Karl Lauterbachs Comedy-Auftritt bei „One Mic Stand“ - Einfach nur schlimm. Richtig schlimm

Karl Lauterbachs Gastauftritt in der Comedy-Show „One Mic Stand“ war nicht nur würdelos und humorfern. Er ist Teil einer Entwicklung, die die Öffentlichkeit mit infantilem Authentizitätskitsch entpolitisieren will.

Wer Hazel Brugger und Karl Lauterbach lustig findet, hat die Kontrolle über sein Leben verloren / dpa
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Der Schriftsteller und Humorist (nicht Comedian) Heinz Strunk wurde vor kurzem gefragt, ob es noch gute Comedians in Deutschland gebe. „Nee. Keinen einzigen“, antwortete er. „Die haben einen Mangel an Talent, Geschmack, ästhetischem Empfinden und natürlich Humor. Und Helge Schneider ist kein Comedian.“ Vor einigen Jahren wurde er in einem Interview noch deutlicher: „Ich hasse und verachte Comedians zutiefst. Alles, wo Comedy draufsteht, ist Scheiße. Ich gucke mir das an und finde es einfach nur schlimm. Richtig schlimm.“

Nachdem ich mich durch eine 45-minütige Folge der Comedy-Sendung „One Mic Stand“ mit Karl Lauterbach als Gast gequält hatte, fühlte ich eine tiefe Übereinstimmung mit Strunks Worten. Weil ich in ihnen die Sprachlosigkeit widergespiegelt sah, die mich ergriffen hatte. Strunks Sätze sezieren ja nicht, was genau so schlimm an deutschen Comedians ist, was ihren Nicht-Humor von Humor unterscheidet – das tut Strunk an anderer Stelle.

Ich stand in diesem Moment, unmittelbar nach der Sendung, so fassungslos und ohnmächtig vor diesem Bombast an Nicht-Humor und der Tatsache, dass er in Deutschland ein großes Publikum findet, dass ich nicht wusste, wie ich anfangen soll, halbwegs präzise mit Sprache zu erfassen, wie schlimm die Folge von „One Mic Stand“ mit Karl Lauterbach als Gast ist. Um auf Strunks Worte zurückzugreifen: Ich finde es einfach nur schlimm. Richtig schlimm.

Was soll das?

Und das liegt noch nicht einmal (nur) an Karl Lauterbach. Karl Lauterbach ist nicht weniger lustig als die Hosts der Sendung, was nicht für ihn spricht, sondern ein Armutszeugnis für die durch die Sendung führenden Comedians ist. Das Konzept des Amazon-Prime-Formats „One Mic Stand“ ist simpel: Erfahrene Comedians coachen Promis für einen Stand-up-Auftritt. In der ersten Folge ist es Comedian Hazel Brugger, die also Karl Lauterbach für einen Auftritt coacht. Bis zu dessen Auftritt dauert es aber eine Weile. Vorher steht Moderator Tedros Teclebrhan auf der Bühne in Wiesbaden und erklärt das Prinzip der Sendung.

 

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Dann zeigt ein Einspieler, wie Hazel Brugger mit einem Fernglas auf einem Balkon oder auf einem Wochenmarkt Karl Lauterbach sucht, um ihn von einer Comedy-Karriere zu überzeugen, ihn aber zunächst nicht findet. Zurück auf die Bühne, wo Teclebrhan Hazel Brugger anmoderiert. Die kommt aber nicht. Also geht Teclebrhan Backstage, wo Brugger gerade (vermeintlich) ihr Baby schlafen legt. Die beiden singen ein Lied, kommen mit Babyphone auf die Bühne und spielen das Lied noch einmal, als das Baby wieder anfängt zu weinen.

Worüber lachen die da?

Dann erzählt Hazel Brugger Witze, von denen man nicht wüsste, dass es Witze sind, würde das Publikum nach den Sätzen nicht lachen. „Es gab eine Zeit in meinem Leben, da wäre ich sehr aufgeregt gewesen, vor so vielen Leuten aufzutreten, weil ich immer so Angst habe, wie ich aussehe. Jetzt bin ich Mutter, ich habe ein sechs Monate altes Kind (…) und ich war objektiv betrachtet noch nie so hässlich, wie ich es jetzt bin, aber es war mir auch noch nie sowas von scheißegal.“ Das Publikum lacht und johlt. Falls Sie sich nun denken, womöglich sei da ja eine Mimik oder Tonlage, durch die eine Art Komik mitschwingt – nein, da ist nichts. Mittlerweile sind zehn Minuten ohne einen Anflug von Humor vergangen und den Rest der Sendung kommt da auch nichts mehr.

