
- In göttlicher Mission
Ist die Bundeskanzlerin jetzt endgültig in der Phase ihrer Selbststilisierung angekommen? In ihrer Neujahrsansprache verortet sich Angela Merkel ohne falsche Bescheidenheit als Retterin des Weltfriedens in einem Raumschiff im All schwebend. Die wichtigste Frage aber klammert sie aus
Das Faszinierende an Angela Merkels Neujahrsansprachen besteht in der Kunst ihrer Redenschreiber, viele wichtige Punkte nicht nur auf relativ kleinem Raum zu erwähnen, sondern sie noch dazu in einen vermeintlichen Sinnzusammenhang zu stellen. Eine Kostprobe aus der aktuellen Ausgabe: „Da ist die Schicksalsfrage des Klimawandels, die der Steuerung und Ordnung der Migration, da ist der Kampf gegen den internationalen Terrorismus. In unserem eigenen Interesse wollen wir alle diese Fragen lösen, und das können wir am besten, wenn wir die Interessen anderer mitbedenken. Das ist die Lehre aus den zwei Weltkriegen des vergangenen Jahrhunderts.“
Klimawandel, Migration und Terrorbekämpfung hängen also praktisch unmittelbar mit dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg zusammen, welche den Weg zur Lösung weisen. Und zwar, indem die „Interessen anderer“ mitbedacht werden. Auf diese Weise ließen sich wahrscheinlich auch Kinderarmut, Infrastrukturprobleme oder das Artensterben mit den beiden katastrophalen Konflikten des vergangenen Jahrhunderts in Beziehung setzen. Durch geschichtliche Überhöhung wird die Tätigkeit der Kanzlerin und der von ihr geführten Bundesregierung als quasi alternativlos dargestellt, als eine Art fortgesetztes Abarbeiten historischer Schuld. In Berlin würde man sagen: „Haben Sie es nicht auch eine Nummer kleiner?“ Aber Merkel ist jetzt offenbar endgültig in der Phase ihrer Selbststilisierung für die Geschichtsbücher angekommen, und da wird eben mit großer Kelle geschöpft: Sämtliches Wirken und Wollen der Kanzlerin erscheint im Lichte globaler Verantwortung Deutschlands vor dem Panorama der Jahre zwischen 1914 und 1945.