muss ich mir nun ne Lederhose kaufen? #Heimatministerium
— Patrick (@PackoKoelle) 7. Februar 2018
An anderer Stelle wird der Hashtag „#Heimatministerium“ als Beleg dafür gesehen, wie sehr Gedanken und Sprache von rechts nun an Boden gewönnen. Auch ein eigens kreierter satirischer Twitter-Account (@bmhi_bund) war schnell zu finden.
Das #Heimatministerium empfiehlt heute einen Spaziergang im deutschen Wald. Lauschen Sie den Vögeln, halten Sie inne und spüren Sie ihre Heimatverbundenheit.
— Heimatministerium (@bmih_bund) 8. Februar 2018
In der Tat sollte, besonders vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte, Vorsicht geboten sein, wenn es um Begriffe geht, die derartig das Kollektive und Sehnsuchtsorte ansprechen. Und dennoch wirken die Einwände aus linksliberalen Kreisen ein wenig reflexartig. Wenn es um die Empörungsmechanismen im Netz geht, scheinen sich jedenfalls die Lager in Sachen Viralität und Geschwindigkeit in nichts nachzustehen.
Vor allem ein Kritikpunkt wird immer wieder genannt: Derartige Ideen seien Versuche, an die AfD verlorene Wähler anzusprechen. In Wirklichkeit komme man ihnen jedoch entgegen und mache ihre Sprache salonfähig. Dafür gilt vor allem die Personalie Horst Seehofer als Beleg, denn wie kaum ein Zweiter steht der Bayer für eben dieses strategische Erbe Franz Josef Strauß‘. Der hatte bekanntlich von der Union gefordert, sie dürfe rechts von ihr keine Partei zulassen. Das linksliberale Spektrum nimmt diese Angriffsfläche gerne und wohl auch mit einer gewissen Genugtuung an: Immerhin erinnerten Seehofer und die CSU an alte Zeiten, als eben noch Personen wie Strauss für ein antimodernes Lager standen.
Eine andere Union
Doch die Union von damals ist nicht mehr die heutige. Dafür wird sie von außen gelobt, aber vor allem von innen kritisiert. In der Merkel-CDU rumort es kräftig, von einer „Sozialdemokratisierung der CDU“ ist die Rede und von der Basis wird seit längerem eine neue „Debatte um das C“ gefordert. Zweifellos hat sich die Union unter Merkel weiter „modernisiert“. Man will Motor des Fortschritts sein und die Errungenschaften der neuen sozialen Bewegungen eher ausbauen als zurücknehmen. Traditionelle und Konservative fühlen sich unter Merkel wohl tatsächlich ein wenig fremd im eigenen Lager.
Indes ist es seit jeher das große Dilemma des Konservatismus, wie der Historiker Andreas Rödder schreibt, „dass er heute verteidigt, was er gestern bekämpft hat.“ Konservatismus ist, so interpretiert, also nicht unbedingt eine rückwärtsgewandte Idee, sondern kann auch als Methode verstanden werden, mit nicht aufhaltbarem sozialem Wandel irgendwie umgehen zu können. Offenkundig tun sich mit diesem immer mehr Menschen schwer – und das nicht nur in konservativ-bürgerlichen Milieus. In der „Abstiegsgesellschaft“ (Oliver Nachtwey) und dem Zeitalter „sozialer Beschleunigung“ (Hartmut Rosa) werden immer mehr Gruppen zurückgelassen.
Die Gewinner der Modernisierung mögen die voranschreitende Liberalisierung der Gesellschaft als Befreiung oder Standortvorteil empfinden. Doch sowohl im technokratischen Politikverständnis Angela Merkels als auch im Modernisierungsdiskurs der Sozialdemokraten kommen die Verlierer immer weniger vor, die sich eine einfachere Welt wünschen. Als Folge gelingt es den Rechtspopulisten, die behaupten, die Vergangenheit wieder herstellen zu können, immer mehr Lücken der Repräsentation zu füllen – die auch im linken Spektrum entstanden sind.
