
- Gesundbeten hilft nicht!
In höchst komplizierten Konfliktregionen wie in Syrien helfen weder pazifistische Phrasen noch Aktionismus. Vielmehr sind klare militärische Strategien notwendig. Das Vorgehen der USA gegen Nordkorea liefert ein Beispiel dafür ab, wie man es nicht tun sollte
Nach dem Giftgaseinsatz in Chan Sheikun und dem amerikanischen Luftangriff auf die Luftwaffenbasis Al Shayrat prasseln wieder abgedroschene Phrasen auf uns herab: „Stoppt das Blutvergießen!“, „Es gibt keine militärische Lösung!“ oder „Das syrische Volk muss selbst entscheiden!“. Solche Phrasen sind wohlfeil. Sie erinnern an sonntägliche Fürbittengebete. Sie sollen Entschlossenheit signalisieren und demonstrieren doch nur Ohnmacht. Sie spiegeln einfache Lösungen vor, wo es um bittere Entscheidungen geht, um Risiko und um Opfer.
Es braucht Rechtfertigung für das Blutvergießen
Auf Appelle hin werden die Bürgerkriegsparteien in Syrien nicht bereit sein, die Waffen niederzulegen. Entscheidend ist nicht, dass Blut vergossen wird, sondern wofür. Wenn Militär den Auftrag erhält, zu zerstören und, wenn notwendig, auch zu töten, muss dieser Auftrag genauestens abgewogen und öffentlich verantwortet werden. Er lässt sich nur rechtfertigen, wenn es strategische Ziele gibt, die sich ohne diese Opfer nicht erreichen lassen.
Wenn Ziele des IS getroffen werden, ist unsere Abscheu vor Blutvergießen deutlich weniger ausgeprägt. Der Zweite Weltkrieg war ein ungeheures Blutbad. Aber niemand hätte zwischen 1940 und 1945 ernsthaft gefordert, das Blutvergießen einzustellen. Man vergoss damals Blut – fremdes und eigenes – weil es ein klares strategisches Ziel gab: Bedingungslose Kapitulation. Blutvergießen für strategische Ziele generell abzulehnen, ist Pazifismus. Wer bedingungslos ein Ende des Blutvergießens fordert, stellt die Konfliktparteien auf eine Stufe. Er scheut eine klare strategische Positionierung. Was passiert, wenn diese fehlt, zeigen die Konflikte der vergangenen Jahre. Unvoreingenommen betrachtet haben wir mit den Gruppierungen, die gegen Baschar al-Assad kämpfen, nicht viel mehr gemein als mit Assad und seinem Regime. In Afghanistan haben sich die USA zunächst mit den Taliban gegen Russland, und kurz danach mit fragwürdigen War Lords und kriminellen Potentaten gegen die Taliban verbündet. Im Irak haben sie Saddam Hussein gestürzt und dessen Anhänger dem IS in die Arme getrieben. In Libyen hat die Beseitigung Muammar al-Gaddafis nicht zu Freiheit, Demokratie und Wohlstand geführt sondern zu Bürgerkrieg und Chaos. In Syrien droht sich nun, diese qualvolle Geschichte zu wiederholen. Den Rücktritt von Assad zu fordern ist wohlfeil, wenn man die Mittel dazu nicht hat. Seit fünf Jahren wird diese Forderung erhoben. Sie hat bisher nur seinen Widerstandswillen erhärtet und zu noch mehr Blutvergießen geführt.
Schutz der Zivilbevölkerung rückt in den Hintergrund
Bei Kriegshandlungen werden unvermeidlich immer auch Zivilisten getroffen, vor allem im Städtekampf, Haus um Haus. Stalingrad und Berlin waren nur ein Vorgeschmack für das, was sich in Aleppo und Mossul gegenwärtig abspielt. Wenn mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung in urbanen Verdichtungsräumen leben, wird immer auch die Zivilbevölkerung darunter leiden.
Dabei ist die Schonung von Zivilisten ein Grundsatz der Zivilisation. In ihm gipfeln die Bemühungen um Einhegung kriegerischen Schreckens. Ihm gebührt strikte Beachtung. Aber die Vorstellung, die der Haager Landkriegsordnung zugrunde liegt, geht noch von klassischen Heeren aus, die übers Land ziehen und in einer Feldschlacht die militärische Entscheidung suchen. Damals gehörten weder Luftkrieg noch Häuserkampf zum Handbuch der Kriegsherren.