Zwischendurch gibt es wieder Einspieler, die zeigen, wie Hazel Brugger Karl Lauterbach auf einer Veranstaltung in Leverkusen findet, ihn mehr oder weniger auf seinen Auftritt vorbereitet, und ihn im Auto, wo sie Pupsgeräusche macht, zum Auftritt nach Wiesbaden fährt. Lauterbach trägt in gewohnt dröger Art seine bzw. Bruggers, nun ja, Witze vor: „Mein Name ist Karl Lauterbach. Ich bin die Person, die über anderthalb Jahre Ihnen alles verboten hat, was Spaß macht. Ich bin daher wie Ihre Mutter, nur ohne das gute Essen“, stellt er sich vor. Das Publikum lacht und johlt.

Lauterbach weiter: „Der ein oder andere, der hier sitzt, kennt mich wahrscheinlich aus den Talkshows. Dort bin ich regelmäßig Gast. Ich habe mittlerweile meine eigene Regie entwickelt, wenn man so will: Ich nehme Platz, warte ab, kommt eine Frage, es gibt eine dumme Antwort – ich korrigiere.“ Das Publikum lacht und klatscht. Lauterbach: „Ich warte ab, es kommen zwei weitere Fragen, drei dumme Antworten, erneut: Ich korrigiere.“ Das Publikum lacht. Zusammengefasst: Lauterbach trägt einfach nur vor, was er die letzten zwei Jahre tatsächlich getan hat und wie toll er sich in Talkshows findet. Eine ironische Ebene ist nicht zu erkennen. Das Niveau haltend, legt er anschließend noch ein paar nicht erwähnenswerte, nun ja, Witze über Wolfgang Kubicki und Armin Laschet nach. Das Publikum ist begeistert. Sendung vorbei.

Die Lachkonserve

Ich bin irritiert. Nicht nur, dass das Publikum Pointen zu sehen scheint, wo keine sind. Da kann man ja großzügig sagen: Der Satz ist vorbei, hier müsste technisch gesehen die Pointe liegen, also kann auf Verdacht gelacht werden. Aber das Publikum lacht teilweise mitten in den Sätzen, an Stellen, an denen lediglich Dinge beschrieben werden und in die nicht einmal mit großzügiger Auslegung ein Witz hineininterpretiert werden kann. Kann es sein, dass in der Postproduktion auf sehr schlampige Art und Weise künstliches Lachen, sogenannte Lachkonserven einmontiert wurden (zumal das Gelächter teilweise zu voluminös wirkt für den coronabedingt halbleeren Saal)? Man kennt diese grotesken Situationen aus Sitcoms, in denen unzusammenhängende Sätze wie „Ich gehe eben etwas einkaufen“ mit einer Tonspur Lachkonserven untermalt werden.

Auf Cicero-Nachfrage, ob und an welchen Stellen Lachkonserven verwendet wurden, antwortet die Amazon-Pressestelle allgemein: „Einige Elemente der Amazon Original Show ‚One Mic Stand‘ wurden im Oktober 2021 unter Corona-Schutzmaßnahmen vor Publikum in Wiesbaden aufgezeichnet. Für die Endfassung der Show wurden herkömmliche Verfahren der Bild- und Tonbearbeitung angewendet.“

Die Privatisierung der Öffentlichkeit

Ich vermute einfach mal, dass Lachkonserven zum herkömmlichen Verfahren gehören. Lachkonserven gehören zu dem, was der Philosoph Robert Pfaller „Interpassivität“ nennt. Interpassivität beschreibt „die Praxis von Menschen, eigene Handlungen und Empfindungen an äußere Objekte zu delegieren. Andere erleben etwas, und wir können mitfühlen, ohne dem Risiko ausgesetzt zu sein, eine Situation selbst zu erleben. Man könnte somit auch ‚delegiertes Genießen‘ dazu sagen.“ Die Lachkonserve ist eine Form des delegierten Genießens, weil sie an unserer Stelle lacht und uns so von der „Mühe“ befreit, selbst zu lachen. Wir fühlen uns so befreit, als wäre das Lachen unser eigenes gewesen. (Ich weiß, das ist sehr theorielastig, aber bleiben Sie dran, im Gegensatz zu „One Mic Stand“ will dieser Part auf etwas hinaus.)

