
- Wer die Freiheit liebt, lebt analog
Kolumne: Grauzone. Dank der jüngsten Wikileaks-Veröffentlichungen kennt nun jeder die Tricks des US-Auslandsgeheimdienstes CIA – auch Kriminelle. Immerhin lehrt der fragwürdige Coup, dass wir der schönen, neuen, digitalen Welt mit größter Skepsis gegenüber treten sollten
Na, schau mal einer an! Da verfügt die Central Intelligence Agency (CIA) doch tatsächlich über eine äußerst umfangreiche und leistungsfähige digitale Waffensammlung, die es ihr ermöglicht, in jedes Betriebsystem, jedes Netzwerk, jeden denkbaren Account und Computer einzudringen und dessen Nutzer respektive Besitzer auszuspionieren oder zu manipulieren. Wer hätte das gedacht?
Auf die Gefahr hin zynisch zu klingen: Wer halbwegs bei Sinnen ist und auch nur in der Lage, mit seinem PC ein Dokument auszudrucken, der dürfte von den neuesten Enthüllungen von Wikileaks nicht überrascht sein. Denn in der digitalen Welt ist es wie in der wirklichen: Was gemacht werden kann, das wird gemacht – zumal von Geheimdiensten, die über entsprechende technische, materielle und intellektuelle Mittel verfügen. Und die CIA, so dürfen wir vermuten, verfügt über die exquisitesten Ressourcen der Welt.
Man nenne es Fatalismus oder Realismus oder beides, doch klar sollte sein: Natürlich schöpfen die Geheimdienste dieser Welt die gigantischen Möglichkeiten aus, die ihnen die Digitalisierung in die Hände gespielt hat. Mehr noch: Sie beteiligen sich aktiv an ihrer Weiterentwicklung. Das liegt in ihrer Logik.
Anleitung zum Hacken
Vor allem aber gilt: Was die CIA kann, können andere auch – zumindest in absehbarer Zeit. Also russische Geheimdienste, chinesische Geheimdienste und irgendwann auch Terror- und Verbrecherorganisationen. Schlimmer noch: Dank der Veröffentlichungen von Wikileaks können sie es nun noch schneller und zielgerichteter.
Denn was Wikileaks unter dem Namen „Vault 7“ publik gemacht hat, sind umfangreiche Auszüge aus der digitalen CIA-Werkstatt: also Schwachstellen von Betriebssystemen, Anleitung für Hackerangriffe, Angriffstechnologien, Codes für Spionagesoftware und Dokumentationen fertiger Hacks.
Investigative Aufklärung vs. Verantwortungslosigkeit
Auch wenn Wikileaks vorgibt, das publizierte Material verantwortungsvoll überarbeitet zu haben, fragt man sich unwillkürlich, wo eigentlich der größere Skandal liegt: Dass ein Geheimdienst die Unternehmen und Menschen, die zu schützen letztlich seine Aufgabe und Existenzberechtigung ist, vor den erkannten Sicherheitslücken nicht warnt, sondern diese benutzt. Oder dass eine selbstgerechte, um Aufmerksamkeit buhlende und jeder öffentlichen Kontrolle entzogene Plattform wie Wikileaks solche brisanten und gefährlichen Daten veröffentlicht.
Denn dank Wikileaks haben alle interessierten Kreise, vom jugendlichen Hobbyhacker bis zur organisierten Kriminalität, zumindest Teile eines Manuals in der Hand, wie man wo mit welchen Codes Netzwerke aller Art attackiert – von Firmen, Organisationen und Institutionen, aber auch von Kraftwerken, Fabriken und Verkehrssystemen. Mit investigativer Aufklärung hat das wenig zu tun, dafür umso mehr mit Verantwortungslosigkeit.
Die Tücken des Internets der Dinge
Doch einen großen Verdienst hat der fragwürdige Coup von Wikileaks: Er sollte uns alle – als Gesellschaft und als Individuen – mahnen, den einfältigen Floskeln von der schönen, neuen Welt 4.0, wie sie von den Digitalisierungs-Gurus propagiert wird, mit größter Skepsis gegenüber zu treten. Und wir sollten uns klar machen, dass die Digitalisierung aller Lebensbereiche kein unabwendbares Schicksal ist, wie man uns einzuflüstern versucht.
Passworte für Accounts aller Art, und sei es das Online-Banking, schützen bestenfalls davor, dass sich der liebe Nachbar spontan bei einem einloggt. Mehr nicht. Wer angesichts dieser Möglichkeiten so naiv ist, vom Internet der Dinge zu träumen, von Kühlschränken, Waschmaschinen, Autos und ganzen Häusern, die mit dem Internet verbunden sind, der sollte ganz schnell umdenken. Denn die Möglichkeiten, die der vollständig digitalisierte Haushalt Organisationen und Kriminellen aller Art liefert, sind grenzenlos.
Zeit für eine Avantgarde
Umso ärgerlicher ist es, dass von Konzernen aller Branchen die weitere Digitalisierung unserer Lebenswelt mit aller Macht vorangetrieben wird – mit weitestgehend unkritischer Begleitung der Medien im Übrigen.
Wer benebelt von der einschlägigen Propaganda diesem Digitalisierungswahn folgt, sein ganzes Leben vernetzt, Wohnung, Auto und Fitness-Armband inklusive, gibt die Steuerung über sein Leben ab: nicht mehr und nicht weniger.
Doch wir leben in einer freien Marktwirtschaft. Und das bedeutet: Wir Kunden entscheiden. Denn wir Konsumenten haben die Macht, diesem Wahn, der unsere Freiheit bedroht, Einhalt zu gebieten. Niemand braucht einen Kühlschrank, der selbstständig einkauft, niemand selbstfahrende Autos und niemand ein digitalisiertes Haus. Es ist Zeit für eine neue Avantgarde! Und die lebt analog.