Ein Wahlplakat mit dem Porträt von Bundekanzlerin Angela Merkel (CDU) und der Aufschrift "Erfolgreich für Deutschland" ist am 18.09.2017 in Dresden (Sachsen) nach einer Farbattacke mit blauer Farbe versehen
Schlammschlachten wie in den USA sind im deutschen Wahlkampf unbekannt. Doch es gibt schon erste Würfe / picture alliance

Deutscher Wahlkampf aus Sicht der USA - Ihr habt keine Ahnung vom Showbusiness, oder?

Für unseren amerikanischen Autor wirkt der deutsche Wahlkampf so gedämpft, als würde er unter Wasser stattfinden. Wo sind die lauten Explosionen und bösen Monster wie in den USA? Doch er sieht auch Gemeinsamkeiten. Vor allem wegen einer Partei

Ben Mauk

Autoreninfo

Ben Mauk ist Schriftsteller und stammt aus Baltimore. Seine Artikel erscheinen unter anderem im Harper's Magazine, New Yorker Online, The Guardian und der London Review of Books. Er lebt in Berlin, wo er den Berlin Writer's Workshop gegründet hat.

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Aus der US-Perspektive – der einzigen, zu der wir Amerikaner uns aufraffen können – wirkt der deutsche Wahlkampf so, als hätte er sich in Zeitlupe abgespielt, vielleicht sogar unter Wasser, so gedämpft und leise. Manche haben ihn als langweilig bezeichnet. Das stimmt nicht. Er ist sogar sehr langweilig. Am langweiligsten ist seine Ereignislosigkeit und Vorhersehbarkeit: Wir wissen, dass Angela Merkel im Amt bleiben wird. Wir wissen, dass die AfD die Fünfprozenthürde überwinden wird. Das sind statistische Gewissheiten, anders als der angenommene Wahlsieg von Hillary Clinton im vergangenen November. Die baldigen deutschen Führungspersönlichkeiten müssen eigentlich nur noch über die genauen Prozentzahlen und entsprechende Koalitionen streiten. Das sind differenzierte Problematiken, die Menschen aus einem Land, das den Fünf-Sekunden-Werbespot erfunden hat, kaum nachvollziehen können.

Wir Amerikaner mögen zwar nicht in der Lage sein, mit der deutschen Gesundheitsvorsorge, der Infrastruktur, dem Sozialstaat, der Bildung oder jeder anderen Messlatte einer freien und modernen westlichen Gesellschaft zu konkurrieren. Aber bringt doch bitte irgendwo in Bonn oder Berlin, wo Wahlkampfstrategien besprochen werden, ein Paar Yankees in den Raum. Die würden wissend lächeln. Mit einem Lächeln, das euch sagt: Ihr wisst nicht, wie man so was macht, oder? Ihr habt keine Ahnung vom Showbusiness, oder?

Wahlen sind Wrestling-Spektakel

Das zirkusreife Spektakel des vergangenen Jahres hat uns Amerikaner gelehrt, was unsere atlantischen Nachbarn noch lernen müssen. Nationale Wahlen sind Wrestling-Kämpfe, bei denen sich gemäß der besten Hollywood-Drehbücher wahnwitzige Skandale mit Gewalt mischen: Doppel- und Dreifachagenten, dramatische Schicksalswenden, Psycho-Tricks und Propaganda, inklusive Gastauftritte vom FBI-Chef, russischen Hackern, der Frau eines wegen seiner sexuellen Eskapaden in Ungnade gefallenen Senators und eines siebzigjährigen jüdischen Sozialisten, der die Herzen von Millionen Menschen im mittleren Westen gewann, die dann aber für Donald Trump stimmten.

Wer kann sich bei solch schwindelerregendem Tumult noch daran erinnern, was die Positionen der beiden Kandidaten waren – oder heute sind? Die von Trump zumindest scheinen sich inzwischen wöchentlich zu ändern. Politik hat keinen Platz in einem System, wo die Nachrichtensendungen mit dem neusten Avengers-Film um Zuschauer ringen müssen. Sie müssen deswegen die größten Kämpfe überhaupt versprechen, die lautesten Explosionen und die bösesten Monster, denen zu jeder Pore finsteres Lobbyisten-Geld heraustropft.

