Zwei Davidsternaufkleber und ein zerrissenes Hakenkreuz auf einem Tisch im Foyer des Konstanzer Stadttheaters ach der Premiere des Stücks "Mein Kampf" von George Tabori.
Kunst oder Effekthascherei? Die makabre Aktion mit Hakenkreuzbinden und Davidsternen / picture alliance

Theaterinszenierung „Mein Kampf“ - Hakenkreuze als Konfettiregen

Mit ihrer Theaterinszenierung von „Mein Kampf“ haben der Konstanzer Intendant Christoph Nix und Regisseur Serdar Somuncu weltweit Protest erregt. Die Premiere zeigte, dass die makabre Aktion um Hakenkreuzbinden und Judensterne keine Kunst, sondern Werbemasche war

Tobias Engelsing

Autoreninfo

Tobias Engelsing ist promovierter Historiker, Journalist und leitet die Städtischen Museen in Konstanz.

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Wenige Stunden vor Beginn der umstrittenen Konstanzer Premiere des bereits 1987 in Wien uraufgeführten Stücks „Mein Kampf“ von George Tabori, terminiert auf Hitlers Geburtstag am 20. April, wurde angeblich umgeschrieben: Der Intendant des Theaters, Christoph Nix, habe, wie Insider berichten, in allerletzter Sekunde entschieden, auf den spektakulärsten Teil der Inszenierung zu verzichten: Eigentlich hätten sich die Besucher einen vorbereiteten gelben Judenstern anheften oder eine Hakenkreuzbinde über den Arm streifen sollen. Wer an diesem Abend ein Hakenkreuz tragen wollte, hatte eine Freikarte erhalten. Etwa 50 Kartenkäufer hätten sich für das Hakenkreuz entschieden, hatte das Theater angegeben. Das zahlende Publikum hingegen sollte einen Judenstern tragen.

Umringt von Kamerateams und Radiomikrofonen, die dokumentieren wollten, wie in einem deutschen Theater Zuschauer wieder Hakenkreuzbinden tragen, warteten die Besucher allerdings vergeblich: Weder wurden Judensterne noch Hakenkreuze verteilt. Erst ganz am Ende der Aufführung traten die umstrittenen Symbole in Aktion: Als banaler Konfettiregen gingen sie im Theatersaal auf die ratlosen Zuschauer nieder.

In den Tagen zuvor hatte die Aktion ein weltweites Medienecho ausgelöst (auch die New York Times berichtete). Vor allem nachdem die nach 1945 neu gegründete Jüdische Gemeinde Konstanz entschiedenen Protest gegen diesen „Marketing-Gag“ des Theaters eingelegt und ihren Mailverkehr mit der Theaterleitung öffentlich gemacht hatte. An Hitlers Geburtstag Freikarten mit Hakenkreuzen zu verteilen, sei eine „perverse Idee“, Zuschauer dazu anzuhalten, einen Judenstern zu tragen, „eine Verhöhnung der Opfer“ des Holocausts, schrieben der Konstanzer Soziologie-Professor Erhard Roy Wiehn, Rechtsanwalt Salomon Augapfel und die Vorsitzende Mina Jonneck im Namen der rund 450 Mitglieder zählenden Gemeinde.

Ein „notwendiger Teil des Kunstwerks“

Daraufhin belehrte die Theaterleitung die Kritiker aus der Jüdischen Gemeinde in praktischer Geschichtspolitik: Keineswegs handle es sich bei der Aktion um einen „Marketing-Gag“, vielmehr seien die beiden Symbole „ein notwendiger Teil des Kunstwerks“. Die von der Jüdischen Gemeinde befürchtete Schmähung der fortwirkenden Menschenwürde der Opfer des Nationalsozialismus sei nicht zu befürchten, denn, so das Theater: „Das Tragen des Davidsterns ist eine positive Geste der Solidarität mit den Opfern von nationalsozialistischer Gewaltherrschaft, Fanatismus und Faschismus.“ Auch der Hinweis darauf, dass es für unseren Zusammenhalt mit den toten Juden etwas zu spät sei, verfing nicht.

In George Taboris Stück „Mein Kampf“ von 1987 kümmert sich der Jude Schlomo Herzl im Wiener Männerasyl des Jahres 1900 um den heruntergekommenen Adolf Hitler. Heute würde man sagen: Er coacht den verkrachten Künstler, weil er als gläubiger Mensch auch diesen hasserfüllten Rassisten zu lieben versucht. Der schwadroniert von künftiger Größe: „Ich will geschrumpfte Leute um mich haben, in Reih und Glied.“ Solcher Größenwahn ist aktuell, nimmt doch die Sehnsucht nach „Führern“ in Europa wieder zu. Auch die Konstanzer Inszenierung dieses wohl bekanntesten Stücks Taboris sollte an den Hitler in uns allen erinnern und die Zuschauer sensibilisieren gegen Antisemitismus und Autoritarismus.

