Wählen und wählen lassen – Die Kolumne zur Bundestagswahl - Wahlgesänge

Hilfe, wen soll ich wählen? Wahl-O-Mat und Musik-O-Mat versprechen Hilfe. Warum aber nicht auch einmal den Poet-O-Mat befragen?

Autoreninfo

Ulrike Moser ist Historikerin und leitet das Ressort Salon bei Cicero.

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Es ist ja diesmal nicht so einfach mit dem Wählen. Wem nur soll man seine Stimme geben? Annalena Baerbock, so hoch gehandelt, dann so hart mit der Realität des Wahlkampfs konfrontiert? Olaf Scholz? Wären da nicht auch noch die SPD-Partei-Chefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Armin Laschet? Vielleicht aus Mitleid? Oder Christian Lindner, der wohl der heimliche Kanzlermacher ist? Wenn man nur wüsste, wofür.

Das Wahlvolk tut sich diesmal schwer mit den Kandidaten. Nie schien die Ratlosigkeit so groß. Nie zuvor haben so viele Menschen den Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung genutzt, weil sie sich von ihm Entscheidungshilfe erhoffen. Nach Übereinstimmung suchen. Verstanden werden wollen. Der Wahl-O-Mat hat allerdings durchaus seine Tücken, und das Ergebnis birgt zuweilen Überraschungen. Da will einer sehen, ob er lieber Grün oder Rot wählt und, hoppla, findet er sich bei der Marxistisch-Leninistischen Partei. Oder bei den Grauen. Oder bei der Tierschutzpartei. Dann ist da noch der Musik-O-Mat des Musik-Streamingdienstes „Deezer“, der nach der Schnittmenge im Musikgeschmack des Wählers mit der offiziellen Playlist der Parteien sucht. Aber glaubt tatsächlich jemand, dass bei der CDU das Partygewitter abgeht, weil sie „Thunderstruck“ von AC/DC auf die Liste gesetzt haben? Und bekommt die Botschaft von „Don’t stop me now“ der Gruppe Queen nicht langsam einen flehentlichen Unterton? Und der Song „Monotonie“ von Ideal mag für manchen Wähler zwar ein Abbild der Partei sein, aber niemand wird der CDU deshalb seine Stimme schenken.

„Nur noch kurz die Welt retten“

Was Olaf Scholz betrifft, so gilt er ja gemeinhin als hanseatisch unterkühlt, steif und unnahbar. Mag sein, der Partyhit „Macarena“ von Los del Río auf der SPD-Playlist offenbart eine bislang verborgene Seite des Kanzlerkandidaten, Schwung und südländisches Feuer. Möglicherweise. Dass die FDP „High Hopes“ (Panic! At the Disco) haben, ist bekannt. Und dass die Grünen „Nur noch kurz die Welt retten“ (Tim Bendzko) wollen, auch. Und wenn Die Linke „Heroes“ von David Bowie auf ihre Playlist setzen, gilt immer noch, wie der Song fortfährt: „just for one day“. Nein, leicht ist die Wahlentscheidung nicht.

Nun hat ja unlängst AfD-Chef Tino Chrupalla eine kleine Debatte angestoßen, als er gegenüber einem Kinderreporter äußerte, dass „mehr deutsches Kulturgut“ in den Schulen gelehrt werden solle, mehr Volkslieder und Gedichte. Diesen Mangel hat er sofort eindrucksvoll illustriert, da Chrupalla selbst kein einziges Gedicht nennen konnte. Ja, die Lyrik hat es hierzulande schwer. Erst recht in Wahlkampfzeiten. Doch was ließe tiefer in die Seele einer Partei blicken als empfindsame Zeilen? Was könnte die Stimmung im Wahlkampf besser einfangen als zart geschmiedete Reime? Und so liefert der (nicht autorisierte) Poet-O-Mat von Cicero exklusiv lyrische Handreichungen zur Wahl, fein ziselierte Stimmungsbilder, damit Ihnen das Wahlkampfgeplänkel nicht wie aus einem Gedicht von Hugo Ball erscheint: „cerobadadrada / gragluda gligloda glodasch / gluglamen gloglada gleroda glandridi“ (sechs Laut- und Klanggedichte)

