
- Erfolgreicher Weltökonom?
Am 23.12. 2018 hätte der ehemalige SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt 100. Geburtstag gefeiert. Auch drei Jahre nach seinem Tod hält sich seine Popularität als Macher in Krisenzeiten. Dabei war der Hanseat längst nicht in allen Bereichen erfolgreich
An diesem Sonntag, einen Tag vor Weihnachten 2018, würde Helmut Schmidt seinen 100. Geburtstag feiern, wenn er nicht am 10. November 2015 gestorben wäre. Der fünfte Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland galt als krisenerprobter Weltökonom und bekennender Pragmatiker mit einer ausgeprägten Abneigung gegen Visionäre – getreu seinem Satz, wer Visionen habe, solle gefälligst einen Arzt konsultieren.
Würde man versuchen, sich Helmut Schmidts Persönlichkeit und seinem Politikstil psychologisch anzunähern, böte das Geburtsdatum, der 23. Dezember 1918, eine munter sprudelnde Quelle der Inspiration. Jedem, der an diesem Datum geboren wurde, dürfte der Pragmatismus sozusagen in die Wiege gelegt worden zu sein. Wer in den wirtschaftlich schwierigen Jahren dieser Kinderzeit am Geburtstag eine gestrickte Mütze und einen Tag später, zu Weihnachten, dazu die passenden Handschuhe geschenkt bekam, dürfte wohl zwangsläufig ein Leben lang zum Pragmatiker erzogen worden sein.
Ruf als Macher in Krisensituationen
Krisen haben Helmut Schmidt bekannt gemacht und sein Image als Macher begründet. Als eine gewaltige Sturmflut Hamburg und die Nordseeküste im Februar 1962 heimsuchte, koordinierte er als Innensenator Hamburgs den Einsatz aller Hilfs- und Rettungskräfte. Schmidt nutzte seinen guten Kontakt zu Bundeswehr und Nato, um den Flutopfern Hilfe mit dem Einsatz von Hubschraubern und Pioniergerät schneller und effektiver schicken zu können. Er bewegte sich damit in einer rechtlichen Grauzone. Kritische Anmerkungen wischte er mit dem Satz vom Tisch: „Ich habe das Grundgesetz in diesen Tagen nicht angeguckt.“
Zu handeln, ohne sich von Bedenken aufhalten zu lassen, begründete seinen Ruf als Macher, der ihm zeitlebens anhing. Der „große Kühle aus dem Norden“ war eine der Etikettierung, die Helmut Schmidt vor allem in der Zeit seiner achtjährigen Kanzlerschaft (1974 – 1982) erfuhr. Das Grundmotiv lieferten etliche Krisen, die er mit nüchterner Rationalität und im Wissen um seine analytischen Fähigkeiten zu meistern versuchte. Dass Helmut Schmidt auch eine empathische Seite zeigen konnte, wussten nur enge Freunde.
In der Öffentlichkeit trat er als eiserner Kanzler auf, wie im so genannten Deutschen Herbst. Der Terrorismus der Raf eskalierte im September und Oktober des Jahres 1977 mit der Entführung und Ermordung von Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer und der Entführung der mit Touristen voll besetzten Lufthansamaschine „Landshut“. Das Ziel der Terroristen und ihrer palästinensischen Helfer war die Freipressung der inhaftierten Mitglieder der Baader-Meinhof-Bande. Helmut Schmidt setzte im Krisenstab die Maxime „der Staat lässt sich nicht erpressen“ durch – im Wissen, dass dies den Tod Schleyers bedeuten würde. Weggefährten berichten, dass dies für den Kanzler die schwierigsten Entscheidung seines politischen Lebens war.
Wachstum und Stabilität als Staatsräson
Schmidts Kanzlerschaft fiel in die wirtschaftlich schwierige Phase der internationalen Stagflation und der so genannten Eurosklerose. Krisen begleiteten seinen politischen Weg. Für ihn war das ein Spielfeld, dass seinen wirtschaftlichen Sachverstand und seine Macher-Qualitäten herausforderte. Er glänzte, weil er im Vergleich zu seinen „Kollegen“ der wirtschaftlich versierteste war. Für ihn gehörte die Bewahrung von Wachstum und Stabilität zur Staatsräson. Er begriff seinen Anstoß, Weltwirtschaftsgipfel zu etablieren, bei denen die wichtigsten Wirtschaftsnationen über drängende Themen beraten, auch als Lehre aus dem Scheitern der Weimarer Republik. Sie war nach Helmut Schmidts Meinung, an falschen wirtschafts- und finanzpolitischen Entscheidungen gescheitert.