NS-Symbole als künstlerische Inszenierung

Zwischenzeitlich aber waren zwei Strafanzeigen bei der örtlichen Staatsanwaltschaft eingegangen: Das Hakenkreuz ist wie kein anderes Symbol der deutschen Geschichte kontaminiert. Zurecht steht seine Verwendung – von wenigen genau abzugrenzenden Ausnahmen (Wissenschaft, Kunst) abgesehen – unter Strafe. Der Paragraph 86 a des Strafgesetzbuches beschreibt ein „abstraktes Gefährdungsdelikt“, das heißt: Weder muss der Täter dieses Delikts dem Symbol inhaltlich zustimmen, noch muss davon eine konkrete Gefahr für die Rechtsordnung ausgehen. Es reicht, dass ein objektiver Betrachter den Eindruck gewinnt, die Träger des Zeichens könnten sich mit der NS-Zeit identifizieren. Das Theater, das Hakenkreuzbinden herstellt, vorrätig hält und verteilt, und die Zuschauer, die das Abzeichen tragen, könnten sich strafbar machen. Die Staatsanwaltschaft Konstanz befand, sie könne nur begangene Straftaten beurteilen, außerdem sei die Theateraktion mutmaßlich von der Kunstfreiheit gedeckt – eben weil die NS-Symbole wesentlicher Teil der künstlerischen Inszenierung des Stücks sein würden.

Diese Entscheidung heizte das mediale Interesse am bevorstehenden Konstanzer Theaterskandal eher noch an: Journalisten aus aller Welt berichteten vom sonst so idyllischen Bodensee, an dem seit 1945 auch wieder jüdisches Leben blüht. Aktueller Antisemitismus ist hier weder an Schulen noch in der Gesellschaft derzeit ein gravierendes Problem, unter anderem weil die Hochschulen, Schulen, das liberale Bürgertum und zahlreiche Initiativen und Kultureinrichtungen die Erinnerung an die NS-Jahre lebendig halten. In einigen Monaten wird in der Konstanzer Altstadt, unweit vom Standort der 1938 zerstörten Synagoge, ein neues jüdisches Gotteshaus eingeweiht werden.

„Mach es an Hitlers Geburtstag“

Auf einer vier Tage vor der Premiere eilig einberufenen Pressekonferenz beteuerte der seit 2006 in Konstanz amtierende Intendant des Stadttheaters, Christoph Nix, mit gesenktem Haupt und brechender Stimme, es mache ihn sehr betroffen, wenn sich „jüdische Freunde“ und die Jüdische Gemeinde verletzt sähen. Andererseits verwies der – nach eigenem Bekenntnis – linke Theatermacher vom Subjektiven aufs Allgemeine und exkulpierte das Vorhaben: „Nicht wir, sondern die Gesellschaft begeht einen Tabubruch.“ Er sei stolz, dass das Theater Risiken eingehe, auf den zunehmenden Antisemitismus hinweise und ganz im Sinne Taboris das Stück auf die Bühne bringe. Schließlich habe Tabori ihm, Nix, im Jahr 2001 die Empfehlung mit auf den Weg gegeben: „Wenn du irgendwann ‚Mein Kampf‘ inszenierst, dann mach es an Hitlers Geburtstag. Und sie, die Faschisten, werden kotzen.“

Und die fortwirkenden Persönlichkeitsrechte der ermordeten Juden, die Befindlichkeit von Nachfahren und Zuschauern? Im Interview mit einem lokalen Konstanzer Kulturblatt hatte Regisseur Serdar Somuncu bereits klar gestellt, wie er arbeite: „Provokation ist eine Nebenwirkung der Kunst, die ich mache“ Und: „Ich mache meine Arbeiten immer mit einer gewissen Konsequenz und nehme dabei keine Rücksicht auf diese Befindlichkeiten.“ Im Vorfeld des Premierenabend verteidigte der als Kabarettist, Theatermacher und Musiker bekannte Gastregisseur seinen Standpunkt kompromisslos: Die von vielen Seiten kommende Kritik sei ein Versuch der Einschüchterung gewesen und eine „Reaktion auf Marginalien, auf Oberflächlichkeiten“.

In einem selbstentlastenden Akt der Publikumsbeschimpfung befand Somuncu dann, das wahrlich Erschreckende am Spiel mit den Nazi-Symbolen sei, „dass sich tatsächlich Leute darauf eingelassen haben, für eine Gratiskarte ein Hakenkreuz zu tragen. Das spricht Bände für unsere Gesellschaft.“ Dem zunehmenden Antisemitismus müssen man mit radikalen Mitteln entgegen wirken: „Offensiv raus auf die Straße und zwar direkt ins Gesicht unserer politischen Gegner.“ Konkret hieß das: Die Hakenkreuzträger im Zuschauerraum sollten während der Aufführung durch spezielles Blaulicht zum Leuchten gebracht werden: Der Freikarten-Inhaber als geiziger Nazi.

