Andrea Nahles stellt nach Hessen die Groko in Frage / picture alliance

Presseschau zur Hessenwahl - „Es ist vorbei mit der Großen Koalition in Berlin“

Die ersten Kommentare der Medien zu den Wahlergebnissen in Hessen gehen nahezu alle in eine klare Richtung: Sowohl der Großen Koalition als auch der Bundeskanzlerin wird ein Ende der macht prognostiziert. Eine Presseschau

Cicero Cover 04-24

Autoreninfo

Hier finden Sie Nachrichten und Berichte der Print- und Onlineredaktion zu außergewöhnlichen Ereignissen.

So erreichen Sie Cicero-Redaktion:

  • „Kanzlerin Angela Merkel wird die Folgen tragen müssen“, analysiert Severin Weiland auf Spiegel Online. Denn die Hessen-CDU  habe das schlechteste Ergebnis seit mehr als 50 Jahren erreicht und die Kanzlerin sei selbst nach Ansicht der eigenen Anhänger keine Hilfe im Wahlkampf gewesen. Das werde der Frage weiterhin Nahrung geben, ob Merkel Anfang Dezember auf dem CDU-Bundesparteitag in Hamburg noch einmal als CDU-Vorsitzende antritt. „Die Marke Merkel hat sich verbraucht, das ist eine der Botschaften von Hessen“, schreibt Weiland.
     
  • „Es gibt derzeit zwei Zeitgeiste, einen Zeitgeist I und einen Zeitgeist II, die sich an Wahltagen materialisieren“, kommentiert Heribert Prantl für die Süddeutsche Zeitung. Dabei sei der Zeitgeist I schon länger bei der AfD zu Hause und der Zeitgeist II wohne neuerdings bei den Grünen. Zeitgeist I sei einer, der Abschließung und Ausschluss propagiere. Zeitgeist II propagiere Aufgeschlossenheit und Öffnung. Beide stünden für die gespaltene Mentalität unseres Zeitalters. Darum könnten sich die Parteien, bei denen keiner der beiden gerade wohne, sich abstrampeln können, wie sie wollen. Darum titelt Prantl: „Für Nahles ist es bitter, für Merkel ernst“.
     
  • „Ist deswegen ein baldiges Ende der Großen Koalition in Berlin in Sicht? Sie dürfte vorerst als wankendes Vehikel weiterexistieren“, schreibt Benedict Neff in der Neuen Zürcher Zeitung. Die einst großen Volksparteien würden dabei auch an ihrer Unfähigkeit zur Selbstkritik zugrunde gehen. Das betreffe insbesondere die Flüchtlingspolitik von 2015 und 2016, einen Tiefpunkt der Großen Koalition. Die Erklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, man könne 3000 Kilometer deutsche Grenzen nicht schützen, habe nach Selbstaufgabe geklungen. „Die SPD braucht eine programmatische Neuausrichtung: Niemand weiß mehr, was diese Partei will und für wen sie Politik macht. Die CDU braucht insbesondere einen Personalwechsel. Angela Merkels Regierung hat sich erschöpft“, schreibt Neff.
     
  • „Es wäre ein Fehler, wenn Angela Merkel noch einmal für den CDU-Parteivorsitz kandidierte. Doch hört die Kanzlerin die Signale?“, fragt Berthold Kohler in seinem Kommentar für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Bislang habe Merkel daran festgehalten, sich im Dezember erneut als CDU-Vorsitzende bestätigen zu lassen. Das Schicksal ihres Vorgängers Gerhard Schröder könne sie eigentlich lehren, dass ein Kanzler nie den Parteivorsitz abgeben solle. In Merkels Lage aber würde ein Festhalten an diesem Amt der größere Fehler. Stattdessen könne sie, wenn sie die Macht abgebe, belegen, dass auch sie wisse, was bereits alle wüssten: „Das Ende ihrer Kanzlerschaft naht“, schreibt Kohler.
     