Unerschütterlich gelassen

Denn was hat die Lyrik nicht alles zu sagen, etwa zu Kandidat Armin Laschet, sogar zu seinem Heiterkeitsanfall in der besonders von der Unwetterkatastrophe betroffenen Gemeinde Erftstadt. „Wer lacht hier, hat gelacht? / Hier hat sich’s ausgelacht. / Wer hier lacht, macht Verdacht, / dass er aus Gründen lacht.“ (Günter Grass, Kinderlied) Und dann sanken und sanken, trotz aller Bemühungen um Schadensbegrenzung, die Umfragewerte. „Er ruft die Menschen an, die Götter, / Sein Flehen dringt zu keinem Retter, / Wie weit er auch die Stimme schickt, / Nichts Lebendes wird hier erblickt.“ (Friedrich Schiller, Die Kraniche des Ibykus) Mittlerweile hat Laschet sich zwar wieder etwas aufgerappelt, allerdings noch nicht zum Konkurrenten Olaf Scholz aufgeschlossen.

Der wirkt einfach unerschütterlich gelassen. Nichts scheint ihm etwas anzuhaben, nicht die Wirecard-Pleite, nicht die Durchsuchung seines Ministeriums. Als hätte Johann Wolfgang von Goethe an Scholz gedacht, als er dichtete: „Doch er stehet männlich an dem Steuer. / Mit dem Schiffe spielen Wind und Wellen, / Wind und Wellen nicht mit seinem Herzen./ Herrschend blickt er auf die grimme Tiefe / Und vertrauet, scheiternd oder landend, / Seinen Göttern“ (Seefahrt) Auch die FDP gibt sich zuversichtlich. Hieß es bei der letzten Bundestagswahl für Christian Lindner noch ganz nach Franz Grillparzers „Entsagung“: „Nur was du abweist, kann dir wieder kommen, / Was du verschmähst, naht ewig schmeichelnd sich, / Und in dem Abschied, vom Besitz genommen, / Erhältst du dir das einzig Deine: Dich!“

Lachende Dritte?

Nun ist von Entsagung keine Rede mehr. Lindner will regieren. Möglicherweise mit Annalena Baerbock und Scholz. „Und blicket sie lange verwundert an. / Drauf spricht er: „Es ist euch gelungen, / Ihr habt das Herz mir bezwungen, / Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn, / So nehmet auch mich zum Genossen an, / Ich sei, gewährt mir die Bitte, / In eurem Bunde der Dritte.“ (Schiller, Die Bürgschaft)

Auch Die Linke hofft noch, lachende Dritte zu werden. Von „Aufbruchsstimmung“, so der Titel des Gedichtes von Magnus Enzensberger, ist indes wenig zu hören: „Das Politbüro: ausgestorben. / Nur im Keller der Dichter / dichtet bei fünfzehn Watt / nach wie vor vor sich hin, / „um der Menschwerdung /aufzuhelfen“. Nun muss es die Linke allerdings erst einmal über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen. Sonst heißt es, mit Ingeborg Bachmann: „Sieh dich nicht um. / Schnür deinen Schuh. / Jag die Hunde zurück. / Wirf die Fische ins Meer. / Lösch die Lupinen! / Es kommen härtere Tage.“ (Die gestundete Zeit)

Mahnung ausgespuckt

Für die AfD hat der Poet-O-Mat nur eine kurze Erinnerung und Mahnung ausgespuckt, sie stammt von Kurt Tucholsky: „Heilgebrüll und völksche Heilung, / schnitttig, zackig, forsch und päng! / Staffelführer, Sturmabteilung, / Blechkapellen, schnädderädäng! / Judenfresser, Straßenmeute …/ Kleine Leute. Kleine Leute“ ( Die Mäuler auf!) Mehr kann Lyrik nicht leisten, nicht fürs prosaische Alltagsgeschäft, nicht für eine Bundestagswahl. Sie will sich (meist) nicht in Dienst nehmen lassen, nicht gemein machen, nur nachdenklich stimmen, berühren und verzaubern, Bilder im Kopf entstehen lassen, mit Worten spielen, sie klingen lassen. Wo Sie jetzt Ihr Kreuz machen? Da müssen Sie wohl alleine durch.

