CDU-Politiker Matthias Hauer über Olaf Scholz’ „Erinnerungslücken“ - „Das ist völlig abwegig“

Olaf Scholz’ angebliche „Erinnerungslücken“ im Cum-Ex-Skandal haben sich zu einem Running Gag entwickelt. Für Matthias Hauer, CDU-Obmann im Finanzausschuss, steht außer Zweifel, dass der Kanzler die Unwahrheit sagt. Seine Fraktion hat nun eine Sondersitzung des Finanzausschusses beantragt, um Scholz im Bundestag zu befragen. Dort will Hauer auch die Veröffentlichung eines bisher als vertraulich eingestuften Protokolls bewirken, das Scholz in erhebliche Erklärungsnot bringen würde.

CDU-Obmann Matthias Hauer: „Olaf Scholz sollte sich gut überlegen, ob er dieses Versteckspiel weiter durchziehen will“/ dpa
Anzeige

Autoreninfo

Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

So erreichen Sie Ulrich Thiele:

Anzeige

Matthias Hauer sitzt seit 2013 für die CDU im Bundestag. Er ist Obmann der Unionsfraktion im Finanzausschuss, mit dem er Olaf Scholz drei Mal zum Cum-Ex-Skandal um die Warburg-Bank hartnäckig befragte. Außerdem war er Teil des Wirecard-Ausschusses, vor den Scholz ebenfalls zitiert wurde.

Herr Hauer, mehr als 50-mal hat Olaf Scholz vergangene Woche im Hamburger Untersuchungsausschuss behauptet, er könne sich an die Vorgänge um den Warburg-Skandal nicht erinnern. Die Erinnerungslücken sind schon eine Art Running Gag in den sozialen Medien mit witzigen Memes und Videos.

Seine angeblichen Erinnerungslücken sind völlig lebensfremd. Er hat sich mehrfach mit den kriminellen Warburg-Bankern getroffen und hat dabei über einen Vorgang gesprochen, bei dem es um die Existenz einer wichtigen Hamburger Bank mit 1000 Arbeitsplätzen ging. 2016 rief er Warburg-Chef Christian Olearius an und empfahl ihm, ein Schreiben mit Argumenten, warum die Bank ergaunerte Cum-Ex-Gelder nicht zurückzahlen müsse, an den damaligen Finanzsenator Peter Tschentscher zu schicken – und acht Tage später machte das Finanzamt eine 180-Grad-Wende und ließ die Rückforderung verjähren. 2017 hat das Bundesfinanzministerium sogar mit einer Weisung eingegriffen, um die Hamburger Behörden davon abzuhalten, eine weitere Rückforderung erneut verjähren zu lassen. Und an all das kann Scholz sich nicht mehr erinnern? Das ist völlig abwegig.

Ihre Fraktion hat nach Scholz’ groteskem Auftritt eine Sondersitzung des Finanzausschuss des Bundestags beantragt, in der er erneut aussagen soll. Wie ist der Stand?

Wir haben eine Sondersitzung für den 5. September beantragt, den ersten Tag der nächsten Sitzungswoche. In dieser Woche findet wegen der Haushaltsberatungen keine reguläre Finanzausschusssitzung statt. Die Entscheidung liegt nun in den Händen der Bundestagspräsidentin – angesichts der vielen offenen Fragen, die neue Enthüllungen aufgeworfen haben, und der Dimension der Cum-Ex-Affäre bin ich zuversichtlich, dass die Entscheidung zugunsten einer Sondersitzung ausfallen wird.

%paywall%

Es wäre das vierte Mal, dass Scholz vor den Finanzausschuss zitiert wird. Sie waren bei den ersten drei Befragungen 2020 als CDU-Obmann dabei. Nach der dritten Befragung im September 2020, in der Scholz wie gewohnt den Fragen auswich und sich auf angebliche Erinnerungslücken berief, forderte der damalige FDP-Obmann Florian Toncar entnervt einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Hamburg. „Es ist vom Hauptbeteiligten dieses Vorgangs genug gehört worden. Jetzt ist es so weit, dass Hamburg untersuchen muss; dort gehört der Fall hin“, sagte er. Warum sollte eine vierte Befragung mehr ergeben?

Was richtig ist: Ein Finanzausschuss hat nicht die Möglichkeiten eines Untersuchungsausschusses. Ein Untersuchungsausschuss kann – ähnlich einem Strafprozess – Zeugen vernehmen. Aber es geht uns nicht zuletzt um die Durchsetzung von Bundesrecht. In dieser Affäre geht es auch um die Glaubwürdigkeit des Bundeskanzlers, und das ist auch eine Angelegenheit des Bundes und somit des Bundestages. Olaf Scholz sollte sich gut überlegen, ob er dieses Versteckspiel weiter durchziehen will. Abgesehen von eingefleischten Sozialdemokraten glaubt ihm das ohnehin kaum ein Wähler.

Er wird wohl kaum von seiner bisherigen Linie abweichen. Glauben Sie wirklich, die Befragung würde etwas Neues zutage fördern?

Unsere Erwartungshaltung an Olaf Scholz ist, dass er die Finanzausschusssitzung nutzt, um reinen Tisch zu machen. Abgesehen davon wollen wir die Sondersitzung auch dazu nutzen, um über die Veröffentlichung eines geheimen Protokolls zu diskutieren.

Im Juli 2020 wurde Scholz im Finanzausschuss unter Ausschluss der Öffentlichkeit befragt, so konnte er vom Steuergeheimnis befreit reden. Laut den Enthüllungen im Stern und im Manager Magazin konnte er sich damals ziemlich gut an eines der Treffen mit Olearius erinnern – das soll jedenfalls das Protokoll der Sitzung offenbaren.

