Sanktionen des Westens - Warum ist Russlands Wirtschaft so widerstandsfähig?

Mit Sanktionen wollte der Westen die russische Wirtschaft kollabieren lassen – doch das hat bisher nicht funktioniert. Moskau konnte den Handel mit anderen Ländern ausweiten. Und der Kreml arbeitet bereits an einer Neujustierung seiner Außenpolitik.

Ölförderanlage in Russland / picture alliance
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Ekaterina Zolotova ist Analystin für Russland und Zentralasien beim amerikanischen Thinktank Geopolitical Futures.

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Je länger sich der Ukrainekrieg hinzieht, desto deutlicher wird, dass die wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen zwischen Russland und dem Westen in absehbarer Zeit nicht wiederhergestellt werden können. Selbst wenn der Konflikt jetzt beendet würde, ist nicht garantiert, dass die Sanktionen aufgehoben werden oder dass westliche Firmen auf den russischen Markt zurückkehren. Damit internationale Unternehmen wieder in Russland Fuß fassen, sind zuverlässige Verkehrsnetze, Schutz für Investoren und funktionierende Zahlungssysteme erforderlich, deren Wiederherstellung einige Zeit in Anspruch nehmen wird.

Der Kreml hat daher begonnen, Vorkehrungen zu treffen. In den vergangenen Monaten hat er Regierungsvertreter ins Ausland entsandt, um die Beziehungen zu nicht-westlichen Staaten zu stärken. Moskau beginnt, sein neues außenpolitisches Konzept zu formulieren – auch wenn es sich in mancher Hinsicht nicht allzu sehr von seinem früheren unterscheidet.

Russische Wirtschaft nicht zusammengebrochen

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion öffnete sich die russische Wirtschaft gegenüber der restlichen Welt. Moskau steigerte den Export von Rohstoffen, erlaubte internationale Investitionen in russische Unternehmen und trat multinationalen Institutionen wie der Welthandelsorganisation bei. Als die westlichen Regierungen nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine strenge Sanktionen verhängten und sich westliche Unternehmen in Scharen aus dem russischen Markt zurückzogen, erwarteten viele, dass die russische Wirtschaft praktisch zusammenbrechen würde. Das ist aber nicht geschehen. Vielmehr hat sich die Wirtschaft weitaus widerstandsfähiger gezeigt, als viele erwartet hatten. 

Das russische Bruttoinlandsprodukt ist im Jahr 2022 um 2,1 Prozent gesunken – deutlich besser als die Prognosen, die zwischen einem Rückgang von 4,7 und 5,6 Prozent schwankten. Die russische Nationalbank hob auch ihre Prognose für 2023 auf einen Wert zwischen minus 1 Prozent und plus 1 Prozent an, während sie zuvor im Oktober von einem Rückgang des BIP um 1 bis 4 Prozent ausgegangen war. Die Investitionen stiegen im Zeitraum Januar bis September 2022 im Jahresvergleich um 5,9 Prozent und im dritten Quartal real um 3,1 Prozent. Dies wurde durch strukturelle Veränderungen in der Wirtschaft, einschließlich der Umsetzung von Importsubstitutionsmaßnahmen, begünstigt.

Auch langfristig widerstandsfähig?

Es stellt sich jedoch die Frage, ob diese Widerstandsfähigkeit längerfristig Bestand haben wird. Das Kapital, das seit dem Exodus vor einem Jahr nach Russland zurückgekehrt ist, ist bereits investiert worden, und neue Finanzspritzen sind unwahrscheinlich. Die Umsetzung aller Änderungen, die für ein funktionierendes Importsubstitutionsmodell erforderlich sind, wird Jahre dauern. Es wird auch Zeit brauchen, um verlässliche neue Handelspartner zu finden und um eine Infrastruktur aufzubauen, die erforderlich ist, um russisches Öl und Gas auf neue Märkte zu bringen. Die Vergrößerung des Marktanteils in Ländern, in denen Russland bereits stark vertreten ist, ist ebenfalls ein langwieriger Prozess, der die Unterzeichnung einer Reihe von bilateralen Abkommen sowie die Ausarbeitung einer Logistik und einer Währung für den Zahlungsverkehr umfasst.