Die Wahlen in Deutschland laufen anders ab, klar. Und die meisten Deutschen scheinen auch ein nicht ganz so offensichtlich verkommenes Demokratie-System vorzuziehen. Von der Langeweile einmal abgesehen, tue ich das auch. Die Existenz von fünf oder sechs größeren Parteien, von denen die meisten darauf aus sind, miteinander Koalitionen zu bilden, schließt das amerikanische Narrativ vom Pferderennen aus. Hier gewinnt eine Partei nur insoweit, wie die andere verliert. In Deutschland ist weit weniger Geld im Spiel und strenge Regeln verhindern jene zweijährigen Wahlkampfzyklen, die wir in de USA offenbar aushalten müssen. Die Medien eures Landes sind gefällig und sexscheu, und die Debatten zur Politik sind weniger unverhüllt selbstmörderisch.

Schulz und Merkel als einige Kontrahenten

Es ist ein Klischee, aber trotzdem wahr: Würde man den Mainstream der deutschen Konservativen rechts der Mitte per Fallschrim über den USA abwerfen, bei den meisten sozialen Themen würde er weit links von unseren Demokraten landen. Martin Schulz fokussiert sich hingegen auf Renten und Mietpreisbremse, um sich von Angela Merkel abgrenzen. Dabei könnten seine Worte auch aus dem Mund seiner Kontrahentin kommen, wenn sie statt ihm einem Herausforderer von ganz rechts gegenüber stehen würde. Klar, es spart viel Zeit und Atemluft, wenn eigentliche Gegner sich einig sind.

Dieser Geist der Höflichkeit durchdringt die Diskussionen über Autobahnen und Flughäfen. Merkel selbst bleibt rampenlichtscheu und technokratisch – eine Art Anti-Trump – und ihre Wahlkampfveranstaltungen sind entsprechend abgeschmackt gewesen. Sie strahlt eine müde Weisheit aus, während sie zugleich wenig zimperlich Abkommen verhandelt und sie sich von ihren Widersachern jene Ideen und Programme ausleiht, die ihre gerade eben angesagten Bedürfnisse erfüllen.

Aber es bleibt fernab jenes bewaffneten Mobs bei uns und jenem Präsidentschafts-Kandidaten, der Damen gern zwischen die Beine greift – daran durften wir uns in den amerikanischen Walkampf-Arenen erfreuen. Das noch amüsanteste deutsche Spektakel ist für uns Amerikaner diese durchaus feine Kunst des Wahlplakates: Die Bikini-nicht Burka!-Babes der AfD, die Po-Stöpsel-Plakate von Die Partei, und, mein persönlicher Favorit: die „Alternative für Alle“, mit einem Sensenmann als Kandidat, der die schlussendliche Gleichheit des Todes verspricht. Das ist ein Wahlversprechen, das ich unterschreiben kann, besonders, weil es so schwer scheint, eine ideologische Geschlossenheit unter den anderen Parteien zu finden:

Die Sozialdemokraten werben für erhöhten Grenzschutz und beschleunigte Abschiebungen. Die Grünen rufen zu mehr Polizei auf. Nach mehreren Verweigerungsgefechten hat die CDU zwei Prozent des nationalen Haushalts dem Militär versprochen (Der Amerikaner ist verblüfft: „nur zwei Prozent?”). Die Linke will ihre wahlunwilligen Unterstützer mit allen nötigen Mitteln wiedergewinnen, inklusive eines Abrutschers in den Nationalismus, und die Jamaika-Koalition stellt in Aussicht, Parteien aus allen Ecken der politischen Karte zu vereinigen. Es scheint kein grundlegendes Prinzip zu geben, außer jenem, unzufriedene Wähler davon abzuhalten, von der jungen, sexy Alternative von Rechtsaußen verführt zu werden. Das ist fast…amerikanisch.

Amerikanische Krisen könnten auch deutsche Krisen sein

Aber die Wähler unserer Länder sind vielleicht gar nicht so unterschiedlich. Die Krisen, denen jener politische Organismus entspringt, der nun wöchentlich mit einer Nuklearapokalypse droht, haben auch Europa nicht verschont. Die europäische Nachkriegsfassade beginnt, Risse vorzuweisen. Während in Polen und Ungarn Demagogen an der Macht sind, der Brexit am Horizont steht und die Staaten Türkei und Russland Druck auf bürgerliche Freiheiten ausüben, muss sich auch Deutschland mit unvollkommenen Lösungen abfinden: Einwanderung und Grenzsicherung, eine alternde Arbeiterschaft, ganz zu schweigen vom Schreckgespenst der Austerität, jener konsequenten Haushaltssparsamkeit. Allen, die sich für die Konsequenzen von Austerität und Privatisierung interessieren, empfehle ich den Besuch einiger amerikanischer Städte, wie zum Beispiel Flint im Bundesstaat Michigan.