Das Protokoll ist leider als „VS-vertraulich“ eingestuft, deswegen darf ich daraus nicht zitieren und mich auch nicht über die Sitzung äußern. Das Protokoll liegt in der Geheimschutzstelle des Bundestages. Wir wollen das ändern, wir wollen, dass die Öffentlichkeit sich selbst ein Bild davon machen kann, was Olaf Scholz in dieser Sitzung gesagt hat.

Es gab bereits einen Versuch des Finanzausschusses, das Protokoll öffentlich zu machen. Was ist damals passiert?

Kurz vor der Bundestagswahl 2021 hat das Finanzministerium auf unseren Druck einen Schwärzungsvorschlag vorgelegt, der so viele Schwärzungen vorsah, dass die Zusammenhänge überhaupt nicht mehr erkennbar waren. Mit diesem Vorgang hat Scholz sich über die Bundestagswahl gerettet. Aus meiner Sicht ist es rechtlich möglich, ein weitgehend ungeschwärztes Protokoll vorzulegen, durch das sich die Öffentlichkeit ein eigenes Bild machen kann.
 

Weitere Artikel über Olaf Scholz und Cum-Ex:

Nur, um es noch einmal deutlich zu machen: Der Vorschlag des Finanzministeriums fußte also nicht auf rechtlichen Abwägungen, sondern auf Vertuschungsabsichten?

Die Motivation war politisch – man wusste, dass man die Veröffentlichung so über die Bundestagwahl rettet. Aus meiner Sicht war die Schwärzung völlig übertrieben. Man hätte mit deutlich weniger Schwärzungen die Rechte Dritter wahren können. So hätte es aber keinen Sinn gehabt, das Protokoll zu entstufen, weil die Öffentlichkeit die Zusammenhänge überhaupt nicht hätte verstehen können.

Wissen Sie, wie Scholz reagiert hat, als er im Hamburger Ausschuss auf die Widersprüche angesprochen wurde, die das Protokoll offenbaren soll?

Mein Mitarbeiter, der die Sitzung vor Ort live verfolgt hat, hat mir das ausgiebig geschildert.

Er sagte: „Dann legen Sie mir doch das Protokoll vor“ – und grinste.

So wurde es mir auch berichtet. Das ist symptomatisch für Scholz’ unangemessene Vorgehensweise mit dem gesamten Thema. Auch wenn er von Journalisten auf Cum-Ex angesprochen wird, antwortet er völlig unangemessen: patzig, einsilbig, ausweichend. Man merkt, wie unangenehm ihm das Thema ist. Das merkt man auch daran, dass er mit dem Finanzministerium dafür gesorgt hat, dass das Protokoll nicht veröffentlicht wird.

Florian Toncar nahm damals als FDP-Obmann Scholz hart in die Mangel, mittlerweile ist er im Finanzministerium, als Christian Lindners Staatssekretär. Und auch Lisa Paus, die damalige Obfrau der Grünen, gehört nun als Familienministerin zu Scholz’ Regierung. Sind FDP und Grüne noch richtig an Bord in puncto Aufklärung?

Ich schätze sowohl die Kollegin Lisa Paus als auch den Kollegen Florian Toncar. Sie haben beide im Wirecard-Ausschuss und beim Thema Cum-Ex gemeinsam mit der Union und den Linken hervorragende Aufklärungsarbeit betrieben. Meine Erwartungshaltung ist, dass sie diesen Aufklärungswillen fortsetzen. Es wird sich jetzt zeigen, ob die Grünen und die FDP die Aufklärung weiterhin wollen oder ob sie das Versteckspiel von Herrn Scholz mitmachen. Zum Thema Cum-Ex hat Lisa Paus damals sehr deutliche Worte gefunden, als sie wortwörtlich sagte, dass Olaf Scholz den Bundestag belogen hat. Jetzt ist sie Ministerin unter Scholz. Aber ich glaube nicht, dass sie ihre Meinung geändert hat. Das müssen Sie sie fragen.

Das habe ich.

Und?

Ich habe sie gefragt, ob sie nach wie vor zu ihren Aussagen steht: „So funktioniert das System Scholz: Spuren verwischen und Nebelkerzen werfen.“ Oder: „Scholz gibt in Sonntagsreden gerne den aufrichtigen Sozialdemokraten – hinter den Kulissen ist er eher ein ‚Genosse der Banker‘.“ Sie ist in Scholz-Manier ausgewichen und meinte schließlich: „Olaf Scholz und ich kommen gut miteinander klar.“

Aber ihre Aussagen sind in der Welt und sie sind immer noch bei Twitter und in Zeitungsberichten nachlesbar. Insofern: Dass ein Kabinettsmitglied sagt, Scholz habe den Bundestag belogen, ist ein sehr schwerwiegender Vorwurf, und der wird nicht dadurch aus der Welt geschafft, dass man in seine Regierung eintritt. Ich erwarte, dass FDP und Grüne bei der Aufklärung keinen Rückzieher machen, sondern an Bord bleiben. Florian Toncar hat sich ja ebenfalls sehr klar geäußert – wie Sie bereits sagten, ist er mittlerweile im FDP-geführten Finanzministerium, insofern könnte er die Aufklärung jetzt persönlich aus seiner neuen Funktion heraus voranbringen.

Das Interview führte Ulrich Thiele.

Lesen Sie hier die Titelgeschichte der Cicero-Märzausgabe 2022, in der Oliver Schröm und Ulrich Thiele ausführlich Olaf Scholz' Verstrickung in den Cum-Ex-Skandal dokumentieren: „Wer verschweigt, hat etwas zu verbergen“








 

Anzeige