Seine Kritiker bescheinigten ihm wegen seines stets zur Schau gestellten Selbstbewusstseins ein großes Stück Arroganz. Die scharfe Rhetorik, mit der er Kritikern und Gegner üblicher Weise belegte, förderte diese Sicht. Eines seiner Lieblingsopfer war Franz Josef Strauß, den er einmal wegen eines Auftritts beim politischen Aschermittwoch in Passau schon mal „Schweinehirt“ nannte oder im Bundestagwahlkampf 1980 mit einem Satz bedachte, der heute einen Sturm der Entrüstung auslösen würde und der so gar nicht zum kühlen Hanseatenimage passen will. Zitat: „Franz Josef Strauß redet wie der Bulle pisst.“ Diese Worte lösten ein breites Echo aus, aber keineswegs einen Shitstorm heutiger Zeit. So untersuchten die Tagesthemen Schmidts Aussage empirisch, wie es der Bulle mit der Urinabfuhr hielt. Das war mehr Gaudium über „Schmidt-Schnauze“ als Kritik.
Kohl hatte den Erfolg, den Schmidt wollte
Zusammen mit dem damaligen Staatspräsidenten Frankreichs Giscard d‘Estaing versuchte Schmidt die Lähmung der europäischen Gemeinschaft zu überwinden. Die Achse Paris-Bonn funktionierte, aber sie hatte nicht genügend Schwung, um Egoismen einzelner EU-Mitgliedstaaten effektiv entgegen zu treten und damit die Eurosklerose zu lösen. Sein Politikstil auch gegenüber dem Freund Frankreich brachte ihm dort unter Anspielung auf seinen militärischen Rang im Zweiten Weltkrieg den wenig schmeichelhaften Spitznamen „le Feldwebel“ ein. Eine seiner größten Kränkungen dürfte es jedoch gewesen, dass es seinem Nachfolger Helmut Kohl vergönnt war, die Eurosklerose zu durchbrechen.
Die Dauerkrisen der europäischen Währungen beantworten Schmidt und d‘ Estaing mit der Schaffung des EWS, eines Währungssystems mit festen Wechselkursen. Allerdings beflügelte dieses System die Phantasien der Spekulanten. Sie initiierten regelrechte Angriffswellen gegen einzelne europäische Landeswährungen und zwangen damit die europäischen Notenbanken zu milliardenschweren Stützungskäufen. So entstanden bei den Spekulanten Riesenvermögen, wie das von George Soros. Erst mit der Einführung der ECU, der Verrechnungseinheit europäischer Währungen und 1999 mit den Maastrichter Verträgen über die Einführung der Gemeinschaftswährung Euro gelang eine relative Beruhigung der Spekulation. Helmut Schmidt erkannte seinerzeit nicht, dass nur Solidität und eine engere Zusammenarbeit und Abstimmung der nationalen Wirtschafts- und Finanzpolitiken zum gewünschten Erfolg führen können.
Einstieg in eine wuchernde Staatsverschuldung
Bei allem wirtschaftlichen Sachverstand war Helmut Schmidt nicht gegen Fehleinschätzungen und Fehler gefeit. Vor allem sein Glaube an die Lehren von John Maynard Keynes führten zu fatalen Fehleinschätzungen, die die Bilanz seiner Kanzlerschaft ins Negative drehen. Schmidts Vorstellung, Konjunkturschwächen mit schuldenfinanzierten staatlichen Investitionsprogrammen bekämpfen zu können, lösten lediglich Strohfeuer aus, die von Mitnahmeeffekten geschürt wurden. Für Deutschland bedeutete die Politik des „deficit spending“, den Einstieg in eine wuchernde Staatsverschuldung. Die jährliche Nettokreditaufnahme des Bundeshauhalts erhöhte sich von 9,5 Milliarden D-Mark bei Schmidts Amtsantritt auf mehr als 40 Milliarden D-Mark am Ende 1982. Nichts entlarvt Helmut Schmidts ökonomische Fehler so, wie sein einfältiger Satz: „5 Prozent Inflation sind mir lieber als 5 Prozent Arbeitslosigkeit.“ Am Ende seiner Amtszeit betrug die Inflationsrate 5,2 Prozent und die Arbeitslosenquote 7,5 Prozent.
Sein Image als Weltökonom bekam trotzdem keine Kratzer. Nach seiner aktiven Zeit begann er eine bemerkenswerte Karriere als Elder-Statesman, Mitherausgeber der Wochenzeitung Die Zeit und Publizist. Helmut Schmidt war ein gern gesehener Gast bei Talkshows und anderen öffentlichen Auftritten. Er sparte dabei nicht mit seinen viel beachteten Beiträgen zu aktuellen politischen Diskussionen. Hinter dem Glanz dieser späten Jahre verblassten die Fehler seiner Kanzlerschaft immer mehr.