Klimawandel und Systemfragen - „Wir brauchen mehr Kapitalismus, um das Klimaproblem zu lösen“

Ist der Kapitalismus die Wurzel allen (Klima-)Übels? Nein, sagt der deutscher Historiker, Buchautor und Unternehmer Rainer Zitelmann im Interview. Er hält ihn für die einzige Lösung.

Kapitalismus gegen den Klimawandel? Das werden die meisten Klimaaktivisten nicht hören wollen / dpa
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Rainer Zitelmann gehört zu einer seltenen Spezies: Er ist einer der wenigen glühenden Verfechter des Kapitalismus in Deutschland. Der 65 Jahre alte Publizist, Historiker und Vegetarier kämpft in Büchern und Schriften gegen einen Zeitgeist, der in der Marktwirtschaft die Wurzel allen Übels sieht.

Dabei hat Zitelmann einen weiten Weg zurückgelegt: vom Marxismus über den Maoismus zum Liberalen und schließlich zum Vollblut-Unternehmer. Er ist der festen Überzeugung, dass die meisten Probleme unserer Gesellschaft inklusive des Klimawandels nicht mit weniger, sondern nur mit mehr Kapitalismus zu lösen seien. Seine Botschaften hat er mittlerweile in 25 Bücher gegossen und reist durch die Welt, um sie zu verbreiten. 

Herr Zitelmann, Sie sind ein glühender Verfechter des Kapitalismus. Das gibt es selten. Der Kapitalismus hat einen schlechten Ruf. Woran liegt das?

Kapitalismus findet heutzutage nicht viel Anklang. Ich habe eine Umfrage in 30 Ländern in Auftrag gegeben, um unter anderem herauszufinden, wie viel das damit zu tun hat, dass der Begriff „Kapitalismus“ negativ behaftet ist. Dazu haben wir Statements verfasst, in denen das Wort Kapitalismus explizit genannt wird, und Statements, in denen das kapitalistische Wirtschaftssystem nur umschrieben wird. Zwar war die Zustimmung etwas höher, wenn das Wort Kapitalismus nicht fällt, dennoch stößt das kapitalistische System mit und ohne Verwendung des Begriffs nur in wenigen Ländern – wie etwa in Polen – auf Zustimmung.

Dabei ist der Kapitalismus doch die Quelle des Wohlstands der Industrienationen. Was gefällt den Leuten daran nicht? 

Am meisten Zustimmung bekam die Kritik, dass kapitalistische Länder von Reichen dominiert würden, die angeblich auch die politische Agenda bestimmten. Zweitens verstärke Kapitalismus Ungleichheit und sei von Gier und Selbstsucht geprägt. Drittens führe Kapitalismus zur Bildung von Monopolen. In Deutschland spielt auch eine große Rolle, dass der Kapitalismus verantwortlich für Umweltzerstörung und Klimawandel sein soll. Das ist nur in drei anderen Ländern ein wichtiges Thema.

Eine Studie des Edelman Trust aus dem Jahr 2020 fand heraus, dass nur noch jeder achte Deutsche das Gefühl hat, vom wirtschaftlichen System zu profitieren. Woran liegt es, dass der Kapitalismus gerade in Deutschland so unbeliebt ist? 

Erstmal ist es eine Frage des Wissens. Viele Menschen machen sich keine Vorstellung, wie wir davor gelebt haben. Wenn die Leute wüssten, dass vor dem Kapitalismus 90 Prozent der Weltbevölkerung in großer Armut lebten und heute nur noch zehn Prozent, fiele die Bewertung vielleicht weniger negativ aus. Die Leute stellen sich die Welt ohne Kapitalismus wie einen Ausflug aufs Land vor. Aber in der Realität sind zahllose Menschen verhungert, und die meisten hatten eine sehr geringe Lebenserwartung. Das Problem: Wenn Länder Erfolg haben, vergessen die Menschen nach einer gewissen Zeit, warum sie erfolgreich sind. Das kann man in Deutschland beobachten, aber auch in Chile, China, den USA und anderen Ländern.

Die Armut ist weltweit in der Tat zurückgegangen. Gleichzeitig erklären die Kapitalismuskritiker, die Schere zwischen Arm und Reich gehe seit Jahren immer weiter auseinander. 