Die unterschiedslose Vernichtung von militärisch relevanten Zielen und ihrer zivilen Umgebung ist der entscheidende Grund für die Ächtung von Massenvernichtungswaffen. Aber jedes militärische Vorgehen muss immer wieder Risiken und Gefahren sorgfältig abwägen: Für die eigene Seite, für die Zivilbevölkerung und für den Gegner. Asymmetrische Kriegsführung, Partisanenkrieg und ziviler Widerstand machen derartige Abwägungen besonders schwer. Wenn Zivilisten getroffen werden, ist dies immer ein Skandal. Aber sind sie deshalb „unschuldig“? Unglücklich, unbeteiligt vielleicht – aber unschuldig? Über die individuelle Schuld der Getroffenen kann niemand etwas wissen. Meist wissen wir nicht einmal, ob sie tatsächlich unbeteiligt waren. Dieser Sprachgebrauch impliziert, dass diejenigen, die „Unschuldige“ töten, selbst „schuldig“ sein müssen.
Ein Menschenleben ist nicht höchster Selbstzweck
Kriegführung ist aber keine Frage von individueller moralischer Schuld. Die Motive zu einem Krieg lassen sich moralisch bewerten. Und die Notwendigkeit sorgfältiger Güterabwägung gilt auch im Krieg. Aber Kriegshandlungen zeichnen sich dadurch aus, dass ein Menschenleben nicht mehr höchster Selbstzweck ist, sondern zu einem Faktor in dieser Güterabwägung wird. Ein Soldat, der im Kampf Befehle ausführt, wird dadurch nicht „schuldig“. Das gilt für alle Seiten. Seine Schuld kann davon herrühren, dass er sich einer verbrecherischen Sache anschließt. Und natürlich sind Übergriffe, denen keine taktische Notwendigkeit zugrunde liegt, immer und unter allen Umständen verwerflich: Plünderungen, Massaker, wahlloses Gemetzel, Völkermord. Aber im Nebel des Krieges sind solche Abgrenzungen selten mit vollständiger Klarheit möglich.
Ein bekanntes Beispiel ist die Kunduz-Affäre aus dem Jahr 2009. Die Bombardierung der entführten Tanklaster in Afghanistan stellte sich im Nachhinein als Überreaktion heraus. Die Ungewissheit der Lage und die Gewissheit der Bedrohungen ließen jedoch zum Zeitpunkt der Entführung keine andere Entscheidung zu, als die, die Oberst Georg Klein damals traf. Unbeteiligte, „Unschuldige“ fanden damals den Tod. Oberst Klein ist deshalb aber nicht „schuldig“. Wenn städtische Gebiete zur Kampfzone werden, sind Zivilisten unvermeidlich betroffen. Das ist ein großes Unglück. Alles sollte daran gesetzt werden, auch im urbanen Häuserkampf Schutzzonen und Schutzräume für Zivilisten einzurichten. Aber sie sollten nicht pauschal als „unschuldig“ bezeichnet werden – ebenso wenig wie diejenigen, die ihr eigenes Leben riskieren, um eine Stadt zurückzugewinnen, dadurch pauschal „schuldig“ werden.
Eine Lösung für Syrien liegt in großer Ferne
Wie schwierig das ist, zeigt sich in Syrien. Die Forderung, das syrische Volk müsse demokratisch über seine eigene Zukunft entscheiden, klingt eingängig. Der Bürgerkrieg zeigt jedoch, dass es ein einheitliches Volk, in dem sich die Minderheit der Abstimmungsmehrheit fügt, nicht mehr gibt. Hierfür wären Vertrauen, das Gefühl einer Schicksalsgemeinschaft und gegenseitige Loyalität notwendig. Davon ist nirgends etwas zu sehen. Es ist leichter, sich an die Illusion zu klammern, dass nach den Gewaltorgien eine Rückkehr zum Vertrauen status quo ante möglich wäre. Mit jedem Kampftag zeichnet sich ab, dass die nach dem Ersten Weltkrieg von den Kolonialmächten gezogenen Grenzen in Nahost keinen Bestand haben. Die Kurden werden keiner Lösung zustimmen, die ihnen nicht staatliche Autonomie gewährt. Die Alewiten um Assad werden sich bis zur letzten Patrone dagegen wehren, ihre derzeitigen Privilegien aufzugeben, denn sie wissen, was dann folgen könnte. Nordvietnam hat nach 1975 vorgemacht, wie es der Elite eines besiegten Volksteils ergeht.
