Deutsche Bürger mit türkischem Pass geben vor dem türkischen Konsulat ihre Stimme ab / picture alliance

Wahlen in der Türkei und die Deutsch-Türken - „Die Älteren halten zu Erdogan, die jüngere Generation hat andere Sorgen“

Die anstehenden Wahlen in der Türkei spalten die Türken, auch hierzulande. Im Interview erklärt SPD-Politiker Hüseyin Sıtkı, warum viele Deutsch-Türken die AKP wählen – und was der Türkei nach den Wahlen am Sonntag blühen könnte.

Autoreninfo

Ilgin Seren Evisen schreibt als freiberufliche Journalistin über die politischen Entwicklungen in der Türkei und im Nahen Osten sowie über tagesaktuelle Politik in Deutschland. 

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Der türkischstämmige SPD-Politiker Hüseyin Sıtkı machte sich als Initiator eines der ersten türkischen Filmfestivals Deutschlands einen Namen in der deutsch-türkischen Kunst- und Kulturszene. Sıtkı kam 1979, kurz vor dem Militärputsch, aus der Türkei nach Deutschland, um hier Politik zu studieren. Seit 2021 ist Sıtkı Stadtratsmitglied für die SPD in Frankfurt am Main und ist sehr gut vernetzt in die verschiedenen türkischen Gruppierungen der Region. Der engagierte Politiker wünscht sich von den hier lebenden Deutsch-Türken ein klares Bekenntnis zur Demokratie. Sowohl in Deutschland als auch in der Türkei. 

Herr Sıtkı, aufgrund Ihrer guten Vernetzung in verschiedenen türkische Gruppierungen haben Sie einen sehr guten Eindruck von der Stimmungslage unter den Deutsch-Türken. Wie groß ist das Interesse an den Wahlen in der Türkei?

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Ernst-Günther Konrad | Di., 9. Mai 2023 - 09:12

Derzeit ist die überwiegende mediale Berichterstattung gegen Erdogan gerichtet und es werden wenige Artikel, die ohne Emotionen und Hetze, egal gegen wen der türkischen Politiker gerichtet veröffentlicht. Ja, es kann durchaus sein, dass neben den politischen Kontrahenten es auch eine Wahl sein wird, wo jung gegen alt antritt und möglicherweise die Demografie der Türkei eine mitentscheidende Rolle spielen wird. Ja, Erdogan gehört abgewählt und ob er sich ergeben würde, im Falle einer Niederlage bezweifele ich auch. Sollte es also gegen Erdogan laufen könnte ich mir gewaltsame Auseinandersetzungen im Land vorstellen, was zweifelsohne das Militär auf den Plan rufen dürfte. Und da ist eben die große Frage, wofür sich ein Militär am Ende entscheiden würde. Denn nicht wenige sind dort von Erdogan eingesetzt und haben unter ihm Karriere gemacht. Aus meiner Sicht beinhaltet diese Wahl deshalb enormen Sprengstoff. Gerne möchte ich mich irren, den Türken einen friedlichen Wechsel wünschen. Aber?

Albert Schultheis | Di., 9. Mai 2023 - 09:15

Man kann nur hoffen, dass er recht behält, gerade was die junge Generation anbelangt. Was das Beispiel Berlin angeht - interessant, aber evtl nicht überzeugend. Berlin ist durchgeknallt! Dass man das in der Türkei akzeptiert, kann ich mir nicht vorstellen. In der Industrie habe ich beobachtet, dass gerade viele junge Türken, die hier beruflich erfolgreich sind, sehr konservative, islamistisch geprägte Vorstellungen haben und sogar auf uns verblödete Deutschen herabschauen wie Herrenmenschen. In der türkischen Gesellschaft - egal ob in der Türkei oder hier - steckt ein immenses kinderreiches Aggressionspotential! Die Frage ist, ob eine gemäßigte Regierung in der Lage wäre, dieses zu zügeln. Ich habe da große Zweifel.

Gerhard Lenz | Di., 9. Mai 2023 - 14:54

So sehr das auch zu begrüßen wäre. Aber ein starker Führer, der Ehre, Tradition und angebliche Interessen von Volk und Nation verteidigt - besonders gegen Linke (Sozialdemokraten) und "terroristische Vaterlandsverräter (Kurden)" findet nun mal leicht begeisterte Anhänger. Dazu gehört natürlich eine Renaissance des Islams. Denn obwohl Atatürk seinen Türken einst eine relativ moderne Staatsform verpasste, blieben viele Türken doch ziemlich religiös und traditionellem Denken verhaftet.
Erdogan scheint ja auch nicht wegen seiner strunzkonservativen, gesellschaftspolitischen Ausrichtung angreifbar - vielmehr ist die wirtschaftliche Lage desaströs. Und wenn es um grundlegende Lebensbedürfnisse geht, dann muss auch die heilige Nation zurücktreten. Dass etliche, auch junge Türken ein idealisiertes Bild ihrer "besseren" Heimat haben, in der sie anders als in DE nicht eine zweite oder dritte Geige spielen, ist nicht neu. Dass die einem Erdogan zujubeln, dürfte nicht weiter überraschen.