
- Der tragische Held
Markus Söder ist zum bayerischen Ministerpräsidenten gewählt worden. Vor ihm liegt nun die Aufgabe, die absolute Mehrheit der CSU bei den Landtagswahlen im Oktober zu verteidigen. Ob ihm das gelingt, ist alles andere als klar
Vielleicht ist ein Gotteshaus tatsächlich der richtige Ort, um sich auf kommende Aufgaben einzustimmen. Besinnung nach harten innerparteilichen Auseinandersetzungen, nachdenkliche Worte statt scharfer Parolen. „Lobet den Herren“ singt die Gemeinde, der Lektor fragt mit dem Lukas-Evangelium: „Wann wird das Reich Gottes kommen?“ Dann geht Markus Söder als Repräsentant einer weltlichen Macht bedächtigen Schrittes zur Kanzel und legt seine Notizen zurecht. Der CSU-Politiker und bayerische Finanzminister ist schon am Tag zuvor aus dem fränkischen Nürnberg ins bayerische Schwaben gefahren. Am Samstagabend war er Gast beim Presseball in Augsburg, um nun am Sonntagmorgen in der evangelischen Heilig-Geist-Kirche in Oberstaufen zu predigen. Er verspricht „keine 95 Thesen zur Landespolitik“ vorzutragen. Seinen Mantel zieht er nicht aus.
Markus Söder strahlt. Er weiß an diesem regnerischen Novembermorgen bereits, dass er bald Ministerpräsident von Bayern sein wird, dass zumindest alles auf ihn zuläuft. Während seiner Predigt hat er fast ununterbrochen ein Grinsen auf den Lippen. Wenn er nachdenklich wirken will und deshalb zur Unterstreichung seiner Gedanken den Kopf zur Seite neigt, sieht er deshalb unfreiwillig komisch aus. Söder weiß, die Tage seines Widersachers sind gezählt. Die Sondierungsgespräche in Berlin stehen an diesem Sonntag zwar noch vor ihrer heißen Phase, noch ist völlig offen, ob es Jamaika im Bund geben wird oder nicht. Aber in Bayern sind die Weichen gestellt. Fast alles spricht dafür, dass Markus Söder im bayerischen Landtag schon bald zum Ministerpräsidenten des Landes gewählt werden wird, als Nachfolger von Horst Seehofer. „Das Söder-Lager steht“, sagt der Landtagsabgeordnete Eric Beißwenger, und das andere Lager habe sich noch nicht einmal auf einen Kandidaten verständigt.