Putin und Premier Medwedew sehen sich mit ernstem Blick an
Zwischen Wladimir Putin und Dmitri Medwedew herrscht angespannte Stimmung / picture alliance

Russland - Wird der Premier zum Bauernopfer?

Der russische Premierminister Dmitri Medwedew gerät nach Korruptionsvorwürfen immer weiter in Bedrängnis. Noch hält sein Chef, Präsident Wladimir Putin, zu ihm. Ewig dürfte das Band jedoch nicht halten

Autoreninfo

Maxim Kireev studierte VWL an der Universität zu Köln und absolvierte die Kölner Journalistenschule. Er ist gebürtiger Sankt-Petersburger und kam mit 10 Jahren nach Deutschland. Seit 2010 lebt er wieder in Russland und berichtet für verschiedene deutsche Medien über russische Politik und Wirtschaft.

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Ein schlechteres Timing hätte sich der russische Premier wohl kaum ausdenken können. Seit Wochen hatte das Land auf eine Antwort Dmitri Medwedews auf die Korruptionsvorwürfe des Oppositionsführers Alexej Nawalny gewartet. Der zweite Mann im Staate soll nach Recherchen von Nawalnys Team über Strohmänner ein geheimes Vermögen aus Villen, Yachten und Weingüter im Wert von etwa einer Milliarde Euro kontrollieren. Dann sprengte sich am Montag ein Selbstmordattentäter in der Metro von St. Petersburg in die Luft, riss dreizehn Menschen mit in den Tod, verletzte Dutzende.

Während das Land also in Schockstarre verharrte, meldete sich Medwedew einen Tag nach dem Anschlag zu Wort, beim Besuch einer Großfleischerei. Die Recherchen von Nawalny seien Quatsch. „Dahinter stecken private Investoren mit konkreten politischen Zielen“, erklärte Medwedew. Überzeugend fanden das die Wenigsten. Laut Umfragen sind die Zustimmungswerte des Premiers innerhalb der vergangenen Wochen um zehn Punkte auf 42 Prozent nach unten gerauscht. Zugleich unterstützen 38 Prozent die Protestaktionen, die Ende März das erste Mal nach fünf Jahren wieder Zehntausende Russen auf die Straßen brachten. Immer offener diskutieren Experten nun, ob Medwedew angesichts dieser Zahlen gar um seinen Posten fürchten muss.

Russland will Demonstrationen unbedingt verhindern 

Fest steht zumindest, dass die Staatsmacht nervös auf die Proteste reagiert. Schon wenige Tage nach den Anschlägen schlugen Abgeordnete der Regierungspartei „Einiges Russland“ vor, politische Demonstrationen vorerst aus Sicherheitsgründen nicht zu genehmigen. Eine Idee, die für Empörung sorgte, weshalb die Partei schnell zurückrudern musste. Aber auch schon nach den letzten Großdemonstrationen am 26. März reagierte die Staatsmacht irritiert. Fast eine Woche schwiegen sich die staatlichen Sender zu dem Thema aus, ehe sie am Sonntag nun zum konzertierten Gegenschlag ausholten. Der Chefpropagandist des TV-Senders Rossija, Dmitri Kisseljow, warnte in einem ausgiebigen Beitrag während seiner Nachrichtenshow vor einem „ukrainischen Szenario“. Dort sei die Korruption nach der Revolution nur noch größer geworden. Gleichzeitig warf er Nawalny vor, die „einfachen Menschen“ in Konflikt mit dem Gesetz zu bringen. Schließlich sei die Demo zumindest in Moskau nicht genehmigt gewesen.

Putins Angst vor einer Revolution

Ähnlich äußerte sich auch Wladimir Putin noch vergangene Woche. „Wir wissen gut, dass solche Instrumente zu Beginn des Arabischen Frühlings benutzt wurden“, erklärte der Staatschef vor Journalisten. Und erinnerte ebenfalls an die Majdan-Revolution. Die beiden Revolutionen in der Ukraine im Jahr 2004 und 2014 sowie die Umstürze im arabischen Raum verkörpern wohl Putins größten Albtraum. Dass der Westen mittels einer angeblich gekauften Opposition einen Regime-Change in Russland vorantreibe, ist für Russlands Machthaber das Totschlagargument gegen jede unkontrollierte politische Aktivität.

