
- „Ich habe das Recht, Angela Merkel zu kritisieren“
Erneut verteidigt der Philosoph Peter Sloterdijk seine Kritik an der Migrationspolitik der Kanzlerin. In einem Radio-Interview wirft er Angela Merkel vor, die Grenzen geöffnet zu haben, ohne den Willen des Souveräns einzuholen
Ein Interview schlägt weiter Wellen. Fast drei Jahre ist es her, dass Cicero mit dem Philosophen Peter Sloterdijk ausführlich über die deutsche Migrationspolitik und das Handeln der Bundeskanzlerin im Sommer 2015 sprach. Besagtes Interview stand nun im Zentrum eines Abends mit Peter Sloterdijk zum Thema „Gleichheit“, die zweite Veranstaltung einer Reihe über die drei Zentralbegriffe der Französischen Revolution „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Die gemeinsam von der Berliner Volksbühne und Deutschlandfunk Kultur präsentierten Gespräche sind nun nachzuhören.
Als Staatsbürger konservativer als als Philosoph
Moderator Armen Avanessian konfrontiert Sloterdijk mit dessen Aussage aus dem Cicero-Interview, wonach es „keine moralische Pflicht zur Selbstzerstörung“ gebe und die deutsche Regierung sich „in einem Akt des Souveränitätsverzichts der Überrollung preisgegeben“ habe. Laut Avanessian belegen diese Zitate eine Differenz zwischen Sloterdijks „philosophischem Denken über Gleichheit“ und seinen „politischen Einlassungen“ – eine Differenz, die der Moderator bedauert.
Sloterdijk kontert, ohne sich von sich selbst zu distanzieren: „Als Staatsbürger bin ich konservativer als in meiner Rolle als Philosoph. Ich habe das Recht, Angela Merkel zu kritisieren, dass sie nach dieser außerordentlichen Situation des Herbstes 15 nicht klar gemacht hat, dass es sich hier um eine Ausnahmesituation gehandelt hat von unwiederholbarem Charakter. Sie hat sich jahrelang geweigert, den Begriff der Obergrenze zu benutzen.“
„Am Consensus Omnium vorbei“
Zwar habe die Kanzlerin „in einem humanen Engpass“ vermutlich richtig gehandelt. „Wir hatten vier Wochen Willkommenskultur“, eine „Episode politischer oder moralischer Schönheit“. Politik sei aber „keine Kategorie, in der ästhetische Urteile allzu viel Gewicht erlangen dürfen.“ Sloterdijk wirft der Kanzlerin vor, „sich hinter einem falschen Prinzip verschanzt“ zu haben, „das sie nicht ausgesprochen hat.“
Der Philosoph spricht vom „abstrakten Universalismus“, für den zwar die „posthume Wirksamkeit“ spreche, jedoch müsse man, „solange man am Leben ist“, in Jahren oder Jahrzehnten denken. Zudem sei dieser abstrakte Universalismus Regierungsmaxime geworden, ohne dass man den Souverän befragte: „Sie können anhand aktueller Literatur sich davon überzeugen, dass die Bundesrepublik Deutschland jetzt nach den USA das zweitoffenste Einwanderungsland der Welt geworden ist. Und dies in gewisser Weise am Consensus Omnium vorbei. Es ist zum großen Teil eine undiskutierte Form der Öffnung hier geschehen.“
Medienkritische Pointe
Sloterdijk beharrt auf seinem „Anspruch, konservative Elemente mit liberalen und linken Grundmotiven zu verbinden.“ Und er verweigert sich der Erwartung des Moderators, als Philosoph künftig stärker universalistisch – also im Sinne fortgesetzter Willkommenskultur – zu argumentieren.
Eine solche philosophische Sicht sei bereits „in der gesamten liberalen Presse inkarniert. Dieser organisierte Unrealismus ist so solide institutionalisiert, dass man sich um dessen Zukunft keine Gedanken machen muss.“ Wodurch auch dieses bemerkenswerte Gespräch eine medienkritische Pointe erhielt.