Sehr wenige dieser Probleme, die Deutsche und Amerikaner gemeinsam haben, finden aber unserer Meinung nach als echte Auseinandersetzung im deutschen Wahlkampf statt. Dazu ist zu wenig Glitzer und Blut im Spiel. Wenn wir irgendeine Neuigkeit zur deutschen Wahl registriert haben, dann ist es der Aufstieg der ultranationalistischen AfD. Eine Entwicklung, bei der auch auf unserer Seite des Ozeans ein Wiedererkennen aufflackert: Wenn deutsche Zeitungen von einer angeblich geleakten Email berichten, in der Alice Weidel behauptet, dass Deutschland „von kulturfremden Völkern wie Arabern, Sinti und Roma“ überrannt werde, dass Regierungsverantwortliche wie Merkel „Schweine“ und„Marionetten der Siegermaechte des 2. WK” seien und nur die Aufgabe hätten, das Deutsche Volk kleinzureden, lauschen wir zufrieden einer Rhetorik, die uns bereits aus allen Bereichen unserer jetzigen Regierung bekannt ist.

Die AfD hat schon gewonnen

Natürlich regiert diese AfD nicht das Land – noch nicht. Vorerst reicht es aus, dass die Partei zum ersten Mal in den Bundestag einziehen wird. Vielleicht macht sich Deutschland eines Tages den Slogan der AfD, „Deutschland den Deutschen“, auf nationaler Ebene zu eigen, so wie viele Amerikaner einen Präsidenten akzeptiert haben, der Rechtsextreme umwirbt, den Klimawandel als chinesischen Schwindel bezeichnet, die internationale Zusammenarbeit ablehnt und stattdessen „America First“ verkündet. Ähnlich wie Trump ist es der AfD gelungen, die Normen des politischen Diskurs fernab des einstigen Zentrums zu verlagern.

In diesem Sinne war das Merkel-Schulz-Duell kein bisschen langweilig. Es war bemerkenswert. Beide Politiker und sogar die „neutralen“ Moderatoren stützten sich so sehr auf Anti-Einwanderungsrhetorik, dass sie gelegentlich wie die Kommentatoren bei Breitbart News klangen. „Wann sind diese Leute weg?“ fragte ein Moderator. Von links kommentierte Schulz die „seltsamen Persönlichkeiten“ unter Deutschlands zugewanderter Bevölkerung. „Nicht jedem ist es möglich, sich zu integrieren.“

In der Woche darauf versuchte ein betrunkener Mann, einen 24-jährigen syrischen Flüchtling auf einem Parkplatz in Brandenburg niederzustechen, eine von etwa 150 solcher Attacken in diesem Jahr. In diesem Sinne – im amerikanischen Sinne von Schauspiel und Gewalt – hat die AfD die Bundestagswahl bereits gewonnen. Sie scheint ganz Deutschland nach rechts getrieben zu haben. Mich würde es nicht überraschen, wenn unser Präsident schon daran denkt, der neuen Fraktion am 24. September mit einem Tweet zu gratulieren. Er liebt Sieger, wie alle Amerikaner.

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Frederick Leo und Constantin Wißmann 

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Bernhard K. Kopp | Sa., 23. September 2017 - 19:48

Auch in den USA ist das grosse Spektakel nur bei den Präsidentschaftswahlen. Das ist eine Person im WH mit dem Vize. Bei den Wahlen in den Kongress, Senat und House, ist es schon viel 'ruhiger' - auch wenn, wegen der Direktmandate, die Wahlkämpfe in den Wahlkreisen meist heftiger sind. Die Wahlbeteiligung ist dann oft sehr, sehr niedrig, sodass die Abgeordneten meist Abgeordnete der lokalen Parteieliten, der Sponsoren und der ideologischen Aktivisten sind, und dann im Kongress möglichst kompromisslos sein müssen - Ergebnis bekannt.

Manfred Gimmler | So., 24. September 2017 - 00:10

Wozu Showbusiness?

