Trauer um Ebrahim Raisi
Trauerfeierlichkeiten in der iranischen Stadt Maschhad: Mit Flaggen bedeckte Särge von Präsident Ebrahim Raisi und seinen ebenfalls beim Hubschrauberabsturz umgekommenen Begleitern / dpa

Wie weiter im Iran? - Jetzt beginnen die Machtkämpfe

Nach dem Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi läuft die Suche nach einem Nachfolger. Tatsächlich aber geht es um viel mehr: Wer löst demnächst den Obersten Führer Ali Khamenei ab? An dieser Frage entscheidet sich die Zukunft der Islamischen Republik.

Autoreninfo

Kamran Bokhari ist Experte für den Mittleren Osten an der Universität von Ottawa und Analyst für den amerikanischen Thinktank Geopolitical Futures.

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Der Tod des iranischen Präsidenten kommt zu einem kritischen Zeitpunkt für die Islamische Republik. Das politische System des Landes nähert sich einem Wendepunkt, an dem ein neuer Oberster Führer die Nachfolge von Ayatollah Ali Khamenei antreten wird, der dieses Amt bereits 35 der bisher insgesamt 45 Jahre seit Bestehen des Regimes innehatte. Wer auch immer die Nachfolge antritt, wird angesichts des dramatischen Rückgangs des Einflusses des Klerus bei weitem nicht so mächtig sein wie Khamenei. Stattdessen wird er dem iranischen Militär verpflichtet sein, das seine eigenen Spaltungen überwinden muss, um sicherzustellen, dass das Regime den Übergang bewältigt und gleichzeitig seinen geopolitischen Einfluss bewahrt.

Extreme Zerrissenheit der politischen Eliten

Vor seinem Tod am 19. Mai bei einem Hubschrauberabsturz wurde Präsident Ebrahim Raisi als Spitzenkandidat für die Nachfolge Khameneis gehandelt. Alles an Raisis Karriere deutete jedoch auf das Gegenteil hin. Raisi, dem es sowohl an klerikaler Legitimation als auch an politischem Charisma mangelte, war ein eifriger Ideologe, dessen einflussreicher Schwiegervater der oberste Kleriker in Irans zweitgrößter Stadt Mashhad ist. Als überzeugter Ultrakonservativer bewies Raisi seine Loyalität und arbeitete sich im System nach oben – vor allem als Staatsanwalt, der keine Skrupel hatte, Tausende von Regimegegnern zum Tode zu verurteilen. 

Nachdem er mehrere Positionen in der Justiz bekleidet hatte, wurde er 2019 zum Obersten Richter des Landes ernannt. Im Jahr 2021 wurde er nach einer beispiellosen Wahlmanipulation zum Präsidenten gewählt, bei der der Wächterrat wichtige Persönlichkeiten des Regimes, darunter den ehemaligen Parlamentspräsidenten und Chef der nationalen Sicherheit Ali Laridschani, disqualifizierte. Mit anderen Worten: Raisis Aufstieg wurde durch einen Mangel an renommierten Klerikern und sich verschärfende Machtkämpfe zwischen konservativen Fraktionen ermöglicht, und es ist keineswegs klar, dass der 63-Jährige später der dritte Oberste Führer des Iran geworden wäre.

Die extreme Zerrissenheit innerhalb der politischen Elite des Landes hat das Nachfolgeverfahren erheblich erschwert. Laut Verfassung wählt das 88-köpfige klerikale Gremium, der sogenannte Expertenrat, den neuen Obersten Führer. Das Verfahren wurde bisher jedoch nur einmal auf die Probe gestellt, als der Gründer des Regimes, Ayatollah Ruhollah Khomeini, 1989 starb und Khamenei (ein Präsident mit zwei Amtszeiten) sein Nachfolger wurde. Auch damals bestätigte die Versammlung lediglich den Konsens einer Handvoll hochrangiger Geistlicher unter der Führung des damaligen Parlamentspräsidenten Ajatollah Akbar Haschemi Rafsandschani, der später zweimal Präsident wurde und bis zu seinem Tod im Jahr 2017 der zweiteinflussreichste Geistliche in der Islamischen Republik war.

Gemäßigte und Hardliner

In den späten 1980er Jahren war die iranische Politik viel einfacher. Während der vergangenen 15 Jahre hat das Regime die Reformisten erfolgreich an den Rand gedrängt, was jedoch die unbeabsichtigte Folge hatte, dass der verbleibende konservative Block in zwei große Lager gespalten wurde: Pragmatiker und Ideologen. Tatsächlich geht die Zersplitterung viel tiefer, sodass selbst diese Lager in Gemäßigte und Hardliner unterteilt werden können, die in der Ära nach Chamenei entweder nach Sicherheit oder Expansion streben. Da so viele Fraktionen und Machtzentren ein Wörtchen mitzureden haben, wird es äußerst schwierig sein, einen Kompromiss über den nächsten Obersten Führer zu finden.

Auf dem Spiel steht nicht nur die relative Position der einzelnen Fraktionen, sondern auch die Integrität des Systems als Ganzes. Die herrschenden Eliten des Landes sind sich sehr wohl bewusst, dass eine beträchtliche Mehrheit der Iraner das Ende der „Mullahkratie“ wünscht. Bei den jüngsten Wahlen hat die Wahlbeteiligung einen historischen Tiefstand erreicht. Die wirtschaftliche Lage wird immer schlechter. Und die Erinnerungen an die Proteste der Jahre 2022/23 nach der Ermordung der 22-jährigen Mahsa Amini durch die Sittenpolizei sind noch frisch.

