- „Wir brauchen einen Abschiebestopp für die Flüchtlinge“
Die syrischen Flüchtlinge müssen eine sichere Aufenthaltsperspektive bekommen, fordert Ferhad Ahma vom syrischen Nationalrat (SNC) in Deutschland. Der grüne Berliner Bezirkspolitiker erklärt im CICERO-ONLINE-Interview, wie die Revolution auch ohne UN-Resolution unterstützt werden kann
Der oppositionelle Syrische Nationalrat (SNC) hat sich klar gegen eine militärische Intervention in Syrien ausgesprochen. Stattdessen fordern Sie politische und wirtschaftliche Sanktionen. Wie sollten diese aussehen – und was sollte Deutschland etwa im UN-Sicherheitsrat tun?
Zunächst hoffe ich, dass es trotz des Vetos von Russland und China noch möglich ist, eine Resolution vom Sicherheitsrat zu bekommen. Andernfalls wird sich die Militäroffensive auf andere Teile des Landes ausweiten. Wir wollen auch, dass die Rebellenarmee defensiv agiert und selbst keine Angriffe auf die syrische Armee vornimmt. Deutschland könnte zudem mehr humanitäre Hilfe leisten. Anstatt vom syrischen Regime zu verlangen, international bekannte Organisationen wie das Rote Kreuz zuzulassen, sollte man die Netzwerke, die bereits im Land agieren, unterstützen. Die Hilfe muss unbürokratischer werden.
Daran mangelt es wohl momentan noch?
Ja. Wir reden hier von 755 Getöteten in einer Woche. In Homs wurden an einem Tag sieben Wohnhäuser zerstört. Es ist Winter, die Menschen werden bombardiert, sie können nicht heizen, ihnen fehlt es an Kleidung, Medikamenten, Geräten für die Feldlazarette. Das sind Dinge, für die man keine UN- Resolution braucht. [video:Gewalt in Syrien: Opposition macht im Ausland mobil]
Und welche Sanktionen würden das Regime am schwersten treffen?
Man sollte die Konten der Staatsclique einfrieren lassen. Dazu gehört auch Asma al-Assad, die Ehefrau des Diktators Baschar. Warum ist sie noch nicht auf der Liste? Weil sie eine britische Staatsangehörigkeit hat? Sie hat sich in der vergangenen Woche auf die Seite ihres Mannes gestellt. Einige große Firmeninhaber zwingen ihre Mitarbeiter, auf pro-Assad-Demonstrationen zu gehen oder auf Demonstranten zu prügeln. Dazu müssen auch die Sanktionen, die von der Arabischen Liga getroffen wurden, wirklich durchgesetzt werden.
Wir Exilsyrer brauchen aber auch ganz einfache technische Unterstützung – Räume, in denen wir uns treffen können. Eine Hilfe wären auch Visaerleichterungen für Mitglieder der syrischen Opposition, die sich etwa in den arabischen Ländern und der Türkei befinden. Wenn uns die Bundesrepublik auf diesen Wegen hilft, würde sie uns eine gewisse Legitimität verleihen.
Im vergangenen Jahr, nach Beginn der Gewalteskalationen, suchten mehr als 2.600 Syrer Asyl in Deutschland. Wie steht es um deren Anerkennung?
Sehr, sehr schwierig. Die Menschen werden hier trotz der massiven Verfolgung, der sie in Syrien ausgesetzt sind, nicht anerkannt. Die meisten wurden einfach so belassen – keine Abschiebung, keine Ablehnung, aber auch keine Anerkennung. Damit vermeidet man, nach außen zu signalisieren, dass Deutschland jetzt Tausende Flüchtlinge aufnimmt.
Was bedeutet das, wenn die Exilsyrer hier nicht als Flüchtlinge anerkannt werden?
Das bedeutet, dass sie bei der nächsten Gelegenheit abgeschoben werden. Sie leben also ständig in Angst und ohne sichere Aufenthaltsperspektive. In der vergangenen Woche wurden etwa syrische Flüchtlinge nach Ungarn abgeschoben. Ungarn ist nun wirklich kein lupenreiner Rechtsstaat. Wir haben als Grüne Fragen an die Regierung gestellt und da hieß es nur: „Wir haben denen gesagt, ihr dürft die nicht abschieben.“ Das ist doch keine Lösung.