Hohler Theaterdonner

Doch nichts von alledem geschah am Premierenabend. Offenbar hatten Nix und Somuncu kalte Füße bekommen oder gar am Ende die Einsicht gewonnen, dass nicht jedes Mittel den Zweck heiligt? Über die Bühne ging jedenfalls eine großzügig aktualisierte und eindrucksvoll gespielte Fassung von Taboris Stück, in der außer dem Juden Schlomo und Hitler alle Figuren mit heutigen Politikern – Donald Trump, Frauke Petry, Geert Wilders – gewissermaßen „überschrieben“ wurden. Der Feuilletonchef des Südkurier, Johannes Bruggaier, bilanzierte am Wochenende Licht und Schatten: „Der Schatten überwiegt: Mit seiner Übertragung komplexer Charaktere in Politikerkarikaturen stellt sich Somuncu selbst ein Bein.“

Und wie war das doch gleich: Hakenkreuze und Judensterne seien „wesentlicher Teil des Kunstwerks“, der Judenstern gar Ausdruck der Solidarität mit den Opfern? Offenbar waren sie, ebenso wie das Premierendatum an Hitlers Geburtstag, nicht viel mehr als hohler Theaterdonner: Marktschreierisches Anreißertum mit – nebenbei – größtmöglicher Negativwirkung für die weltoffene Stadt am Bodensee. Am Rande der Pressekonferenz, wenige Tage vor der Premiere, hatte ein junges Mitglied der Jüdischen Gemeinde, Arthur Bondarev, einen nachdenklichen Satz gesprochen, der in Erinnerung bleibt: „Man muss nicht die Shoah instrumentalisieren, um die Gesellschaft aufzurütteln.“

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ingrid Dietz | Mo., 23. April 2018 - 17:13

und das soll "Kunst" sein ?

Mathias Trostdorf | Mo., 23. April 2018 - 17:43

Das ganze klingt, als wärs auf dem selben Niveau wie die Mucke von Kollegah und co angesiedelt. Provozieren um des Provozierens willen. Mal abgesehn von der ausgelutschten Sache, die Originalfiguren durch aktuelle Politikerfiguren zu ersetzen: Wer kommt auf so unappetitliche Ideen, Leuten durch das Wählen der Hakenkreuzbinde eine Freikarte schmackhaft zu machen, um diese Leute (so wars ja wohl geplant) dann später öffentlich zu erniedrigen. Das sagt mehr über Somuncu aus als über die Leute, die er bloßstellen wollte.
"Künstler", die glauben, sich moralisch über andere erheben zu müssen, fand ich noch nie so den Reisser.

Walter Busch | Mo., 23. April 2018 - 18:28

und zwar, dass der derzeit wieder stark auflebende antisemitismus aus ganz anderen wurzeln gespeist wird.

Joachim Walter | Mo., 23. April 2018 - 22:50

Schade, ich hätte Herrn Somuncu mehr zugetraut!

Tatsächlich hätte ich als Zuschauer vielleicht sogar provokativ die Hakenkreuzbinde gewählt. Nicht um das Eintrittsgeld zu sparen, oder Solidarität mit diesen Nazi-Idioten zu demonstrieren, sondern um - wie zu erwarten - mich genauso zu fühlen wie die Juden: nämlich "durch spezielles Blaulicht zum Leuchten gebracht", also für den ebenso vorhersehbar anwesenden "Mainstream an gutmenschlichen" Theaterbesuchern zum Freiwild gemacht zu werden.

"Da schaut her, da ist der Böse", der Andere, derjenige der nicht konform ist, der sich nicht der Masse angleicht.

Wie sich die Methoden doch gleichen. Deja Vu!

Eine vertane Chance meine ich, und Kunst? ... na ja
Provokation? wo denn?

Wer heute am Theater wirklich provozieren wollte, der bräuchte den Mut diesem "Hitler" den Namen Mohammed oder Erdogan zu geben.

J. Walter

Peter Huber | Di., 24. April 2018 - 08:09

Ein neuer Bewerber für den Echo, oder ähnliche Trophäen..............

Claudia Westphal | Di., 24. April 2018 - 13:39

Wer kommt auf die absurde Idee über Hitler's Mein Kampf auch noch ein Theaterstück nicht zu zu schreiben, sondern auch noch aufzuführen? Wo liegt der tiefere Sinn bzw. der künstlerische Gewinn?