Als vor gut fünf Jahren weit mehr als 100.000 Menschen auf die Straße gingen, reagierte der Kreml mit einer Verschärfung des Demonstrationsrechts. In mehreren Prozessen wurden verhaftete Protestler teils zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt. Doch eine Wiederholung dessen dürfte bei Putin derzeit nicht auf dem Zettel stehen, schließlich stehen im kommenden Jahr Präsidentschaftswahlen an. Bis dahin dürfte der Kreml an einer Eskalation der Situation kaum Interesse haben.

Kritik aus den eigenen Reihen

Statt einer erneut härteren Gangart könnte der Kreml aber auch ein anderes Ass aus dem Ärmel ziehen. Denn bisher richteten sich die Proteste auf bemerkenswerte Weise kaum gegen Putin selbst, sondern gegen seinen ohnehin wenig respektierten Premier Medwedew. Vergangene Woche bekam Oppositionsführer Nawalny überraschend Schützenhilfe von Putins Wirtschaftsberater Sergej Glasjew. In einem Interview erklärte der Ökonom, die Proteste seien Folge der Perspektivlosigkeit. Diese wiederum sei der Politik von Medwedews Kabinett, insbesondere dessen Wirtschaftsblock geschuldet. Überraschend war diese Meldung auch deshalb, weil Glasjew sonst zu den größten Kritikern der Opposition im Land gehört. Unerwartet deutliche Töne stimmten auch die kremlhörigen Duma-Parteien an. So forderten etwa die Kommunisten eine Untersuchung zu den Vorwürfen, die Nawalny gegen Medwedew aufgefahren hat. Auch Sergej Mironow von der linkspatriotischen Partei „Gerechtes Russland“ kritisierte Medwedew für sein andauerndes Schweigen zu den Anschuldigungen.

Gleichzeitig hat sich der Kreml bei aller Kritik an den Organisatoren der Proteste nicht beeilt, Medwedjew in Schutz zu nehmen. Kremlsprecher Dimitri Peskow erklärte lediglich, die russischen Sicherheitsdienste wüssten besser über die Einkommen von Beamten Bescheid als Korruptionsaktivisten. Die Option, eine mögliche weitere Wutwelle auf Medwedew zu schieben, dürfte für viele in Putins Umfeld derzeit sehr verlockend erscheinen. Zwar sind sich die meisten Beobachter einig, dass Medwedew jetzt noch nichts zu fürchten habe. Sollte die Lage jedoch weiter eskalieren, wäre der zweite Mann im Staate allerdings ein bequemes ein Bauernopfer für Putin und dessen Umfeld.

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Frank Marjenau | Do., 6. April 2017 - 13:38

Ja, die Putin-Mafia ist unerhört und allein dessen KGB-Vergangenheit sagt wohl alles.

Aber nicht nur muss sich die russische Regierung um einen Regime-Change durch die durchgenknallten Neocons aus Washington selbstverständlich Sorgen machen. Denn während dies im vergangenen Jahrhundert noch heimlich dutzendfach geschah, ist "Demokratieförderung" mittlerweile offizielle Strategie und selbst vor Angriffskriegen (Irak) wird nicht zurückgeschreckt.

Allerdings lautet die eigentliche Frage: warum dulden die Russen ihre Polit-Mafia?

Antwort: Politik fließt abwärts von Kultur und die Russen haben anscheinend keine ausreichend aufgeklärte Kultur und scheinen selbst christliche Werte nicht so ernst zu nehmen. Die Klan-Mentalität von Stammesgesellschaften scheint nicht vollständig zu überwunden sein. Die russische Führung ist gewalttätig und korrupt, weil Russen zu selten nicht ausreichend friedliche Erziehung ihrer Kinder fördern und Korruption im Alltag leben.