Das sind zwei völlig verschiedene Fragen. Armut und Ungleichheit, das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. In Vietnam beispielsweise ist die Ungleichheit in den letzten Jahrzehnten gestiegen, die Armut aber drastisch gesunken. Außerdem geht es heute den ärmsten Menschen in Vietnam immer noch besser als vor den marktwirtschaftlichen Reformen. Und dort haben Reichtum und soziale Ungleichheit übrigens keinen schlechten Ruf, im Gegenteil. Vietnamesische Philosophen und Soziologen sind der Meinung, dass die Polarisierung von Arm und Reich eine treibende Kraft und Motivation für das Wirtschaftswachstum darstelle. Bei deutschen Soziologen und Philosophen würde das wohl auf Unverständnis stoßen.

Warum sieht die Situation in Deutschland so anders aus? 

Die Leute vergessen mit der Zeit den Wert der Freiheit. Man hält sie für selbstverständlich. Antikapitalismus wird in Deutschland nicht vor allem von Arbeitern vertreten, sondern er ist vor allem eine Religion der Intellektuellen. Intellektuelle können Kapitalismus nicht leiden. Warum? Es gibt in jeder Gesellschaft mindestens zwei Eliten, die Wirtschafts- und die Bildungselite. Wenn man aus einem Akademikerhaushalt kommt, so wie ich, dann kriegt man, plump gesagt, beigebracht: Je mehr Bücher du gelesen hast, umso mehr Anerkennung gebührt dir.

Doch die Akademiker erleben später, sie können zwar ein belesener Philosoph sein, doch der ehemalige Schulkollege, der im Deutschunterricht nur immer knapp an der Fünf vorbeigeschrammt ist, hat mit einer Businessidee das schönere Haus, das schönere Auto und die schönere Frau. Da denkt der dann: Der Markt versagt, der Kapitalismus ist ungerecht. Der zweite Grund ist, Intellektuelle lieben es, auf dem Reißbrett abstrakte Entwürfe zu konstruieren. Doch der Kapitalismus funktioniert anders. Da geht es um spontane Entwicklungen, dafür werden weder Intellektuelle noch deren Theorien gebraucht.

Sie stammen aus einem Akademikerhaushalt. Wieso hat Sie das in Sachen Kapitalismus nicht geprägt?

Doch, besonders mein Vater, ein typischer Intellektueller, hat mein Verhältnis zu Geld stark geprägt. Er hat immer gesagt: Geld ist wie Klopapier, man braucht es, aber es stinkt. Solange man verinnerlicht, dass Geld etwas Negatives ist, wird man auch kein Geld verdienen. Wer Geld nicht mag, den mag das Geld auch nicht. So war es auch bei mir: Bis Ende 30 habe ich kein Geld gehabt. Doch als ich anfing, Geld vor allem mit Freiheit zu assoziieren, auch und gerade mit geistiger Freiheit, wurde ich Millionär.

Sie waren auch eine Zeitlang überzeugter Marxist.

Das stimmt. Mit 13 gründete ich eine linke Gruppe namens „Rote Zelle“ und habe eine Zeitung herausgegeben, die hieß Rotes Banner. Eine Schülerzeitung, die ich davor herausgegeben hatte, hatte ich anfangs mit Anzeigen von Neckermann finanziert. Doch die sind mir, je linker die Zeitung wurde, irgendwann abgesprungen. Schließlich stand neben der Anzeige von Neckermann der Spruch: „Macht Unternehmern Dampf, Klassenkampf!“

Zwischen Marxismus und Kapitalismus beschäftigten Sie sich ausgiebig mit dem Faschismus. Ihre erste Doktorarbeit trägt den Titel „Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs“. Aus dem Nationalsozialismus scheint Deutschland die richtigen Lehren gezogen zu haben, aber was ist mit den Lehren aus dem Kommunismus?

Wir ziehen weder aus dem einen noch dem anderen die richtigen Lehren; eher ziehen wir überhaupt keine Lehren.

Es gibt in Deutschland eine international wohl einzigartige Erinnerungs- und Aufarbeitungskultur, was das Dritte Reich betrifft.