Heimat für die Linke
Der Soziologe Didier Eribon hat in seinem biografisch geprägten Buch „Die Rückkehr nach Reims“ darüber berichtet, wie seine Heimatstadt, eine einstige sozialistische Hochburg, inzwischen eine des Front National geworden ist. Seine These: Der Aufstieg der sozialistischen Führungseliten hat einen Bruch dieser mit der Arbeiterklasse nach sich gezogen. Aus dieser entwachsen führen sie nun Ämter und Land und sitzen fest im Sattel. Und die anderen blieben salopp gesagt daheim an einem Ort, wohin diese Aufgestiegenen nicht mehr zurückwollen. Eribons Thesen über Frankreich treffen zum Teil auch für Deutschland zu: Auch hier fühlen sich einst Linke zunehmend politisch heimatlos. Die Beschäftigung mit Heimat könnte daher auch für die Linke eine gute Idee sein.
Inzwischen mehren sich daher Stimmen auch innerhalb der Linken, die kritisieren, dass diese den Bruch zwischen Modernisierungsgewinnern und Zurückgelassenen nicht auflöse, sondern sogar noch verstärke. So beispielsweise der slowenische Philosoph Slavoj Zizek, der moniert, dass man links lieber seine „Fetische“ pflege, anstatt die Auswüchse des Kapitalismus anzugehen. Die Linke treibe die Angst vor Kompromissen mit Rechts so sehr, dass sie unnötigerweise Menschen ausschließe, die eigentlich eine kapitalismuskritische Interessensvertretung bräuchten und für diese offen wären.
Indes ist derartige Kritik auch gar nicht so neu: Schon 1935 mahnte der (linke) Philosoph Ernst Bloch, dass die Menschen zu nüchterne, technische Analysen und Herangehensweisen an die Welt als einen Kältestrom empfänden. Gerade auch linke Politik, so Bloch, sollte daher auch so etwas wie einen Wärmestrom im Auge behalten; er meinte damit auch die Gefühle, Erwartungen und Sehnsüchte der Menschen. Eventuell sollte man daher auch im linken Lager der Hinwendung zu emotionalen Themen und Begriffen offener gegenüberstehen.
Offener Heimatbegriff
Nun mögen die Personalie Seehofer und das, was dieser sich unter Heimat vorstellt, manchem missfallen. Aber natürlich wäre auch er als Minister zu einer gewissen Neutralität verpflichtet. Als Minister für Heimat müsste er auch einen Begriff mit Inhalt füllen, der selbst sehr offen ist: Heimat kann daher rechts konnotiert werden, muss es aber nicht. Und auch in der CDU/CSU von heute ist mit „Heimat“ oft etwas Anderes gemeint als die Idylle eines 1950er Jahre-Heimatfilms.
Zwar mag Seehofer in der Tat eine Art kulturelle Hegemonie des bayerischen Way of Life im Auge haben. Doch der Heimatbegriff, auf den Seehofer auch innerhalb seiner Parteifamilie treffen wird, ist kein kulturhomogener. Heimat bedeutet heute zuweilen auch in der Union, eine integrative und auch multikulturelle Leistung erbringen zu müssen: Das zeigt sich etwa am Wandel des Begriffs der Leitkultur – er mag wiedergekehrt sein, doch was heute Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet mit diesem fordert, ist etwas anderes als noch zu Zeiten von Friedrich Merz. Gedacht als Richtlinien für ein gemeinsames Zusammenleben auf laizistischer säkularer Basis plädiert indes sogar der linke Philosoph Zizek für den Begriff.
Was die Aufgaben eines Innen- und Heimatministeriums überhaupt sein werden, wird sich ohnehin noch zeigen. Die Umgestaltung des ganzen Landes nach bayrischem Vorbild ist es sicher nicht. Vielleicht könnte mit Heimat eben jener Ort gemeint sein, in dem sowohl links-progressive als auch Bayern gerne gemeinsam leben. Vielleicht sollte das linke Spektrum sogar eher um die Verstetigung der Idee werben, als sie reflexartig abzulehnen. Mit wechselnden Mehrheiten wäre schließlich auch ein zukünftiger Heimatminister Cem Özdemir oder gar eine Heimatministerin Sevim Dağdelen denkbar. Der notorische Schwabe würde ein derartiges Amt wohl jetzt schon übernehmen, die Duisburgerin müsste man dagegen erst noch bitten.
Cicero-Chefredakteur Christoph Schwennicke war vergangene Woche zu Gast in der Fernsehsendung „Münchner Runde“. Auch dort ging es um das Thema Heimat. Hier können Sie die Sendung nachsehen.