Müsste Deutschland also so etwas machen wie damals im Irakkrieg: 2.500 Flüchtlinge aufnehmen?
Nur für die akuten Fälle – für Opfer von Folter, Misshandlung oder Vergewaltigung, die dringend medizinische oder psychische Hilfe brauchen, ja. Ansonsten bekommt die Masse der Flüchtlinge auch erst einmal in der Türkei Schutz. Wir fordern nicht, dass jetzt Zehntausende Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Aber die Bundesregierung sollte – auch, um zu verhindern, dass die Flüchtlinge nach Deutschland kommen – in der Türkei aktiv werden. Unter den syrischen Flüchtlingen in der Türkei gibt es mehr als 3.000 Kinder. Die müssen Schulen besuchen. Wenn Zweitklässler für ein Jahr keinen Unterricht erhalten, werden sie vergessen, wie man seinen Namen schreibt.
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Aber der syrische Nationalrat fordert einen besseren Schutz für die hier lebenden Asylbewerber.
Für diejenigen, die Deutschland erreicht haben, muss es einen Abschiebestopp geben. Mit Syrien unterhält die Regierung auch noch ein Rücknahmeabkommen. Warum? Wenn man nicht abschiebt, was ist dann die Begründung, dass dieses Abkommen weiterhin aufrecht erhalten wird?
Unter den 32.000 Menschen mit syrischem Pass in Deutschland soll es auch viele Assad-Anhänger geben. Wie gespalten ist die syrische Exilgemeinschaft?
Das sind vor allem Studenten, die missbraucht werden. Sie bekommen ein Stipendium, um hier zu studieren und werden danach gezwungen, Informationen über ihre syrischen Kommilitonen preiszugeben. Viele Studenten haben sich hier dem Protest gegen das Regime angeschlossen, da wurde ihr Stipendium gestrichen. Das war‘s. Das zeigt, welcher Druck da ausgeübt wird.
In dieser Woche wurden zwei mutmaßliche syrische Spione in Berlin verhaftet. Auch die Wohnungen von sechs weiteren Verdächtigen wurden durchsucht, sie sollen jahrelang syrische Oppositionelle beobachtet haben.
Dass der syrische Geheimdienst in Deutschland aktiv ist, ist keine Neuigkeit. Die Behörden und der Verfassungsschutz wissen seit Jahren davon. Die Schikanen des syrischen Geheimdienstes gegen Exilsyrer in aller Welt wurden auch von Menschenrechtsorganisationen dokumentiert. Es sind teilweise auch ganz normale Menschen, Gemüsehändler, die die Botschaft mit entsprechenden Informationen beliefern. Deswegen fordert der SNC auch, dass Deutschland nach der Ausweisung der vier Diplomaten auch die Beziehungen zur syrischen Botschaft abbricht.
Sie wurden am zweiten Weihnachtsfeiertag Opfer eines Überfalls. Sie behaupteten damals, der syrische Geheimdienst habe dahintergestanden. Bis heute ist das weder bewiesen noch wurden die Täter gefasst. Was genau war da vorgefallen?
Das waren zwei Männer, vermutlich Syrer. Sie überfielen mich mit Schlagstöcken in meiner Berliner Wohnung. Das Ganze hat etwa fünf Minuten gedauert. Dann hat der Nachbar versucht, seine Tür aufzumachen, weil wir so laut waren, und da sind die Täter geflüchtet. Der Nachbar sah die Täter noch von hinten und konnte beschreiben, wie die Jacke aussah.
Was ist mit Ihrer Familie in Syrien?
Unsere Familien, unter anderem meine, werden regelmäßig von den syrischen Stellen besucht und auf unsere Aktivitäten angesprochen. Da wird gedroht, mit verbalen Attacken. Da heißt es dann, euer Sohn macht Unsinn in Deutschland, macht, dass er wieder zur Vernunft kommt. Wenn das häufiger stattfindet, ist das ein enormer psychischer Druck für uns. Und wenn man keine Unterstützung von der eigenen Familie in Syrien bekommt, hört man eben auf. Zum Glück hat mich meine Familie in meinen Aktivitäten immer bestärkt.
Herr Ahma, vielen Dank für das Interview.
Das Interview führte Petra Sorge. Die Rechte für das Video liegen bei AFP
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