Lucas Schult | So., 24. September 2017 - 01:46

Wer America first mit Ablehnung internationaler Zusammenarbeit gleichsetzt, sollte lieber keine politischen Kommentare verfassen oder man sollte sie als Leser nicht ernst nehmen. Allerdings ist durch die seine Publikationsliste klar, welches Narrativ er propagandieren will. Ich wills mal für den Experten erklären: internationale Zusammenarbeit soll in Zukunft kein Synonym mehr für Entwicklungshilfe oder Statebuilding sein. Das hätte man herausbekommen können, wenn man sich nur eine einzige Rede von Trump angehört hätte. Es ist die Pflicht eines Staatsoberhauptes für SEIN Volk zu sorgen, auch wenn das den neoliberalen internationalistischen Imperialisten nicht gefällt.

Christoph Kuhlmann | So., 24. September 2017 - 09:13

sicherlich schneller als in Deutschland. Andererseits wird dann der Präsident von den Checks and Balances weitgehend ausgebremst. Das deutsche System hat zur Zeit Schwierigkeiten, weill oft nur eine Große Koalition regierungsfähig ist, wenn dann noch die Parteivorsitzende der CDU in einigen Fragen nach linksaußen zieht, obwohl das Pendel längst nach rechts schlägt, entsteht halt eine neue Partei. Der Gehorsam der CDU-Funktionäre gegenüber Vorsitz und Kanzler ist wirklich gänzlich unamerikanisch, aber ich würde ihn auch nicht mehr als typisch deutsch bezeichnen. Hoffentlich!

Mathias Trostdorf | So., 24. September 2017 - 09:59

Ich brauche weder Showbusiness noch Ideologien und Phrasen. Mir wäre wichtig, von Parteien und deren VertreterInnerInnen/-x halbwegs verläßliche und realistische Aussagen zur Gestaltung der Politik in der nächsten Wahlperiode zu erhalten, und natürlich ein gewisses Vertrauen da reinsetzen zu können, daß diese Dinge nach der Wahl auch umgesetzt werden.

Wilhelm Herbst | So., 24. September 2017 - 12:52

Nicht alles in der Politik ist Show, vor allem nicht, wenn es um Wahlkampf geht. Da sollten Werte, Einstellungen, Argumente und Persönlichkeit entscheiden.
In deutscher Außenwahrnehmung des amerikanischen Wahlkampfes ist dieser degeneriert. Der Show-Aspekt wird zu wichtig genommen. Es erscheint wie das Errichten eines Potemkinschen Dorfes. Nicht Kulisse und Fassade allein sind jedoch wichtig.
Wir brauchen würdige Politiker und Wähler, die fähig sind zu eigenständiger, begründeter Wahlentscheidung. Und wir brauchen Parteien, die man ohne Bauchschmerzen wählen kann, die demokratisch sind, aber sich innerhalb dieses akzeptablen Spektrums deutlich unterscheiden. Daran mangelt es.

Torsten Knecht | So., 24. September 2017 - 15:06

... und das ist die Rolle der Medien.

Pro - Hillary Merkel vs. Anti - rechtspopulistische Stigmatisierung siehe Trump und AfD.

Selbst der Autor verfällt dieser. Er bezeichnet die AfD als "ultranationalistische AfD". Was ist "ultranationalistisch"? Wird nicht erklärt! Es wird auch nicht auf die Inhalte der AfD eingegangen. Nein, grundlos in die politische Schämt-Euch-Ecke stellen.

Allein der Umstand, das eine neugegründete Partei (wahrscheinlich) in den Bundestag kommen wird, kein Aufschrei warum, wieso, weshalb. Die Hintergründe dafür scheinen belanglos. Dabei liegt es an der Merkel-Politik u. nicht nur durch ihre F&M-Politik.

Die AfD ist die Reaktion auf das was schief läuft und schief gelaufen ist, angefangen mit der EU bis hin zu Merkels neoliberaler Wirtschaftspolitik in Form der illegalen Zuwanderung.

Ihr habt keine Ahnung ... vor allem in welchem Interesse Merkel Politik macht! Stimmt!

Günter Schaumburg | So., 24. September 2017 - 19:24

Antwort auf von Torsten Knecht

Unterschreibe ich, und 'mal Informationen um das Council on Foreign Relations
einholen.

Rolf Pohl | So., 24. September 2017 - 17:23

... doch warum sollten wir in Deutschland so wahlaffin sein wie in den Vereinigten Staaten von Amerika?
Schließlich fahren wir hier in aller Regel auch nicht mit einem Sechszylinder zum Briefkasten. ;-)