Ralf Müller | Do., 6. April 2017 - 14:38

Herr Marjenau,
mir gefallen Ihre als dreist empfundenen Behauptungen nicht. Woher nehmen Sie die Überzeugung, Russen seien nicht hinreichend kulturell aufgeklärt und nähmen selbst christliche Werte nicht ernst genug? Wissen Sie, aus dem Munde von BRD-Bürgern stößt mir so etwas besonders auf. Wenn irgend jemand christliche Werte aufgegeben hat, ist es diese aufgeweichte, linksgrüne BRD-Gesellschaft. Kehren Sie vor dieser Tür, nicht bei Russen. Mit Putin an der Spitze hätten wir weder Flüchtlingsirrsinn, noch das Milliardengrab Energiewende. Wenn einer in Europa christliche Werte verteidigt, dann Putin. Dass relativiert ausufernde Korruption und Selbstbereicherung in Russlands Staatsführung und Duma mitnichten. Beides ist vorhanden und verwerflich.

Meine Behauptung verliert etwas ihre Schärfe, wenn man bedenkt, dass ich nicht behauptet habe, wir seien so viel aufgeklärter und christlicher als die Russen.

Aber irgendeinen Grund muss es haben, dass in Russland mehr Wunderheiler als Ärzte ihr Geld verdienen.

Irgendeinen Grund muss es haben, dass in Russland jede fünfte Frau häusliche Gewalt erfährt.

Irgendeinen Grund muss es haben, dass Russland eine freie Marktwirtschaft ablehnt, sondern sich nach Autorität richtet. Und das angesichts 70 Kommunismus!

Irgendeinen Grund muss es haben, dass Russen ständig Putin wiederwählen.

Irgendeinen Grund muss es haben, dass Russen zum Hobby Schwule jagen und zu den gefährlichsten Hooligans gehören.

Irgendeinen Grund muss es haben, dass mindestens ein Buch des okkulten und rechtsextremen Alexander Dugin an russischen Militärakademien als Standardwerk gilt.

Christa Wallau | Do., 6. April 2017 - 20:03

Antwort auf von Frank Marjenau

Man darf darüber spekulieren, welche Gründe es dafür gibt, daß sich offenbar die Mehrheit der Menschen in Rußland andere Vorstellungen als wir davon machen, wie sie miteinander umgehen, was sie in ihrer Gesellschaft dulden und was nicht.
Aber es steht uns keinesfalls zu, dies mit einer gewissen Arroganz (sozusagen von einer "höheren Entwicklungsstufe" her) ethisch-moralisch zu berurteilen. Dies widerspricht eindeutig dem Selbstbestimmungsrecht, das jedes Individuum und jedes Volk auf Erden für sich beanspruchen darf.
Im übrigen gibt es "die Russen" ebenso wenig wie "die Deutschen".
Allerdings bin ich der Meinung, daß man bei den unterschiedlichen Völkern durchaus einen sog. typischen Charakter (eine Mentalität) feststellen u. beschreiben kann. Dies darf jedoch nicht wertend geschehen, sondern in einer Art von wissenschaftlicher Beschreibung, wie sie Anthropologie und Ethnologie vornehmen.

Wir Deutschen sollten vor unserer eigenen Tür kehren - selbstbewußt u.
kritisch zugleich.

Ich habe mehrere russische Freunde und Kollegen, welche hier leben und dies genau wie Herr Marjenau sehen. Sie verzweifeln an der Ignoranz und Naivität der Mehrheit ihrer in Rußland lebenden Landleute. Und was Herrn Müller betrifft: Allein die Verwendung des Begriffes "BRD" sagt alles. Wurde auch in der DDR benutzt. Von da bis Putin als Heilsbringer (ausgerechnet) ist es nicht weit.

Mathias Trostdorf | Do., 6. April 2017 - 19:00

Ob die Vorwürfe stimmen, weiß ich natürlich nicht. Es ist ja belegt, daß sich Putinnahe wie Putinferne Machtmenschen in Rußland besonders in der postsovjetischen Ära die Taschen füllten. Daß die Zustimmungswerte für Medwedew nun bei 42 Prozent liegen sollen, das unterschiedet ihn sicher nicht von den Durchschnittszustimmungswerten westlicher PolitikerInnen. Wie aber die jüngere Geschichte Rußlands oder auch der Ukraine zeigt, wird im Westen bei der Bewertung von Oligarchen gern unterschieden, ob die sich prowestlich oder antiwestlich geben. Im ersteren Fall ist dann immer nicht so wichtig, wie die an ihr Geld gekommen sind.