Vor fünf Jahren veröffentlichte der Genussverteidiger Pfaller seine Streitschrift „Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur“ (2017), in der er eine zunehmende Infantilisierung und Privatisierung der Öffentlichkeit anprangert. Pfaller sieht durch die Öffnung des öffentlichen Raums für private Befindlichkeiten nichts Geringeres als die Errungenschaften der Aufklärung gefährdet. Deren Ziel war schließlich ein mündiger Bürger, der sich in Selbstdistanz zu seinen persönlichen Befindlichkeiten in den öffentlichen Diskurs einbringt und dabei auf die Relevanz seiner Argumente setzt, anstatt seine persönliche Kränkung zum dogmatischen Ausgangspunkt öffentlicher Debatten zu erheben. Das „eigene, vermeintlich authentische Selbst hintanzustellen“, so Pfaller, sei „die entscheidende Tugend mündiger Bürgerlichkeit.“ Ist dies nicht der Fall, geht laut Pfaller die Fähigkeit verloren, „das Bedeutende vom Unbedeutenden zu unterscheiden“.

Das Elend der Authentizität

Tagelange Aufregung über ein Ballermann-Lied gehört zu den Symptomen dieser Öffentlichkeitsprivatisierung. Ebenso wie Politiker, die im Dienste des allgegenwärtigen Authentizitätsimperativs ihr „total lockeres und authentisches“ Selbst in TikTok-Videos oder eben in humorfernen Comedy-Shows zu Markte tragen, anstatt ihre Politik in staatsmännischer, seriöser Selbstdistanz vorzutragen.

Das Elend der Authentizitätsperformances führt dazu, dass Politiker vor allem für ihr authentisches Selbst Zuspruch bekommen, anstatt dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihrer Politik stattfindet. Der Gesinnungsapplaus schließt sich dieser Entwicklung nahtlos an. Denn die Gesinnung gehört unweigerlich zum authentischen Selbst.

Eine Szene in „One Mic Stand“ führt dies in zynischer Ehrlichkeit vor. „Was ist ein Gesinnungsapplaus, den du dir abholen könntest?“, fragt Hazel Brugger Lauterbach vor dessen Auftritt. „Weißt du, sowas wie ‚Ich bin gegen die AfD und für die Schwerkraft‘, irgendwas, was total offensichtlich ist.“ Auf der Bühne kündigt Lauterbach dem Publikum schließlich an, sich jetzt den obligatorischen Gesinnungsapplaus abzuholen, Brugger hätte ihm dies empfohlen. Lauterbach: „Die AfD ist scheiße und Krebs zu heilen ist super.“ Gelächter und Applaus aus dem Publikum (oder aus der Konserve). Bemerkenswert ist die Szene über Applaus für Minimalkonsens, weil auch sie in ihrer Ehrlichkeit keine ironische Ebene hat, auch wenn Brugger und Lauterbach das womöglich glauben.

Applauskonserven für Lauterbach

Ähnlich war es, als prominente Linksliberale ihre Begeisterung für Lauterbach und seine kauzig-nerdige Art mit Hashtags wie #WirwollenKarl zum Ausdruck brachten und noch mehr Linksliberale mit auf den Zug sprangen, weil Lauterbach zur Galionsfigur des Anti-Querderdenkertums, also der guten Gesinnung, erhoben wurde. Für eine Auseinandersetzung mit Lauterbachs zahlreichen Fehlern in der Corona-Politik blieb dabei kein Raum. Das führte zu ähnlich grotesken Schieflagen mit deplatziertem Lachen bzw. Applaus wie in Sitcoms und in „One Mic Stand“. Zum Beispiel für Lauterbachs Forderungen nach einer Maskenpflicht, damit die Intensivstationen nicht weiter überlastet werden, ohne dass zur Sprache kam, welche Verantwortung er durch seinen Einsatz für das Fallpauschalensystem für den Notstand auf Stationen hat.

Comedy, die – anders als Humor – kein erkenntnisförderndes Moment haben und gesellschaftliche Widersprüche offenlegen, sondern die richtige Haltung verwalten will, passt perfekt zu einer Politik, die nicht aufklären, sondern mit Authentizitätskitsch entpolitisieren will.

Passend zum Thema: Heinz Strunk im Cicero-Podcast mit Ulrike Moser.

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