Mein Kampf war zu meiner Schulzeit verboten. Als es dann freigegeben war, habe ich versucht, es zu lesen. Ich wollte wissen, was daran so magisch war bzw. ich hatte mir erhofft, mehr darüber zu erfahren, wie so jemand die Massen begeistern kann. Ich habe es nicht zu Ende gelesen, weil ich mich in diesen schwülstigen, unerträglichen Schmonzes nicht festlesen konnte. Gut, damals war eine andere Zeit und man schrieb in einem anderen Stil. Aber jetzt noch ein Theaterstück?

Dazu fällt mir nur der Satz ein: Ist das Kunst oder kann das weg?

Karin Zeitz | Di., 24. April 2018 - 15:03

Antwort auf von Claudia Westphal

schon mal einen Film, der vor Jahren im Fernsehen gezeigt worden ist. Darin ging es um die Entwicklung des jugendlichen Adolf Hitler von einem verkorksten Subjekt, der aus der Ablehnung seines eingebildeten Talents durch jüdische Professoren der Kunstakademie zum glühenden Judenhasser wird. Offensichtliches Problem ist die Verschlimmbesserung des Stücks durch engagierte Theaterleute, die daraus einen Kassenfüller machen wollten.

Klemens Rotthäuser | Di., 24. April 2018 - 17:19

Herr Walter, ich stimme Ihnen in allen Punkten zu. Nur in einem Punkt bin ich anderer Meinung: ich habe Herrn Somuncu nicht mehr zugetraut.

Dabei gäbe es soviele spannende Themen im Bereich Einwanderung in Sozialsysteme, Parallelgesellschaften, Scharia oder/ und Islam mit dem entsprechenden Konfliktpotential, die Herr Somunclu doch auch mal "künstlerisch" aufarbeiten könnte.
Da wäre noch großer Bedarf.
Er müßte dann allerdings aufpassen, daß er sich da nicht mit den falschen Leuten anlegt, denn viele verstehen da ja nicht den geringsten Spaß.

Renate Genth | Di., 24. April 2018 - 18:35

Dieser apolitische Schwachsinn, den NS zur Seinskategorie zu machen, ist einfach grotesk, aber entspricht dem Zeitgeist, mit Nazivokabeln herumzuwerfen und den NS zur allfälligen Diffamierung zu benutzen. Er entspricht leider dem minimalisierten Bildungsniveau. Ausgerechnet die jüdischen Bürger, die jetzt schon zur Genüge und zurecht Ängste empfinden, werden benutzt für einen "Theaterhype". Ich finde das schäbig und niederträchtig!

Simon Meier | Di., 24. April 2018 - 19:01

Es scheint mir mehr über Somuncu und Nix zu verraten als über "die Gesellschaft", wenn sie den Zuschauern freien Eintritt gegen moralische Selbsterniedrigung (in ihrem Weltbild) anbieten.
Es ist auch lächerlich, dass wohlfeile anheften eines Judensterns als einen Akt der Solidarisierung
zu bezeichnen. Für diese pseudomutige Zeichensetzerei kommen sie 80 Jahre zu spät. Der
Kadaver des 3.Reichs scheint aber immer noch
geistige Tiefflieger und Dünnbrettborer aller couleur zu nähren.

Dr. Rainer Berger | Di., 24. April 2018 - 22:20

Vor einigen Jahren haben meine Frau und ich das Konzert einer jungen Israelin in Konstanz besucht. Dabei mussten wir vor dem Eingang ein Spalier von pöbelnden Demonstranten passieren. Ganz offensichtlich handelte es sich dabei nicht um Rechtsextreme oder Neonazis. Es war der ganz gewöhnliche bürgerliche Hass auf den Judenstaat, der angeblich den neuen Faschismus repräsentiert. Man kann dies auch anders sehen, der gesellschaftlich akzeptierte Judenhass linker und gutmenschlicher Prägung tarnt sich heute als Israelkritik. Nur war gar kein israelischer Politiker anwesend, allein eine junge Israelin reichte den Heuchlern für ihre Hassgefühle.

Joost Verveen | Mi., 25. April 2018 - 06:51

Theater muß provozieren.
Die Biedermänner entlarven.
Dem Spießertum den Spiegel vorhalten.
Die Gesellschaft aufrütteln.
.
[..schnarch..]
.
Weckt mich wenn es vorbei ist.

Rolf Pohl | Mi., 25. April 2018 - 13:31

Muß nicht, kann aber und sollte u.a. auch lieber Joost.
Na ja gut, Hakenkreuze und putzige Hitlerbärtchen machen sich allerdings immer gut. Egal was damit gesagt werden soll.
Schließlich warn die Nazis sozusagen die Erfinder des Völkermordes. Gabs vor denen nicht, nach denen schon garnicht, nicht wahr?