
- „Ein solches politisches Netzwerk entsteht nicht durch Zufall“
Vor dem Landgericht München I hat der Wirecard-Prozess begonnen. Im Interview erklärt Fabio De Masi die geheimdienstlichen Verstrickungen in dem Fall und nennt Details, die zeigen, wie weitreichend der Skandal ist.
Jahrelang war der Zahlungsdienstleister Wirecard das deutsche Vorzeigeunternehmen und der Liebling der Regierung. Dabei hatte das Unternehmen in großem Stil Bilanzen gefälscht. Obwohl es seit Jahren Hinweise darauf gab, ließen die Wirtschaftsprüfer Wirecard gewähren. Vor einigen Wochen enthüllte die Bild-Zeitung, dass Jan Marsalek, die rechte Hand von Wirecard-Gründer Markus Braun, nach Moskau geflohen sein soll – und der deutsche BND schon seit Monaten davon wusste.
Der Finanzexperte Fabio De Masi saß von 2017 bis 2021 für Die Linke im Bundestag. In dieser Zeit machte er sich mit seiner energischen Aufklärung zweier Finanzskandale einen Namen: Im Finanzausschuss des Bundestags setzte er sich mit den Cum-Ex-Betrügereien auseinander, als Obmann des Wirecard-Ausschusses ging er dem Versagen deutscher Behörden nach. Im vergangenen Jahr verkündete er in einem offenen Brief seinen Rückzug aus der Politik, in dem er seiner Partei elitäre Abgehobenheit vorwirft. Dieses Gespräch ist erstmals im Mai 2022 erschienen. Aus aktuellem Anlass veröffentlichen wir es erneut.
Herr De Masi, der des Millionenbetrugs verdächtigte Ex-Vorstand von Wirecard, Jan Marsalek, soll ein ausgeprägtes Faible für Agententhriller haben. Mit Wirecard konnte er seine Phantasien offenbar ausleben. Wie hat er es geschafft, das Interesse der Geheimdienste zu wecken?
Wirecard ist in der Frühphase des Internets mit Zahlungsabwicklung für Online-Glücksspiel und Pornographie groß geworden. Damals gab es noch nicht das große Geschäft mit Online-Einkaufen wie heute mit Amazon. Die Datenübermittlung war langsam, es dauerte lange, bis sich eine Website aufbaute. Aber bei der Zahlungsabwicklung im Online-Glücksspiel und in der Pornographie konnte man mit der Sucht von Menschen Geld verdienen. Etwa durch sogenannte Dialer, die sich im Hintergrund bei Porno-Nutzern installierten und dann zu hohen Telefongebühren beim Surfen im Internet führten. Online-Glücksspiel dient der Geldwäsche der organisierten Kriminalität und von Terroristen, weil sich Umsätze leicht manipulieren lassen. Das hat Wirecard für die Nachrichtendienste interessant gemacht. Außerdem war Wirecard ideal, um selbst Zahlungen etwa für Aktivitäten der Geheimdienste im Ausland zu tarnen. Marsalek hat das nach meiner Überzeugung genutzt, um mit vielen Geheimdiensten zusammenzuarbeiten.
Woraus schließen Sie das?
Wo soll ich anfangen? Im Umfeld von Wirecard und Marsalek tauchen zwei ehemalige deutsche Geheimdienstkoordinatoren auf. Klaus-Dieter Fritsche (CSU) und Bernd Schmidbauer (CDU). Sein Fluchthelfer war ein ranghoher ehemaliger Agent des österreichischen Verfassungsschutzes, Martin Weiss. Ein weiterer Ex-Verfassungsschützer aus Österreich und mutmaßlicher russischer Spion, Egisto O., soll für ihn Polizeidatenbanken abgerufen haben. Beide standen im Mittelpunkt der sogenannten BVT-Affäre in Österreich um die Unterwanderung des österreichischen Verfassungsschutzes durch russische Dienste. Marsalek hat einmal einen gesamten Kundendatensatz von Wirecard verlangt – nach seiner Darstellung für den BND.
Sie sagen, er habe mit vielen Geheimdiensten zusammengearbeitet – mit welchen noch außer den deutschen und österreichischen?
In den USA drohte Marsalek Strafverfolgung wegen der Zahlungsabwicklung für Online-Glücksspiel, die dort streng sanktioniert ist. Er war 2015 in einem Rechtshilfeersuchen der USA an die Staatsanwaltschaft München benannt. Marsalek stand 2016 aufgrund dieser Probleme mit dem früheren CIA-Agenten und späteren republikanischen Politiker Gary Berntsen in Kontakt, der helfen sollte, dies aus der Welt zu schaffen. Die Ermittlungen in München wurden später eingestellt. Auch der ehemalige libysche Geheimdienstchef El-Obeidi arbeitete für Marsalek.

mit Jan Marsaleks Gesicht. „Das müssen BND
und Kanzleramt wohl übersehen haben“,
sagt Fabio De Masi sarkastisch. / dpa
Warum Libyen?
In Libyen herrschte nach den Bombardements durch Frankreich und Großbritannien Chaos. Österreich war mit seinem Mineralölkonzern OMV abhängig vom libyschen Öl. Und Libyen war nach der Verriegelung der Balkan-Route der wichtigste Fluchtweg für Flüchtlinge über das Mittelmeer. Gleichzeitig hatten islamistische Kräfte in den Kriegswirren Auftrieb. Marsalek veranstalte auch eigene sicherheitspolitische Dialoge mit einem Kommunalpolitiker der CSU München. Dort ging es mal um die Ukraine und einmal auch um Libyen. Es kamen Nicolas Sarkozy, Edmund Stoiber und ranghohe Militärs wie der ehemalige militärpolitische Berater der Bundeskanzlerin, Erich Vad. Marsalek hat mit Unterstützung eines Militärs und eines ranghohen Beamten des österreichischen Innenministeriums versucht, in Libyen mit russischen Söldnern eine Miliz zur Flüchtlingsabwehr aufzubauen.