Äußerst aggressive Außenpolitik

Gleichzeitig war das Regime nicht auf die Folgen seiner äußerst aggressiven Außenpolitik vorbereitet. Teheran baute seinen regionalen Einfluss durch Investitionen in ein Netzwerk von Stellvertretern in der gesamten arabischen Welt auf. Nach dem Hamas-Anschlag vom 7. Oktober und der massiven israelischen Reaktion reicht es jedoch nicht mehr aus, dass der Iran durch seine Stellvertreter handelt. Dies wurde am 1. April überdeutlich, als bei einem israelischen Angriff auf das iranische Diplomatenlager in der syrischen Hauptstadt Damaskus mehrere hochrangige iranische Militärkommandeure getötet wurden. 

Da die Iraner das Bedürfnis verspürten, direkt zurückzuschlagen, aber eine weitere Eskalation vermeiden wollten, gaben sie sich große Mühe, ihren Vergeltungsschlag zu choreografieren, der am 13. April erfolgte und bei dem mehr als 300 Raketen und Drohnen auf Israel gerichtet wurden. Der leichte israelische Gegenschlag weniger als eine Woche später deutet darauf hin, dass sich der Konflikt in Grenzen hält, aber die Iraner wissen, dass es kein Zurück zum Status quo ante gibt.

Der Tod von Raisi mag keinen Einfluss auf das Rennen um den nächsten Obersten Führer haben, aber er bedeutet, dass das iranische Militär eine noch größere Rolle in der Politik spielen wird. Schon jetzt hat das Korps der Islamischen Revolutionsgarden den Klerus als Gravitationszentrum des iranischen politischen Systems verdrängt. In den vergangenen zehn Jahren haben die regulären Streitkräfte (bekannt als Artesh), denen eine Beteiligung an der Politik verfassungsrechtlich untersagt ist, ihre Rolle in der nationalen Sicherheitspolitik genutzt, um ihre Position im System zu stärken. Daher werden auch sie wahrscheinlich den Nachfolgeprozess beeinflussen. Ganz allgemein bedeutet das wachsende Risiko eines Konflikts mit Israel (und damit auch mit den Vereinigten Staaten), dass der Einfluss des Militärs auf die Entscheidungsfindung in Teheran zunehmen wird.

Die entscheidende Rolle des Militärs

Selbst das Militär, insbesondere die Revolutionsgarden, hat seine eigenen Pragmatiker und Ideologen, die konkurrierende Vorstellungen für einen Iran nach der Ära Chamenei haben. Die Pragmatiker halten es für notwendig, die sozialen und politischen Einschränkungen im Inland zu lockern und in außenpolitischen Fragen Vorsicht walten zu lassen, um die Kontinuität des Regimes zu gewährleisten. Die Ideologen hingegen betrachten eine solche Kurskorrektur als nachteilig für ihre parteipolitischen Interessen und ihre ideologische Vision für das Land und sehen sich durch den geopolitischen Einfluss des Iran in ihrer Sichtweise bestätigt. Jedes Lager sucht daher einen Obersten Führer, der die eigene Position vertritt, weshalb es schwierig sein wird, einen Kompromisskandidaten zu finden.

Die Suche nach einem Nachfolger für Raisi ist daher eine Nebensache im Vergleich zu der Aufgabe, das Regime durch die Wahl eines neuen Obersten Führers zu führen. Dieser Übergang, wann immer er stattfindet, wird die Vormachtstellung von den Klerikern auf das Militär verlagern und den Höhepunkt eines langwierigen und schwierigen Regimewechsels darstellen.

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Ernst-Günther Konrad | So., 26. Mai 2024 - 10:01

Auch diesen Artikel nehme ich zur Kenntnis und verfolge durchaus gespannt, wie es in diesem Land weitergeht. Was mich nur interessieren würde ist, in wie weit die USA/CIA ihre Hände im Spiel haben und um oppositionelle Iraner oder wenigstens eher gemäßigte und USA freundlichere Kräfte zu unterstützen. Das da so gar nichts von denen unternommen wird, mag ich nicht glauben. Das sicher auch Russland/China ihren jeweiligen Fuß in die Tür stellen, will ich gern glauben. Aber die USA als selbstverstandener Globalplayer hält sich derzeit zurück? Das könnte ich mir höchstens unter Trump vorstellen. Vielleicht finden sie Herr Bokhari einige Indizien, die den Hintergrund weiter erhellen. Dass natürlich jetzt in dem Land das Hauen und Stechen um die Macht so richtig losgeht mag ich gern glauben. Nur, solange die sich selbst meucheln ist mir das eigentlich erst mal egal.

Christoph Kuhlmann | So., 26. Mai 2024 - 13:52

Das ist ja prickelnd. Hoffen wir, dass sich die gemäßigten durchsetzen. Kriege sind teuer und lästig. Um so wichtiger ist es, dass die Diktaturen sie verlieren, wenn sie sie beginnen. Es besteht ja inzwischen Hoffnung, dass die USA wegen eines Terroranschlags nicht wieder Hunderttausende töten und ihren Staatshaushalt nachhaltig ruinieren.

Ronald Lehmann | So., 26. Mai 2024 - 20:40

aber NIE um LIEBE 💓
oder zum Wohle des Volkes

es werden nur die Bestochen (Hofstaat inklusiv Religion - mit den Gewalten-Teilungen, wenn es diese gibt) mit Posten, 💰 &🎖️, um Nachterhaltung & deren KONTROLLE zu sichern

um Abhängigkeiten zu erzielen, damit eine
MACHT-SICHERUNG
erfolgen kann

egal welcher Staat, Religion oder Flaggen

MACHT >>>>>> das schwarze Loch in dem Handlungsbereich von Menschen hier auf Erden

& wie im Monopoly
jeder WILL JEDER SIEGER sein & akzeptiert keinen

ANDEREN NEBEN SICH
>> egal wer oder was