  • „Die SPD sollte die große Koalition verlassen und Angela Merkel ihre Nachfolge organisieren“, rät Peter Dausend auf Zeit Online den Sozialdemokraten und der Bundeskanzlerin. Denn die Landtagswahl in Hessen, „dem politischen Großlabor Deutschlands“, markiere eine Zäsur. Es sei nun Geschichte, dass nur zwei Volksparteien flächendeckend die Geschicke des Landes bestimmten und die anderen mal hier mal da ein bisschen mitreden dürften. „Es ist vorbei mit der großen Koalition in Berlin. Egal, ob sie noch weiter regiert oder nicht.“ Nach Bayern würden die Partner nun auch in Hessen zusammen mehr als 20 Punkte Verlust einfahren. So heftig hätten die Wähler noch keine Bundesregierung abgestraft. „Die große Koalition verliert ihre Legitimation“, schreibt Dausend.
     
  • Dass die Traditionsbataillone der hessischen CDU Merkel tatsächlich verehren, darf stark bezweifelt werden“, kommentiert der Chefredakteur der taz, Georg Löwisch. Eher sei aus Roland Kochs einstigem Kampfverband Volker Bouffiers Krampfverband geworden, der nach dieser Niederlage auf Rache sinnen würde. In der hessischen CDU, die einst mit Ressentiments gegen Einwanderer noch gewonnen habe, würde abermals auf das starke Ergebnis der AfD verwiesen werden. Merkel stützen oder stürzen – nach Hessen wird diese Frage in der CDU nun weiter gären“, schreibt Löwisch.
     
  • „Die Reaktionen in der CDU, besonders die Glückwünsche der Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer zeigen, was in der CDU-Zentrale und im Kanzleramt herrscht: komplette Realitätsverweigerung“, kommentiert Bild-Chefredakteur Julian Reichelt. Das Ergebnis zeige schlicht die blanke Wut der Wähler. Der könne man nur begegnen, wenn man ein Gespür für Sorgen und Nöte der Menschen im Land habe. Wie die CDU das ins Positive ändern wolle, sei nicht erkennbar. „Diese CDU steht hilflos da“, schreibt Reichelt.
     
  • „Der Wähler hat der Großen Koalition eine Abfuhr erteilt – schon wieder. Doch die Große Koalition in Berlin wird so tun, als wäre nichts geschehen“, wagt Thomas Sigmund im Handelsblatt seinen Blick die Zukunft. Dort werde man auch weiterhin im Stillstand verweilen, weil bei Neuwahlen eben noch Schlimmeres für beide drohe. So schleppe sich die Koalition weiter dahin und tue so, als ob sie den Wählerwillen nicht mitbekommen habe. Das zeige sich schon daran, dass man sich erneut verzettele widersprüchlichen Projekten wie der Ausweitung der Mütterrente. Stattdessen müsse sie sich mit der Entlastung der Mitte der Gesellschaft oder einer konsequenten Zuwanderungspolitik beschäftigen.

Die Analyse von Cicero-Chefredakteur Christoph Schwennicke.

Das vorläufige amtliche Endergebnis.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Joachim Wittenbecher | So., 28. Oktober 2018 - 21:35

Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung macht sich Gedanken über den gespaltenen Zeitgeist - pro AfD und pro Grüne. In Wirklichkeit ist gerade ein Journalist wie Heribert Prantl mit ursächlich für die Spaltung der Gesellschaft: über mehr als 2 Jahrzehnte hat er der 2015 durch Merkel vollzogenen Flüchtlingspolitik publizistisch den Weg bereitet: beinahe täglich wurde dieser Gesellschaft in Kommentarform eingeimpft, dass sie - unter gänzlicher Hintanstellung kritischer Einwände - Aufnahmebereitschaft zu zeigen habe, ohne Obergrenze. Jetzt wundert man sich über die Folgen. Mehr Realismus, mehr Vernunft und mehr Kompromissbereitschaft beim linken Teil der schreibenden Zunft hätte einer rationalen und sozialverträglichen Flüchtlingspolitik ohne gesellschaftliche Spaltung den Weg ebnen können.

Ihre Aussagen möchte ich dick unterstreichen, lieber Herr Wittenbecher.

Als maßgeblicher Journalist bei der SZ hat gerade Herr Prantl mit seinem hochnäsigen Moralismus und der strikten Zurückweisung jeglicher Kritik an der Migrationspolitik erheblichen Anteil daran, daß viele Bürger verbittert und wütend sind.
Aber er wird dies niemals zugeben; denn dann müßte er sich ja von seinen
Lebenslügen verabschieden und auf den Boden der Realität begeben.
Da ist es doch dann einfacher, der AfD und dem wachsenden Radikalismus in den
neuen Bundesländern die Schuld in die Schuhe zu schieben...