Die Struktur des russischen Handels wird diese Veränderungen noch schwieriger machen. Er konzentrierte sich lange Zeit auf eine kleine Gruppe von Ländern – nämlich die Länder der Europäischen Union und China. Vor Beginn des Ukrainekriegs entfiel ein Drittel des russischen Handels auf die EU, ein weiteres Drittel auf den asiatisch-pazifischen Raum. Auch bei den Exporten und Importen war die Liste kurz. Erdgas, Erdöl und Erdölerzeugnisse machten einen großen Teil der Ausfuhren aus, während Maschinen und Hightech-Ausrüstung die wichtigsten Einfuhren waren. Daran hat sich auch im vergangenen Jahr nicht viel geändert.

Der Kreml-Plan

Daher hat der Kreml einen Plan entwickelt, der die Wirtschaft durch die nächsten fünf Jahre bringen soll – oder eben so lange wie es dauert, bis sein Importsubstitutionsprogramm voll einsatzfähig ist. Dieser Plan besteht aus drei Komponenten.

Die erste besteht darin, das Sanktionsregime zu umgehen und wieder Zugang zum EU-Markt zu erlangen. Am einfachsten lässt sich dies durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit Transitländern erreichen – also mit Zwischenhändlern, über die Russland seine Waren heimlich an seine traditionellen Kunden verkaufen und Zugang zu dringend benötigter Technologie und Hightech-Ausrüstung erhalten kann. Russland ist nach wie vor auf Importe von Hightech-Produkten und -Komponenten angewiesen, sodass die Suche nach einem Zwischenhändler in dieser Hinsicht entscheidend ist. Im vergangenen Jahr stellte die Europäische Union fest, dass Russland bei 45 Prozent seiner Hochtechnologieprodukte von Europa und nur bei 11 Prozent von China abhängig ist.
 

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Zu den Transitländern werden wahrscheinlich auch die postsowjetischen Staaten gehören, die ihren Handel mit Russland im vergangenen Jahr erheblich gesteigert haben. Im Jahr 2022 belief sich der Handelsumsatz zwischen Georgien und Russland auf über 2,4 Milliarden US-Dollar, was einem Anstieg von 52 Prozent gegenüber 2021 entspricht. Armenien gibt an, dass seine Exporte nach Russland um fast 50 Prozent gestiegen sind, was die Frage aufwirft, ob das Land Moskau mit Waren beliefert, die der Kreml zunehmend nicht mehr aus dem Ausland beziehen kann. Kasachstans Exporte nach Russland beliefen sich im Jahr 2022 auf insgesamt 8,8 Milliarden Dollar, was einem Anstieg um 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Bemerkenswert ist, dass die europäischen Exporte in einige Nachbarländer Russlands – Weißrussland, Armenien, Kasachstan, Georgien, Usbekistan und Kirgisistan – im gleichen Zeitraum um 48 Prozent auf 20,3 Milliarden Euro gestiegen sind.

Zwischenhändler von entscheidender Bedeutung

Russland wird auch auf Zwischenhändler angewiesen sein, die im Energiesektor tätig sind und die traditionellen Kunden des Kremls in Europa mit russischem Gas, Öl und Ölprodukten beliefern können. Einer der wichtigsten Zwischenhändler in diesem Bereich ist die Türkei. Zwischen Januar und September belief sich der Handelsumsatz zwischen Russland und der Türkei auf 47 Milliarden Dollar, doppelt so viel wie in den ersten neun Monaten des Jahres 2021. Die russischen Exporte von Dieselkraftstoff und anderen Erdölprodukten nach Nordafrika sind ebenfalls stark angestiegen, da die europäischen Käufe zurückgegangen sind. Im Januar importierte Marokko zwei Millionen Barrel Diesel, verglichen mit etwa 600.000 Barrel im gesamten Jahr 2021. Auch Tunesien, Ägypten, Libyen und Algerien haben ihre Käufe erhöht. Dies könnte für Moskau eine Möglichkeit sein, die Sanktionen zu umgehen, da der Treibstoff in diesen Ländern mit inländischen Lieferungen gemischt und dann an die europäischen Märkte weiterverkauft werden kann.