Ja, das sehe ich auch positiv, denn so etwas gibt es zum Beispiel in China nicht. Man muss aber fähig sein zu abstrahieren, sonst lernt man auch nichts daraus. Es wird nicht versucht, allgemeine Schlüsse zu ziehen.

Was meinen Sie damit?

Dass zum Beispiel die Hölle auf Erden selten dadurch entsteht, dass Menschen von Anfang an das Böse wollen. So war das auch nicht beim Marxismus, bei Lenin. Die Marxisten wollten ursprünglich eine schöne Utopie verwirklichen, und dann ist etwas Schreckliches daraus entstanden. Das war nicht der Anfang der Geschichte, sondern das Ende. Am Anfang standen Menschen mit überbordendem Idealismus, die eine neue Gesellschaft formen wollten.
 

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Im Englischen gibt es ein weitverbreitetes Sprichwort: „The road to hell is paved with good intentions“ (Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert). Im Deutschen existiert keine gängige Entsprechung. Woran liegt das?

In Deutschland misst man Menschen nach ihren Absichten und nicht nach ihren Ergebnissen. Man sieht Idealismus per se als etwas Gutes an. Manche sagen: „Ich lehne Greta Thunberg ab, aber immerhin ist sie eine Idealistin.“ Das ist genau das Problem. Die Kämpfer des „Islamischen Staats“ sind auch Idealisten. Das Ergebnis und die Absichten können so weit auseinanderliegen.

Gleichzeitig entsteht häufig etwas Gutes aus der Verfolgung eigener Interessen, zum Beispiel wenn Menschen nach Geld streben. Nehmen wir die Gründer von Aldi als Beispiel. Sie wollten Geld verdienen. Aber durch ihre Geschäftsidee haben sie unzählige Produkte in guter Qualität zu einem niedrigeren Preis angeboten und damit gerade einfachen Menschen geholfen. Das war das Ergebnis, die Absicht aber war indes nicht primär idealistisch, sondern eher egoistisch. Bei den größten Idealisten kommt andererseits am Ende manchmal das genaue Gegenteil heraus: ein verbrecherisches System. Deswegen müssen wir die Leute an den Ergebnissen ihrer Handlungen messen, nicht an ihren Absichten.

Apropos Greta Thunberg, was halten Sie von der Klimaaktivistin? 

Sie hat nichts anzubieten, außer zu fordern, dass alle Menschen in Panik verfallen. Stellen Sie sich vor, man sitzt im Kinosaal und es fängt an zu brennen. Niemand würde in so einer Situation dazu auffordern, jetzt in Panik zu geraten. Aber bei Greta denken die Menschen: Weil jemand eine gute Absicht hat, etwas gegen den Klimawandel zu tun, ist automatisch gut, was sie empfiehlt. Aber wenn man näher hinschaut, fordern viele „Klimaaktivisten“ reine Planwirtschaft. Sie nennen es nur nicht so. Planwirtschaft aber ist ein System, das in der Geschichte noch nie etwas Positives geschaffen hat, das die Umweltzerstörung sogar vorantrieb, zum Beispiel in der DDR. Und dann erhoffen sich Leute von so einem System heute die Lösung? Ich glaube, wenn sich das durchsetzt, führt das zum Super-GAU für die Umwelt. Und nicht nur für die Umwelt, sondern auch für das Überleben der Menschheit.

Ist der Kapitalismus in Ihren Augen dann die Lösung für das Problem des Klimawandels?

Er ist sogar die einzige Lösung. Kapitalistische Länder haben die höchsten Umweltstandards. Die Aussage wird Sie erstaunen, aber ich belege sie in meinem Buch „Die 10 Irrtümer der Antikapitalisten“. Auch können wir den Ressourcenverbrauch durch Kapitalismus dezimieren. So haben wir ein iPhone, das die Funktionen von 30 Einzelgeräten bündelt. Es stimmt nicht, dass Wachstum zwangsläufig zu mehr Ressourcenverbrauch führt. Es ist andererseits sehr gefährlich, dass Bewegungen, die sich für die Umwelt einsetzen, die Abschaffung des Kapitalismus verlangen. Wir brauchen mehr Kapitalismus, um das Klimaproblem zu lösen – nicht weniger.