Manfred Gimmler | Mo., 29. Oktober 2018 - 02:11

Auch nach dieser Wahl wird es keine Explosionen geben; denn die Heucheldemokraten beherrschen das Geschäft des politischen Betriebes, wo mit Prozentzahlen und deren Interpretationen die Wirklichkeit stets den eigenen Wünschen angepaßt wird. Fehlendes Schamgefühl erleichtert dabei das Sichern fetter Pfründe.

Daß es keine Große Koalition mehr gibt, ist vor dem Hintergrund der Summe 26%+16% natürlich eine Binse. Na und! Dann wird die bisherige Politik eben unter einem anderen Namen weitergeführt; denn die Abwahl einer Politik ist mittlerweile im miefigen deutschen Parteienstaat mit seinen „gelernten Demokraten“ die Ausnahme und die Neigung zu politischen Führern doch tatsächlich unter vielen noch nach wie vor virulent.

Merkel wird das Siechtum eines einst funktionstüchtigen Staates im Kanzleramt noch „ein Stück weit“ ohne jegliche Gefühlsregung begleiten, um dann später als drittgrößter Irrfahrer und verkannte Friedensnobelpreisträgerin in die deutsche Geschichte einzugehen.

Claudia Martin | Mo., 29. Oktober 2018 - 03:49

Warum auch? Die Germanen sind ganz wild darauf noch mehr Steuern zu zahlen. Noch mehr Flüchtlinge müssen her (Mutter und Kind im Schlauchboot - wer kann da schon nein sagen?). Europa erhält weiterhin Reparationszahlungen von D (ohne dies so zu benennen). Deshalb zahlen wir auch unendlich. Der einzige Gradmesser ist der Stimmenanteil der AFD. Solange der unter 50 % liegt, ändert sich nix. Wahrscheinlich wurde die AFD sogar von den Altparteien erfunden nach dem Motto "Brot und Spiele". Ganz schön clever. So bindet man die Unzufriedenen und macht sie damit irrelevant. War doch irgendwie in der DDR auch so. Es gab ja da auch verschiedene Parteien...

Norbert Heyer | Mo., 29. Oktober 2018 - 05:32

Nach dieser Erdrutsch-Niederlage müsste eigentlich die merkwürdige GROKO im Bund platzen, die beiden verantwortliche Damen zurücktreten und Neuwahlen anstehen. Passieren wird nichts. Dazu sitzt die Angst viel zu tief, dass der geneigte Wähler die beiden Volksparteien noch extremer abstraft. Außerdem ist die Kanzlerin hart im Nehmen. Sie wird niemals freiwillig den Rückzug - zum Wohl des ganzen Landes - antreten. Diese Frau ist mit allen Wassern gewaschen und will ihr zerstörerisches Werk noch viele Jahre fortsetzen. Und ihre Partei hat nicht einen einzigen Kandidaten der den Mut hast, diese Frau zu stoppen. Nicht nur Frau Merkel ist für die derzeitige Lage verantwortlich, sondern auch ihre Partei, alle Unterstützer und die Mehrzahl der Medien. Anscheinend fehlt den Deutschen die Fähigkeit, durch Wahlen Änderungen herbeizuführen, die diese tragische Fehlentwicklung beenden. Außerdem hat Frau Merkel es geschafft, mit allen Parteien koalieren zu können - eben ein Machtgenie.

Luwig Stassen | Mo., 29. Oktober 2018 - 07:52

Der Wähler hat von seinem Wahlrecht gebrauch gemacht und nun haben die Gewählten die Freiheit Mehrheiten zu finden, Entscheidungen zu treffen und Politik zu machen. Das hat dann Auswirkung wenn die Wiederwahl ansteht. Alternativlos ist eine Entscheidung, nie sonst wachsen die Alternativen so wie jetzt trotz 5% Hürde. Die FDP hat sich im Bund der Mitarbeit verweigert, die Grünen profitieren von Ihrer Bereitschaft. Die Volksparteien verlieren die "Ge-VOLK-schaft" der länger hier lebenden Wahlberechtigten.