Die zweite Komponente ist die Steigerung der Exporte in Märkte mit hoher Energienachfrage, nämlich China und Indien. Im Dezember stiegen die russischen Ölexporte nach Indien im Vergleich zum Vormonat um 25 Prozent. Im Februar erreichten die Lieferungen von russischem Rohöl nach Indien ein Rekordhoch. Moskau lanciert auch neue Energieprojekte in Zentralasien, um den Absatz nach China zu steigern, mit dem Russland ebenfalls neue Exportrekorde aufstellt.

Die dritte Komponente ist die Stärkung der wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Beziehungen zu Ländern, an denen die Vereinigten Staaten ein besonderes Interesse haben. Der Kreml kann dies tun, indem er seine Beziehungen ausbaut in Teilen der Welt, zu denen er historische Verbindungen und Loyalitäten hat. Dazu gehören der asiatisch-pazifische Raum, wo russische Firmen Aufträge zum Bau von Kernkraftwerken erhalten haben, und Lateinamerika, wo die Präsenz Russlands Washington irritiert.

Seit Beginn des Ukrainekriegs haben sich die meisten lateinamerikanischen Länder relativ neutral verhalten, indem sie es ablehnten, sich dem westlichen Sanktionsregime anzuschließen oder Russland in der Uno und anderen internationalen Institutionen zu verurteilen. Die engsten Verbündeten Russlands in der Region (Venezuela, Kuba und Nicaragua) haben sich jedoch explizit für Moskau ausgesprochen. Obwohl Russlands Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zu Lateinamerika noch relativ gering sind, zeigen russische Unternehmen zunehmend Interesse an Geschäften mit diesen Ländern. Im Januar bestätigte Russland seine Bereitschaft, Brasilien mit den von dessen Agrarsektor benötigten Düngemitteln zu beliefern.

Neue außenpolitische Doktrin

Im Dezember erklärte Russland, es wolle eine neue außenpolitische Doktrin entwickeln, die sich vage auf drei Regionen konzentriert: Asien, Afrika und Lateinamerika. Bevor Moskau diese Doktrin der Öffentlichkeit vorstellt, testet es jedoch, ob die Transitländer, auf die es sich verlassen will, genügend Vorteile aus ihren Beziehungen ziehen, um dem Druck des Westens, insbesondere der USA, standzuhalten. Washington hat bereits Druck auf die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate ausgeübt, damit sie Russland bei der Umgehung der Sanktionen nicht unterstützen. Außerdem hat Amerika die Gespräche mit Zentralasien intensiviert, wozu auch ein Besuch von Außenminister Antony Blinken in Kasachstan und Usbekistan in der vergangenen Woche gehörte.

Moskau hat seinerseits die Zahl der offiziellen Regierungsbesuche im Ausland ebenfalls erhöht. Der russische Außenminister Sergej Lawrow nahm vorige Woche am G20-Gipfel der Außenminister in Indien teil, während Nikolai Patruschew, der Sekretär des Sicherheitsrates, Algerien, Kuba und Venezuela besuchte. Premierminister Michail Mischustin besuchte Tadschikistan am 2. und 3. März zu Gesprächen mit seinem tadschikischen Amtskollegen. Seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine hat Lawrow außerdem drei separate Afrika-Reisen unternommen.

Der Kreml sieht eindeutig die Notwendigkeit, seine außenpolitische Doktrin zu aktualisieren. Aber die große Frage ist, wie er die Struktur seines Handels ändern kann, die der Schlüssel zu seiner Fähigkeit sein wird, den westlichen Sanktionen in Zukunft zu trotzen. Nach mehr als einem Jahr hat sich das Handelsgefüge nicht dramatisch verändert. Doch angesichts der Tatsache, dass es lange dauern wird, Beziehungen zu neuen Handelspartnern aufzubauen, wird sich der Kreml vorerst weiterhin auf seine traditionellen Partner konzentrieren.

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