Zwar haben die wohlhabendsten Länder die schärfsten Umweltstandards, aber eben auch den größten ökologischen Fußabdruck. Wenn die ganze Welt so leben würde wie wir Deutschen, bräuchte man dafür jedes Jahr drei Erden. Das heißt, wir leben über unsere Verhältnisse. Das soll nichts mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem zu tun haben? 

Wenn man so argumentiert, dann müssen wir alle in Armut leben. Dann ist es so wie bei den ärmsten Ländern Afrikas, dann sollten wir uns an ihnen ein Vorbild nehmen. Ich glaube aber nicht, dass das eine gute Lösung ist. Wenn Wirtschaftswachstum beginnt, gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen Wachstum und CO2-Ausstoß, doch mit der Zeit findet eine Entkoppelung statt. Das kann man in vielen entwickelten kapitalistischen Ländern beobachten.

Machen Sie sich keine Sorgen wegen der Auswirkungen des Klimawandels?

Doch. Ich halte ihn für ein reales Problem. Nur ich stimme den Lösungswegen, die momentan vorgeschlagen werden, nicht zu. Auch wird immer gesagt: Alle Wissenschaftler sind sich einig bei dem Thema. Das stimmt aber nicht. Es gibt kein Thema, bei dem sich alle Wissenschaftler einig sind. Einig sind sie sich nur darin, dass es einen Klimawandel gibt und dass er zum größten Teil menschengemacht ist. Aber wie die Auswirkungen wirklich sein werden, ist umstritten – und was wir dagegen tun sollen erst recht.

Fridays for Future und die Letzte Generation sprechen von einem Klimanotstand und sagen, dass wir auf eine Massenvernichtung zusteuern, die das Leben auf dem Planenten unmöglich machen könnte. Glauben Sie das auch?

Diese Weltuntergangssekten, so nenne ich die Letzte Generation, sind nichts Neues. Wer sich mit Geschichte auskennt, weiß, dass es die immer schon gab, also die, die Apokalypse prophezeit haben und meinten, wir gehen unter, dass wir Buße tun und uns einschränken müssen. Positives haben solche Menschen noch nie bewegt. Ich denke, Steve Jobs und Elon Musk haben mehr für die Umwelt getan als die Leute, die sich hier in Berlin auf der Straße festkleben und Autofahrer entnerven.

Was wäre Ihr Lösungsvorschlag für die Probleme des Klimawandels?

Es gibt kein Idealrezept für die beste Lösung. Aber es ist auch schon gut zu wissen, wie es nicht funktioniert oder wie man die Sache noch verschlimmert. Dieser Panikmodus verbunden mit der Forderung, dass wir den Kapitalismus abschaffen, führt auf jeden Fall zur Verschlimmerung des Klimawandels. Zum Beispiel haben wir in Deutschland die Kernkraftwerke abgeschaltet. Doch mittlerweile hat selbst Greta Thunberg erkannt, dass das die falsche Entscheidung war. Dadurch musste man auf Kohle umschalten, hat sich von Gas abhängig gemacht, und jetzt haben wir den Schlamassel.

Sehen sie diese Fehlentscheidungen nur bei der Klimapolitik oder auch noch in anderen Bereichen, beispielsweise im Umgang mit Russland vor dem 24. Februar?

Wir schlagen immer von einem Extrem ins andere. Zuerst diese naive, lasche Politik gegenüber Putin. Jetzt hat man erkannt, dass das ein Fehler war, und sofort wollen wir uns mit allen – auch mit China – anlegen. Das ist deutscher Größenwahn. Sich mit der Volksrepublik anzulegen, mag zwar moralisch gut klingen, aber das ist eine völlige Selbstüberschätzung. Wir Deutschen, besonders die Grünen, neigen zur Selbstüberschätzung: „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.“ Ob bei der Klima- oder der Flüchtlingspolitik. Wir haben so großen Missionseifer und sind hypermoralisch. Die ganze Geschichte vorher war schlecht, deswegen müssen wir auch mit unserer Cancel Culture Denkmäler abreißen und dürfen Kant nicht mehr lesen.

Was meinen Sie, wenn Sie sagen, wir brauchen mehr Kapitalismus, um die Klimakrise zu lösen?