Rainer Mrochen | Mo., 29. Oktober 2018 - 08:04

Das asoziale, grosskoalitionäre Politgesocks hängt wie Kletten an seinen Regierungssesseln. Die glauben tatsächlich, verantwortlich für unser Land zu handeln und rechtfertigen so ihre Position, jedenfalls öffentlich, wohlwissend das eine Kehrtwende notwendig ist. Das wird jedoch nicht gesagt, getreu dem Politmotto: Nur was sich nicht mehr leugnen lässt, wird zugegeben.
Wie mahnte schon Gorbatschow: Wer die Zeit nicht erkennt, den bestraft das Leben. So wird's kommen.
Freundliche Grüße

Birgit Fischer | Mo., 29. Oktober 2018 - 08:51

Die miesesten Kanzler der BRD waren Brandt und Merkel. Brandt hat die BRD in die Beliebigkeit geführt. Merkel hat unseren nationalen Wohlstand vernichtet. Die BRD ist heute ein armes Land. Seine Bürger sind mehrheitlich arm und vermögenslos.
Im Vergleich zu allen Nachbarn fallen wir massiv zurück. Italiener, Spanier haben doppelte bis dreifache Vermögen im statistischen Mittel.

Joachim Wittenbecher | Mo., 29. Oktober 2018 - 11:42

Antwort auf von Birgit Fischer

Ich muss Ihnen widersprechen, sehr geehrte Frau Fischer: Willy Brandt hat als linker Patriot für Deutschland und Europa sehr viel bewirkt; zu nennen sind die Ostverträge, die viele menschliche Erleichterungen gebracht haben. Ohne Ostverträge 1972 keine Wiedervereinigung 1990. Die Kluft zwischen linkem Patriotismus und Beliebigkeit wurde auch 1990 deutlich: der elder Statesman Brandt hat die unverhoffte Möglichkeit der Wiedervereinigung rasch erkannt und propagiert, konterkariert vom damaligen SPD-Spitzenkandidaten Lafontaine. Die SPD krankt noch heute daran, dass viele Ostdeutsche das Gefühl hatten, von der West-SPD nicht ohne Vorbehalte akzeptiert zu werden. Weiterhin hat Willy Brandt bei unseren Nachbarn - der 2.Weltkrieg war zeitlich noch nahe - die Zustimmung zu einem westlich-demokratische Deutschland gestärkt. Vieles von dem, was Brandt geschaffen hat, setzt Merkel aufs Spiel.

Ralph Lewenhardt | Mo., 29. Oktober 2018 - 09:15

Das Klammern von Merkel, Nahles und Scholz in der GROKO, ohne Volksmehrheiten dahinter, ist angesichts des alles überstrahlenden Bürgerprotestes, die öffentliche eigennützige Ignoranz jeglicher demokratischer Moral. Ihr vorgeschobenes Argument, Deutschland damit vor einem Rechtsruck bewahren zu wollen, ist angesichts des steilen Protestaufstiegs der linken Grünen, nunmehr auch noch zusammengeklappt.
So stellen die s.g. Volksparteien selbst, jegliche politische Moral an den Pranger und spalten aus persönlichem Eigennutz die Gesellschaft immer tiefer.

Horst Arnold | Mo., 29. Oktober 2018 - 12:42

Die Reaktion der Medien auf die Ergebnisse der letzten beiden Wahlen lässt den an Politik interessierten Wähler erkennen, wie hilflos sie als streng regierungsorientierte Meinungsmacher mit dem Ausgang der Wahlen umgehen. Der Wahlgewinner AfD (plus 9%) wird von Ihnen nicht als solcher dargestellt, statt dessen werden die Grünen (8,7%) als Sieger gefeiert. Früher waren bei Wahlgewinnern Gratulationen üblich, heute werden Gewinner einfach nur ignoriert, auch wenn diese zutiefst demokratische Parteien sind.
Parteien wie CDU und SPD, die für den Niedergang der deutschen Kultur verantwortlich sind, werden inzwischen von den politisch interessierten Wählern bei Wahlen abestraft. Leider wurde unser Volk inzwischen durch die Medienmeinungen so eingeschüchtert und falsch informiert, dass sich viele Menschen nicht wagen eine demokratische und vernunftgesteuerte Partei wie die AfD zu wählen. Nur dadurch sind die viel zu hohen Stimmenanteile der Grünen zu erklären.