
- Sweet Home Alabama
Im US-Staat Alabama mussten Donald Trump und der republikanische Senatskandidat Roy Moore eine bittere Niederlage hinnehmen. Unser Autor dreht dort gerade einen Film. Vom amerikanischen Optimismus spürt er kaum etwas. Die Menschen wirken zerrissen und verängstigt
Zu Thanksgiving lädt uns Peter, der Vermieter unserer Produktionsbüros, in sein Haus ein. Die ganze Familie ist versammelt, im Fernsehen läuft das wichtigste Football-Ereignis des Bundesstaates, der Iron Bowl zwischen den rivalisierenden College-Mannschaften von Auburn und Birmingham. Ein amerikanisches Idyll. Gehobenes Bürgertum. Bodenständig, patriotisch, von überbordender Herzlichkeit. Und dann, wie nebenbei, erzählt uns eine ältere Cousine Peters von ihrer über dreißigjährigen Heroin- und Tablettensucht. Prompt berichten die anderen am Tisch von ihrem eigenen Schicksal, denn auch sie waren ja abhängig gewesen und bedauern die vertanen Jahre. Am meisten schämen sie sich, sich in Abhängigkeit von Percs, Oxys und Heroin nicht so um die Familie gekümmert zu haben, wie es sich für Amerikaner gehört. Diese Sucht, begreifen wir, hat eine uns nicht bekannte Dimension.
Einige Tage später absorbieren uns die Dreharbeiten. Wider aller Vorhersagen schneit es in Alabama, ein Hindernis für jede Form von Filmarbeit. Die lokale Verwaltung, völlig unvorbereitet (der zweite Wintereinbruch innerhalb von nur zehn Jahren!), lässt die Schulen schließen und rät allen Bürgern, im Haus zu bleiben. Viele Crewmitglieder sind besorgt. Sie stammen, wenn nicht aus Alabama, aus „aller Herren Länder“: aus New Orleans (einem Filmzentrum), aus Atlanta (ebenfalls einem Filmzentrum), aus Minnesota (wo bekanntlich die freundlichsten Amerikaner leben) und natürlich aus Los Angeles. Die aus Kalifornien fürchten sich am meisten.
Die leere Magic City
Währenddessen erreicht der Wahlkampf um den freien Senatorenposten neue Höhepunkte des Schlammwerfens. Die Frau von Roy Moore, des später unterlegenen Kandidaten der Republikaner behauptet, ihr Mann sei gar kein Rassist, denn er habe sowohl schwarze als auch jüdische Freunde.
Birmingham, ökonomisches Zentrum des Staates, scheint indessen unbeteiligt vom Kampf um den freien Senatsplatz. Nirgendwo ein Plakat. Nicht die sonst üblichen Aufkleber auf Autos, die für einen der Kandidaten Stimmung machen wollen. Die Stadt ist leer, fast fußgänger- und autofrei. Erst denkt man, es sei ein Feiertag, bis man begreift: So ist es immer. Selbst zur rush hour morgens bilden sich Autoschlangen höchstens vor dem Drive-Through von Starbucks. Die Innenstadt ist voller Neu- und restaurierter Altbauten an drei- bis vierspurigen Einbahnstraßen, aber darunter ist kein einziges Geschäft, nur Büros und Werkstätten. Die wenigen Restaurants und Bars, alle im Stil der fünfziger Jahre, sind dagegen voll.
Birmingham, The Magic City, war eigentlich bloß eine Kreuzung gewesen für die ewig langen Fernzüge, die den Osten nach Westen, den Norden nach Süden durchrollten, bis irgendwann Kohle gefunden und Stahl gekocht wurde. Das machte die Stadt innerhalb weniger Jahre zu einem wichtigen Industriestandort. Dann, irgendwann in den dreißiger Jahren, begann die Depression, die Depression eines ganzen Landes. Gewalt, Drogen und der Klu-Klux-Clan wurden immer mächtiger. Zum Glück blüht seit einigen Jahren die University of Alabama wieder und hat viele Jobs in die Stadt zurückgebracht.
Das „Dreamland“ – eine Bretterbude
Ja, die Menschen wissen um das nicht endende Unrecht, das in den Südstaaten bis heute tief verwurzelt ist. Die ewige Diskriminierung. Es gibt ein Frauengefängnis in Alabama, ein brutaler Ort, in dem seit Jahrzehnten Kinder zur Adoption freigegeben werden, weil die Insassinnen den Wärtern gefügig sein müssen, um zu überleben. Bekannt ist das schon lange. Wirklich geändert hat sich bis heute nichts.
Am drehfreien Sonntag fahren wir ins „Dreamland“ nach Tuscaloosa, dem über die Landesgrenzen hinaus berühmten Restaurant, das seine süßscharfe Sauce ins ganze Land exportiert. Das zentrale Alabama ist waldreich und hügelig wie ein Ostküstenstaat, noch im Dezember glänzen die Blätter der Bäume rostbraun und betten die Landschaft in das milde Licht eines indian summers. Das „Dreamland“ entpuppt sich als winzige Bretterbude. Wenige Tische. Die schwarze Bedienung, verängstigt und gleichzeitig gelangweilt uns musternd – wie nur Menschen auf dem Land einen anstarren können – serviert uns die berühmten Spare Ribs. Alles auf Pappgeschirr. Zu trinken nur Softdrinks. Kein Alkohol, da das County mit seinen religiösen Führern vor einigen Jahren abgestimmt hat, dass sonntags nirgendwo Alkohol verkauft werden darf.
Der wunderbare Jim, unser Tonmeister aus Minnesota, verzweifelt an den nächtlichen Geräuschen der Sirenen von Feuerwehr und Polizei. Vor allem das dröhnende Hupen der Züge verdirbt den Ton für die Filmaufnahmen, in manchen Nächten müssen wir stundenlang warten, bis endlich Stille einkehrt. Und das Seltsame: man sieht diese Züge nie, diese schier endlosen Waggons. Ihr Schnauben und Tuten wirkt wie ein Gespenster-Grollen.
Lieber irgendjemand wählen als einen Demokraten
Alle aus der Crew, soweit sie aus Alabama stammen, werden diesen Dienstag blau (demokratisch) wählen, doch ihre Eltern, erzählen sie, wüssten es diesmal nicht. Denn den demokratischen Kandidaten – im tiefrot-republikanischen Staat – könnten sie ja kaum unterstützen, fast schämen sie sich, Doug Jones überhaut zu erwähnen. Wahrscheinlich werden sie einfach den Namen eines anderen auf den Wahlzettel schreiben. Das write-in ist ein uramerikanisches Recht. Statt einen der aufgestellten Kandidaten zu wählen, gibt man seine Stimme einfach einem Namen, den man einträgt.
Und Trump? Was halten sie von Trump? Die meisten lächeln nur, zucken entschuldigend mit den Schultern und säuseln in diesem einzigartigen Slang der Südstaatler, den man erst nach Wochen versteht: We’ll survive.
In Birmingham, Alabama, dreht Wolfgang Mueller derzeit den Spielfilm „Inherit The Viper“, ein Thrillerdrama über drei Geschwister im lokalen Kampf der Opiate-Dealer, u.a. mit Josh Hartnett, Margarete Levieva und Bruce Dern