Eberhard Berger | Do., 6. April 2017 - 20:38

Weshalb sollte nur Putin Angst vor einer Revolution haben?
Mir fällt spontan kein Land ein, in dem es der Bevölkerung besser geht, nachdem es die USA per regime change "demokratisiert" haben.

Dr. Roland Mock | Fr., 7. April 2017 - 07:47

sind, wenn ich es richtig sehe, zwei Seiten einer Medaille. Putin ist der Harte, welcher nicht nur den abtrünnigen Sowjetrepubliken, sondern auch der in den Augen vieler Russen "verweichlichten" westlichen Gesellschaft tapfer die Stirn bietet. Und damit die urrussische Volksseele bedient. Medwedjew ist der Wirtschaftsexperte, der als effizienter Autokrat im Hintergrund die eher Aufgeklärten, Liberaleren in der Bevölkerung anspricht. Eine Art good guy-bad guy auf Russisch. Was Korruption betrifft: Es wird seit Jahren kolportiert, daß auch Putin selbst über Strohmänner maßgeblich an riesigen Firmen beteiligt ist. U.a. soll er Großaktionär des Gasgiganten Surgutneftegas sein. Insofern würde ihm Medwedew wohl nur begrenzt und nur auf Zeit als Bauernopfer im (angeblichen) Ausmisten des Korruptionsstalls nützen. Irgendwann, da bin ich mir ziemlich sicher, ist er selbst die Zielscheibe.

Ralf Müller | Fr., 7. April 2017 - 11:32

Begriff "BRD" verwende ich, weil "Deutschland" eine glatte Falschbehauptung ist. An der BRD ist so gut wie nichts mehr deutsch. "Buntland" käme noch infrage oder "Schland". Russland verdient seine Bezeichnung noch, obwohl Vielvölkerstaat. Ja, für alles hat es Gründe. Hauptgrund der Abweichung Russlands vom Westen ist die fehlende Aufweichung von Nationalstaates und Nationalcharakter. Linksgrüner Mainstream ist in Russland nicht vorhanden. Deshalb gibt es ein traditionelles Werteverständnis. Hooligans sind Ausdruck nationalen Selbstbewusstseins und die Botschaft ist doch genau so auch angekommen. Der Westen ist reich aber weich. Engländer haben sich verkrochen, Westeuropäer geben sich kleinlaut. Am Ergebnis gemessen, war der Aufwand sehr gering. Russland erreicht mit geringem Mitteleinsatz maximale Wirkung. Schwulenverfolgung ist strikt abzulehnen, Schwulenparaden brauche ich aber auch nicht. Der Westen krepiert an seiner Dekadenz. Das steht Russland so noch nicht bevor.

Walter Wust | Fr., 7. April 2017 - 14:29

Antwort auf von Ralf Müller

Was diesen "Genderwahn" betrifft, stimme ich Ihnen vollends zu. Es ist schon zum fremdschämen, was in Deutschland alles gehätschelt wird. Wer weder schwul noch sonstwie abartig gepolt ist, hat Heute schon seine Probleme überhaupt wahrgenommen zu werden. Ich habe bei der letzten Schwulendemo nur gedacht,"kein Wunder, daß wir für unsere spätere Rente Migranten brauchen".

Roland Mock | Fr., 7. April 2017 - 16:53

Antwort auf von Ralf Müller

@Herrn Müller: Ihre Einschätzung bezüglich des Mainstreams teile ich ja. Diese "politische correctness" und der ganze damit verbundene dekadente Blödsinn ist einer der Gründe, weshalb ich trotz Bedenken den Brexit und die Wahl Trumps gut fand. Die westliche Welt brauchte offenbar genau diese Weckrufe. Nur: Deshalb muß man doch nicht ausgerechnet das Rußland Putins gutfinden. Putin betreibt eine desaströse Wirtschaftspolitik, eine aggressive Außenpolitik à la Gromyko (langjähriger sowj. Außenminister, als Betonkopf verschrieen), rühmt sich offen der Annexion fremder Territorien und verfolgt mit kommunistischen Methoden politische Gegner (Chodorkowski, Politkowskaja, Nawolny etc. etc.). Das Ganze erinnert an das Muster: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Diese- nicht nur, aber besonders im Osten verbreitete - Denkweise ist mir - mit Verlaub- zu simpel.