Ziel jedes Krieges ist Frieden
Wie kann es in dieser höchst komplizierten Gemengelage zu einer Lösung kommen? Zunächst einmal muss man festhalten: Krieg hat niemals eine militärische Lösung. Das Ziel jedes Krieges ist Frieden. Wer Clausewitz gelesen hat, weiß, dass Militäroperationen dazu dienen, Voraussetzungen für diplomatische Verhandlungen zu schaffen: Krieg ist die Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln. Militäroperationen sind nie Selbstzweck. Sie sollen den gegnerischen Willen beeinflussen und ihm eine politische Verständigung attraktiver als eine Fortsetzung der Kämpfe machen. Militärische Optionen stehen nicht im Gegensatz zur Diplomatie, sondern sind gleichwertige Komponenten einer wirksamen Außenpolitik. Militäroperationen müssen letztlich immer in einer politischen Verständigung zwischen den Kriegsgegnern münden.
Die bedingungslosen Kapitulationen Deutschlands und Japans 1945 waren in der Kriegsgeschichte große Ausnahmen. Sie waren auch politische Sonderfälle, weil sie binnen weniger Jahre aus Todfeinden engste Verbündete machten. Heutzutage sind klare Konfliktlösungen selten. Wir frieren Konflikte lieber ein, wir halten sie an, lassen sie aber fortschwelen: Korea, Zypern, Palästina, Kaschmir, Georgien, Moldova. Wer behauptet, es gäbe keine militärische Lösung, denkt im Grunde in längst überholten Kategorien von Sieg und Niederlage. Die Kunst, Frieden zu machen, liegt in der Kunst, militärische Konflikte rechtzeitig zu beenden. Das Unheil des Krieges liegt darin, dass alle am Konflikt Beteiligten gleichzeitig zu der Einsicht kommen müssen, wann der Zeitpunkt für Verhandlungen gekommen ist. Vorzeitig auf Verhandlungen zu drängen, riskiert, die Konfliktursachen lediglich in die Zukunft zu verschieben. Statistisch gesehen ist die Hauptursache von neuen Kriegen ein schlecht beendeter alter Krieg. Hätte es den Zweiten Weltkrieg ohne den Ersten gegeben?
Falsche Sprache führt zu militärischer Konfrontation
Jeder Krieg mündet in einer politischen Verständigung. Und jeder Krieg hat politische Ursachen. Das zeigt sich derzeit in Nordkorea. Aus dortiger Sicht waren der Cruise Missile-Angriff auf Syrien, die erneute Forderung nach Ablösung Assads und der Abwurf der MOAB-Bombe über Afghanistan Warnsignale an Kim Jong-Un. Die Sprache verschärft sich auf beiden Seiten. Die Forderung der USA ist klar, aber unrealistisch: Einstellung des Nuklear- und Raketenprogramms. Denn gerade darin sieht Kim Jong-Un seine Lebensversicherung. Hier wird mit wachsendem Einsatz ein game of chicken gespielt: Wer zuerst zuckt, hat verloren. Wie soll eine Seite nach all diesen Drohgebärden und radikalen Forderungen zurückweichen ohne das Gesicht zu verlieren? Kim wird weiter Sprengköpfe und Raketen testen. Trump kann das von Tag zu Tag weniger hinnehmen. Beide Seiten tun alles, um nicht als ohnmächtige Prahler entlarvt zu werden. Trump kennt nur winners und losers und will unbedingt winner sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer militärischen Konfrontation kommt, steigt. Sollte es dazu kommen, sollte vorher klar sein, welches strategische Ziel erreichbar ist und wie der Weg dorthin aussehen könnte. Schon einmal haben die USA in Nordkorea fast alles gewonnen, nur um daraufhin fast alles wieder zu verlieren.