
- Der Fall Deutschland
Am vergangenen Mittwoch lief auf dem Kultursender 3Sat eine erstaunlich entspannte Dokumentation über Uwe Tellkamp, jenen Dresdner Schriftsteller, der im gängigen Jargon als „umstritten“ zu bezeichnen wäre. Das durchaus vorhandene Bemühen der Dokumentation, Tellkamp und dem Osten Deutschlands näherzukommen, mündet in einer gewissen Ratlosigkeit. Das war absehbar. Denn es gibt gar keinen Fall Tellkamp, sehr wohl aber einen Fall Deutschland.
Am Anfang sieht man einen Mann Anfang 50 durch den Elbvorort Weißer Hirsch laufen: braune Lederschuhe, dunkelblaue Hose, hellblaues Hemd, Rucksack. Er spaziert hinunter zur Elbe, vorbei an Villen und durch kleine Gassen. Die Sonne scheint. Die Forsythien beginnen zu blühen. Offensichtlich ist es ein erster warmer Frühlingstag. Der Mann in Hemdsärmeln heißt Uwe Tellkamp, einst gefeierter Romancier, vielfacher Preisträger für seinen Roman „Der Turm“, nunmehr ein Autor, dem das Prädikat „umstritten“ anhaftet, wobei natürlich etwas ganz anderes gemeint ist.
Über zwei Jahre hat der Regisseur und Dokumentarfilmer Andreas Gräfenstein Tellkamp begleitet, beobachtet, interviewt, mit Kollegen gesprochen, mit Journalisten und Kulturvertretern. Entstanden ist dabei ein erstaunlich entspanntes Porträt nicht nur Tellkamps, sondern auch des Dresdner Milieus, dem er entstammt und dessen Zerrissenheit symbolisch für die Zerrissenheit ganz Deutschlands steht. Gräfenstein – und es ist bezeichnend, dass man es lobend herausheben muss – verzichtet dabei auf jede Form der Vorverurteilung, subtiler Polemik oder unterschwelliger Kommentierung, die man auf Neudeutsch Framing nennt.