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Klaus Funke | Mi., 22. September 2021 - 11:55

und sie werden ganz bewusst verwendet. Irgendwie muss es doch klappen, die AfD zur Nazipartei umzuetikettieren. Tucholsky hingegen meinte die echten Nazis. Die NSdAP. Und er kannte sie. Das sollte man wissen. Die NSdAP und die AfD zu vergleichen, das ist wie den Artikelschreiber*in wie diesen hier mit Hajo Friedrich gleichzusetzen. Der war ein echter Journalist mit entsprechendem Berufsethos. Der/die/das Artikelschreiber*in ist hingegen bloß ein Schmierfink. Pardon, aber so unqualifiziert sollte man den CICERO-Lesern nicht kommen. So blöd sind wir nicht!!! Das ist wie ein Hilfsschullehrer im Gymasium. Werden jetzt, je näher die Wahl kommt, die Beiträge/Artikel immer flacher und geschrieben "in einfacher Sprache". Kopfschüttel!

Rob Schuberth | Mi., 22. September 2021 - 12:12

Sorry für meine Direktheit, aber so langsam habe ich wirklich genug von der Rubrik "Wählen& wählen lassen".

Wo ist der Artikel der sich mit der Radikalisierung der Querdenker befasst?
Oder der, der sich mit dem Rechtsstreit zw. den Brüsseler Eurokraten (u. ihrem EuGH) u. unserem BVerfG befasst.

Immerhin will Brüssel über diesen Weg eine Art Allmacht über sämtliche höchsten Gerichte aller EU-Länder durchdrücken.

Stattdessen hier nur immer die gleiche Leier...schade.

So, wie Ihnen die Radikalisierung der AfD - die übrigens in diesem Beitrag wunderbar "realistisch" umschrieben wird - völlig entgangen ist, so wenig scheinen Sie über das Konstrukt der EU informiert zu sein.

Selbstverständlich steht die EU-Rechtsprechung über der nationalen, wenn es um das europäische Regelwerk geht. Es kann ja nicht sein, dass ein nationales Gericht mal eben europaweit gültige Regeln aushebelt! Wozu eben auch ein gemeinsam vereinbartes Wertesystem gehört, gegen das Länder wie Ungarn oder Polen wiederholt verstoßen haben.

Verstanden?

Da, wo es keine europäische Politik gibt, hat die EU-Rechtsprechung auch nichts zu sagen.
Nehmen Sie zum Beispiel die Bildungs- oder Steuerpolitik, die völlig in nationaler Hand ist.

Verstanden? Ist ja nicht so schwierig, lernt jeder Oberschüler.

Mit populistischen Phrasen (Brüssel will irgendwas durchdrücken) wandeln Sie allerdings völlig auf dem Holzweg.
Hört sich natürlich im AfD-Umfeld gut an, ist aber ziemlicher Käse.

Rob Schuberth | Mi., 22. September 2021 - 20:03

Antwort auf von Gerhard Lenz

...werter Herr Lenz, da es mir zu mühsam ist mich für Sie ständig zu wiederholen.

Vllt sollten wir es auch lassen....es nervt.

Sei mögen die EU wie sie ist und wollen gerne mehr davon.

Ich mag die EU so wie sie ist_nicht_und will weniger aus Brüssel u. dafür nationales Recht WIEDER stärken.

Da müssen wir uns ja nicht ständig vom Gegenteil zu überzeugen versuchen.

Wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.

hermann klein | Mi., 22. September 2021 - 12:40

Im Mittelalter hat man Hexen verbrannt für falsche Bibel Deutung und heute zu tage müssen Kern- und Kohlekraftwerke, Industriebetriebe, Besitzer von Verbrennungsmotor Autos usw. herhalten. die nicht der Ökoreligion frönen.
Alles was nicht in das Weltbild der Ökobewegung passt, wird mit den Medienbildern von Naturkatastrophen gegeißelt. Mit der Unsicherheit und dem Unwissen der eigenen Bevölkerung wird in Deutschland Hetze betrieben, Lügen bewusst verbreitet und die Manipulation zum Werkzeug der eigenen Ziele gemacht. Die Ökosozialisten diktieren über die deutschen Medien, was der deutsche Bürger zu denken hat. Die Grünen, die Toleranz immer so hochhalten sind hier die größten Scharfmacher, wenn es darum geht ihre Ziele von einer neuen Ökodiktatur durchzusetzen.
Dennoch gibt es Hoffnung: Die Energiewende wird scheitern. Der Crash wird kommen. Ständig steigende Strompreise und immer häufiger werdende Stromausfälle sind vorprogrammiert.