Atomkraftwerke zum Beispiel. Sie abzuschaffen, war eine Entscheidung von Merkel, weil sie hoffte, vor den Wahlen in Baden-Württemberg den Grünen den Wind aus den Segeln zu nehmen – nicht einmal das hat funktioniert. Die Kernkraftwerkbetreiber hätten gerne noch weiter Geld verdient. Im Silicon Valley werden gerade viel fortgeschrittenere AKWs entwickelt. Wir haben überall in der Welt zu viel staatliche Einmischung und Regulierung. Ich bin nicht gegen jede Regulierung, aber die Meinung, je mehr Regulierung umso besser, ist einfach Quatsch. Sonst wäre die DDR das beste System gewesen. Man musste 12 bis 17 Jahre auf ein Auto warten, und die Umweltverschmutzung war wesentlich schlimmer als im Westen. Ich habe gerade einen Film darüber gemacht, den man auf YouTube sehen kann: „Life behind the Berlin Wall“.

Dem entgegnen Verfechter des Sozialismus gerne, dass es in der DDR den „richtigen Sozialismus“ gar nicht gegeben habe.

Ja, das sagen sie dann immer. Sobald Sozialismus scheitert, war er plötzlich kein Sozialismus. Erst waren alle glühende Stalinanhänger, auch Intellektuelle wie Jean-Paul Sartre. Fakt ist: Es gab 24 sozialistische Projekte in den letzten 100 Jahren, und alle sind gescheitert – ohne Ausnahme.

Wann kam für Sie persönlich der Moment, als Sie sich voll und ganz für den Kapitalismus entschieden haben? 

Meine politische Meinung hat sich im Laufe der Zeit geändert. Mit Mitte 20 war ich nicht mehr links, aber auch noch lange kein Kapitalismusanhänger. Es ist ein bisschen wie bei Sahra Wagenknecht, das Umdenken fängt bei Einzelthemen an. Zum Beispiel bei der Zuwanderung in den 80ern, die habe ich damals kritisch gesehen, die Linken haben von Multikulti geträumt. Ich mochte auch noch nie die sogenannte Political Correctness. Das sind Punkte, die heute Sahra Wagenknecht kritisiert, oder Boris Palmer. Manche Leute meinten, ich sei konservativ oder rechts, wirtschaftspolitisch war ich aber noch lange eher kapitalismuskritisch. Der größte Schritt ist nicht der von links nach rechts, sondern von antikapitalistisch zu prokapitalistisch.

Sie erzählten, dass sie bis Ende 30 gar kein Geld hatten und auch keins verdienen wollten. Wie änderte sich das?

Es gab einen Moment. Ich arbeitete damals bei der Zeitung Die Welt und führte viele interne Kämpfe, auch politisch gesehen. Außerdem hatte ich überstürzt geheiratet, und nach ein paar Monaten war die Ehe zu Ende. Manchmal kommt im Leben viel Scheiß zusammen. Auf einem Spaziergang mit dem CSU-Politiker Peter Gauweiler, der als Top-Anwalt immer viel Geld verdiente, sagte er zu mir: „Sie müssen einfach mal richtig Kohle machen, dann können Sie sich ihre eigene Meinung leisten.“ Das war für mich ein völlig neuer Gedanke. Geld bedeutet Freiheit, das hat mir eingeleuchtet. Also meinte ich: „Ok, dann werde ich Millionär.“ Ein paar Jahre später war es auch so.

Also macht Geld doch glücklich? 

Zu sagen, dass Geld allein glücklich macht, ist Quatsch. Es gibt verschiedene Dimensionen im Leben, eine davon ist Geld. Schreiben Sie mal all Ihre Probleme auf einen Zettel, und schauen Sie sich an, wie viele sich von selbst lösen oder gar nicht entstehen würden, wenn Sie reich wären. In Deutschland haben wir einen speziellen Blick auf Geld und Reichtum. Niemand sagt wie etwa in China: „Ich wünsche dir viel Geld.“ Und wer sagt „Ich will viel Geld“, gilt als oberflächlich. Jedoch ist Solidarität oft nur ein anderes Wort für „Ich will dein Geld“. Wenn ich sage, ich will viel Geld verdienen, dann ist es Gier, wenn ich sage, ich will dein Geld, ist es soziale Gerechtigkeit.

Die Fragen stellten Moritz Eichhorn und Franka Klaproth.
 

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