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June Newton im Jahr 2015 / dpa

Zum Tod von June Newton - Das Leben ist schwarz und weiß

Ein Leben, zwei Namen: Die Fotografin June Newton ist tot. Bekannt wurde die Australierin als Frau an der Seite des großen Fashion- und Akt-Fotografen Helmut Newton. Unter dem Pseudonym Alice Springs erarbeitete sie sich ein eigenes fotografisches Werk. Nachruf auf eine zerrissene Frau.

Ralf Hanselle / Antje Berghäuser

Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Ein halbes Leben lang war sie die Frau im Schatten, Gattin und Geliebte an der Seite eines großen Mannes. Als die australische Schauspielerin June Browne im Jahr 1948 zu Mrs. Newton wurde, konnte sie nicht ahnen, welch tiefen Spalt sie damit durch ihr weiteres Leben reißen sollte. Dabei war ihre Ehe mit dem vor den Nazis nach Melbourne geflohenen Fotografen Helmut Newton durchaus auf Liebe gegründet. Dennoch waren die Rollen in dieser Beziehung von Beginn an klar verteilt: Aus Helmut wurde der Star-Fotograf, June blieb die Frau im Hintergrund, allenfalls eine kecke und zuweilen vorlaute Muse an seiner Seite.

Erst im Jahr 2004, Helmut Newton war Anfang des Jahres nach einem Herzinfarkt in Los Angeles verstorben, wurde aus der Schattenfrau so etwas wie die Schwarzweiße Witwe. Sie organisierte Ausstellungen, kümmerte sich um Helmuts Nachlass und spielte sich selbst mehr und mehr ins Licht. Dabei hatte die gebürtige Australierin lange schon ein zweites Leben geführt. Es war das Leben, in dem sie Alice Springs hieß, in dem sie eine Lichtbildnerin mit eigener Sprache, eigenem Anspruch und eigenen fotografischen Bildideen war. In diese Rolle war sie eigentlich schon in den Siebzigerjahren hineingeschlüpft. Damals, als sie ihre ersten eigenen Fotos für eine Imagekampagne des französischen Zigarettenhersteller Gitanes aufnehmen durfte. 

Karriere im Schatten

Dabei war auch das nur als Schattenrolle gedacht. Denn eigentlich hätten es Helmuts Fotos werden sollen. Eine Agentur hatte den damals längst hoch dotierten Fashion-Fotografen gebucht, damit er am Pariser Place Vendôme eine Bildstrecke mit rauchendem Model inszenieren konnte. Doch der Starfotograf war krank geworden. Und statt den gut dotierten Job abzusagen, hatte er kurz entschlossen sie geschickt. Er hatte ihr noch die Kamera und den Belichtungsmesser erklärt und sich anschließend von ihr vertreten lassen. Als ihre Zigarettenbilder einige Zeit später unter dem Namen Helmut Newton veröffentlicht wurden, hatte sie gewusst, dass ihr Leben eine entscheidende Wende genommen hatte: Aus June, der Frau des Fotografen, war über Nacht June die Fotografin geworden.

In just diesem Moment aber muss ihr aber auch klar geworden sein, dass es auf der Welt nur einen „echten Newton“ geben konnte. Das außergewöhnliche ikonografische Ausdrucksvermögen ihres Mannes erlangte man nicht durch einen kleinen Springerjob. Für ihre Abstecher in die Fotografie legte sich June daher ein klangvolles Pseudonym zu: Alice Springs – ein Name, den sie sich von einer kleinen Stadt irgendwo in den australischen Outbacks ausgeliehen hatte.

Erste Erfolge als Fotografin

Doch unter diesem Label gelangen der Autodidaktin in den folgenden Jahren durchaus größere Modestrecken sowie einige bemerkenswerte Werbebilder. In den Siebzigern fotografierte sie für Elle und für Marie Claire sowie für Egoïste und Jean-Louis David. Auch kleine Making-ofs zu den Mode-Shootings ihres Mannes waren bald in einschlägigen Magazinen zu sehen. Und 1974 gelang es ihr sogar erstmals, ein Foto auf dem Cover der französische Elle zu platzieren. 

Zugegeben: Die allermeisten dieser Modebilder reichten nicht an die voyeuristische und zuweilen offen pornografische Ästhetik der zu dieser Zeit angesagten Fashion-Fotografie heran – an die Bildwelten eines Guy Bourdin, Jeanloup Sieff oder eben eines Helmut Newton –, aber sie überzeugen dennoch durch offenen Eros und unverkrampfte Leichtigkeit. Selbst Ehemann Helmut blieb davon nicht unbeeindruckt – auch wenn er seiner Frau später ein eher verhaltenes Zeugnis ausstellen sollte: „Als Fotografin“, so vertraute der Meister seiner 2002 erschienenen Autobiografie an, „hatte sie nie dieselbe Energie und Zielstrebigkeit wie als Schauspielerin.“

Zwei Seelen in einer Brust

Irgendwie sollte er recht behalten: Im Herzen blieb June Newton eine Bühnenkünstlerin. Doch das musste nicht per se als Manko gelten. Im Gegenteil: Ihr wahres Talent entwickelte Alice Springs dort, wo es um Rollen und Maskeraden ging: Ab Mitte der Siebziger avancierte sie zu einer gefragten Fotografin für Porträts und Charakterbilder. Im Auftrag namhafter Magazine – oft aber auch nur für den Hausgebrauch – fotografierte sie Schauspieler und Modemacher, inszenierte Literaten und Filmemacher, formte Images für Maler und für Musiker. Diese schwarzweißen Hüftbilder und Halbfiguren werden es sein, die von ihr bleiben werden: das Konterfei der Punk-Oma Vivian Westwood, Yves Saint Laurent als unnahbare Stilikone, Bilder von der Vertrautheit und Nähe zu einer Szene, die damals den Look der westlichen Welt mitgeprägt hatte.

June Newton schien es bei solchen Aufnahmen nicht nur um die Darstellung großer Gesten gegangen zu sein. Sie hatte ein Gespür für das Wechselspiel von gelebter Rolle und ureigener Persönlichkeit. Wo auf ihren Fotos die öffentliche Person aufhörte und wo der wahre Mensch begann, das ist bis heute nur schwer zu umreißen. Vielleicht liegt diese Verschwommenheit an der eigenen Identitätsspaltung; an der Geschichte einer Frau, die über vier Dekaden hinweg zwei Namen getragen hat – die June Newton hieß und die dennoch Alice Springs war. Gestern ist bekannt geworden, dass June Newton am vergangenen Freitag mit 97 Jahren in Monte Carlo gestorben ist.
 

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Dorothee Sehrt-Irrek | Mi., 14. April 2021 - 09:27

Frau Springs gar nicht zu beachten.
Ich wußte gar nicht, dass Helmut Newton verheiratet war, was für eine große Eigenständigkeit dieser doch renommierten Fotografin sprechen könnte.
Ein schönes Paar jedenfalls.
Vielleicht werden mir ihre Bilder besser gefallen, als die ihres Mannes.
Technisch dürften beide über die Maßen Exzellenz aufweisen.
RIP