
- „Der Rechtsterror wirkt bis heute fort“
Heute vor zehn Jahren flog die rechtsextreme Terrorzelle NSU auf. Weder parlamentarische Untersuchungsausschüsse noch der NSU-Prozess konnten die Mordserie aufklären. Die Sicherheitsexpertin der Grünen, Irene Mihalic, fordert deshalb, der Fall müsse neu aufgerollt werden.
Irene Mihalic ist Sicherheitsexpertin der Grünen. Als solche saß sie im zweiten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags und im Untersuchungsausschuss über den Terroranschlag am Berliner Breitscheidplatz. Sie ist ausgebildete Polizeibeamtin und promovierte Polizeiwissenschaftlerin.
Frau Mihalic, heute vor zehn Jahren wurden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach einem Banküberfall tot in einem Wohnmobil in Eisenach gefunden. Nach den Ermittlungen soll Mundlos erst Böhnhardt und dann sich selbst erschossen haben, nachdem er über den Polizeifunk erfahren hatte, dass ihnen die Polizei auf der Spur war. Ob das stimmt, daran gibt es bis heute Zweifel. Was ist Ihr Eindruck?
Das war einer der schwierigsten Punkte, die wir im Untersuchungsausschuss aufzuklären hatten. Wir müssen wahrscheinlich damit leben, dass wir die Frage, was genau am 4. November passiert ist, wohl nie beantworten können.
Sie haben Fotos aus dem Wohnwagen gesehen ...
... wir haben uns sogar den Wohnwagen angesehen auf dem Gelände des Bundeskriminalamts in Meckenheim. Wir sind da mit dem Untersuchungsausschuss hingefahren und haben uns das zeigen lassen, wohlgemerkt Jahre später. Und klar, die Theorie der Polizei ließ sich vor Ort nachvollziehen. Aber andere Theorien sind eben genauso schlüssig. Wenn man nicht vollständigen Zugang zu allen Unterlagen hat und wenn die Aufklärung seitens der Verantwortlichen nicht vollumfänglich unterstützt wird, stößt man eben an Grenzen.
Das NSU-Trio hatte bis dahin im Untergrund gelebt und zehn Menschen ermordet, 43 Mordversuche, drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle begangen. So ein Selbstmord passt nicht zu dem Bild, das die Ermittlungen von den Männer ergeben haben. Warum hätten sie plötzlich kapitulieren sollen?
Man muss das Ganze größer fassen. Auch die Theorie, dass Mundlos und Böhnhardt isoliert mordend durchs Land gezogen sind, lässt Raum für Spekulationen. An keinem der NSU-Tatorte ist zum Beispiel DNA von den beiden gefunden worden. Es hat lange gedauert, um herauszuarbeiten, dass das NSU-Trio nur eine Zelle dieses „führerlosen Widerstands“ war, der bis heute fortwirkt. Die Ermittlungsbehörden haben aber jahrelang daran festgehalten, dass es sich um ein isoliertes Trio handele. Das große Netzwerk drumherum, das hat man nicht analysiert. Aber es spricht fast alles dafür, dass es dieses Netzwerk gegeben hat.
Was macht Sie da so sicher?
Anders ist nicht zu erklären, dass sie jahrelang unerkannt im Untergrund leben konnten. Wer hat sie dabei unterstützt? Wer hat ihnen geholfen, die Tatorte auszuwählen? Dafür brauchte man besondere Ortskenntnisse. Es ist aber immer noch nicht geklärt, warum gerade diese Opfer sterben mussten. Zum Beispiel die Polizistin Michèle Kiesewetter. Wenn es nur darum gegangen wäre, an eine Polizeipistole zu gelangen, hätte es andere Möglichkeiten gegeben.