Gerhard Lenz | Mi., 22. September 2021 - 17:00

Und JEDER bekommt was auf die Nase.

Natürlich setzt unverzüglich im AfD-Umfeld das große Wehklagen ein - sind doch alles Musterdemokraten dort, unter dem blauen Käppi, zu Unrecht an den Pranger gestellt.

Wer wird denn so empfindlich sein (wie AfDler selbst), und das nur wegen ein paar "starker Sprüche..", dass er die AfD gleich als den Nazis ebenbürtig darstellt?

Klasse. Beim Lesen solcher Texte weiß man, dass der Cicero noch nicht verloren ist, höchsten gelegentlich bedenklich schwankt.

Aber der so um seine Mittagsruhe gebrachte Forenkämpfer im AfD-Lager darf hoffen. Bald wird sicher Herr Paul, der neue Shooting-Star auf der Rechtsaußenbahn, wieder Texte präsentieren, die so klingen, als kämen sie unmittelbar aus der AfD-Presseabteilung.
Zwischendurch kommt ja noch der zunehmend am Leben in Deutschland leidende Herr Grau zu Wort. Es ist also jede Menge emotionale Unterstützung für den Widerstand in Sicht!

Annette Seliger | Mi., 22. September 2021 - 17:27

...einen Sozialisten erkennt. Der meist verwendete Satzbaustein bei einem Sozialisten ist; "Wir müssen!" Dabei ist der Sozialist als solcher selten ein Betroffener (= Wir) sondern meist ein Beteiligter. So ein Typ wie Kevin Künast, der nie etwas in die Sozialsysteme eingezahlt hat und sich immer von der Gesellschaft aushalten lässt. Dieser Typ Mensch, der in keinen wertschöpfenden Berufen tätig ist und nur von der Umverteilung aus Steuergeldern lebt. Die Asylindustrie der Merkel`schen rechtswidrigen Grenzöffnung hat ein ganz neue Wählerklientel geschaffen. Noch ein Wort zu Bärbock. Diese Frau ist ganz einfach nur peinlich, aber Sie hat das System begriffen und wie man sich von ihm aushalten lässt. "Krise" ist das Mittel der Grünen für den Klassenkampf und es gibt leider zu viele Menschen die wirklich glauben man könnte das Klima regeln. Was für eine Hybris.
Scholz,der schmerzfreie, Laschet, der es nicht geschafft hat sich von Merkel zu distanzieren und Bärbock - Das sind unsere Eliten!

Bernd Muhlack | Mi., 22. September 2021 - 18:36

CICERO - Das Magazin für politische Kultur

Zur politischen Kultur gehören mMn auch Musik, Essen, "Kulturelles" etc.
Das möge jeder mit sich selbst diskutieren.

"Aber glaubt tatsächlich jemand, dass bei der CDU das Partygewitter abgeht, weil sie „Thunderstruck“ von AC/DC auf die Liste gesetzt haben?
Und bekommt die Botschaft von „Don’t stop me now“ der Gruppe Queen nicht langsam einen flehentlichen Unterton? Und der Song „Monotonie“ von Ideal mag für manchen Wähler zwar ein Abbild der Partei sein, aber niemand wird der CDU deshalb seine Stimme schenken."

Werte Frau Moser, ich weiß nicht wie vielen Foristen Thunderstruck & Dont stop me now bekannt ist/sind:
=> laut, ganz LAUT!
"Monotonie" von IDEAL?
Passt zu Laschet et Co - "Blaue Augen" wäre besser.

Gleichwohl hoffe ich, dass MEIN WIR gewinnt-
ohne LINKS/GRÜN.

Sollte das in der Tat der Fall sein:
natürlich THUNDERSTRUCK!
https://www.youtube.com/watch?v=n_GFN3a0yj0

... ansonsten liegt bereits Mozarts Requiem parat.

bis SO!

..werter Herr Muhlack ist eine Möglichkeit.
Ich präferiere The Doors.
The End.
This is the end, beautiful friend
This is the end, my only friend, the end
Of our elaborate plans, the end
Of everything that stands, the end
No safety or surprise, the end
I'll never look into your eyes, again