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Der Pianist Igor Levit spielt sein täglich per Twitter live gestreamtes Hauskonzert während der Corona-Krise / dpa

Igor Levit auf Twitter - Das Medium ist die Message

Journalisten schreiben auf Twitter über Pianisten, die auf Twitter schreiben. Was der Streit über Igor Levit über den Stand der Kulturkritik und des Journalismus im Zeitalter von Social Media verrät.

Ralf Hanselle / Antje Berghäuser

Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Kennen Sie Levits Legato? Das ist angeblich nicht gut. Behauptet zumindest Helmut Mauró. In einem Feuilleton-Artikel für die Süddeutsche Zeitung schrieb der langjährige Kritiker selbiger Tageszeitung jüngst, dass der Anfang Oktober mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete Starpianist Igor Levit keinen „Sinn fürs Ganze, für Spannungsaufbau, für schiere musikalische Intensität“ habe und sich stattdessen immer mehr aufs „Unverbindliche“, ja auf einen „theatralisch vorgetragenen Pathos“ verlegt habe.

Darüber müsste man jetzt eigentlich länger streiten. Man könnte zum Beispiel Levits Beethoven-Sonaten, die er während seiner täglich gestreamten Wohnzimmerkonzerte zu Corona-Lockdown-Zeiten in die isolierten Stuben hineingespielt – Mauró würde vermutlich behaupten „hineingeholpert“ – hat mit Referenzaufnahmen Claudio Arraus oder Daniel Barenboims vergleichen. Man könnte auch den Notensatz hernehmen und ihn einmal Takt für Takt mit Levits Vortrag abgleichen. 

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Dieter Erkelenz | Di., 20. Oktober 2020 - 07:57

"Auf Twitter wird alles gepostet, was unserer Meinung nach von Relevanz ist. Hier wird gebasht, gehasst und geliebt, hier wird gekeift und gestritten. Egal, ob Lisa Eckhart abgecancelt oder Nena zum Covidioten-Test geschickt werden soll: Keine Bagatelle, über die sich empörte Kritiker nicht zuvor schon die Köpfe heiß getippt hätten. "
Sehr richtig! Ich beziehe das auch auf die Allgemeinheit. Deswegen habe ich damit auch nichts'am Hut'. Ich brauche kein Ventil, um mich überall mitzuteilen um meinen Frust los zu werden und mir den von anderen Mitmenschen anzulesen!

Genau meine Meinung. Deshalb keine asozialen Medien, kein Stress. Vor allem, bleibt der Kopf frei zum Denken. Und vor allem eins, man kann auch so leben und vor allem überleben. Manch einer kann ohne sein Mobiltelefon gar nicht mehr existieren. Für alles eine App oder einen Influencer. Finden die noch fehlerfrei den Weg aufs Klo? Ich glaube nicht. Danke für ihren Kommentar.

von Beispielen durchaus ergänzen.

Besonders der Rechtsextremismus tobt in den Sozialen Medien. https://www.researchgate.net/publication/344345341_Digitaler_Faschismus…

Heute kann sich jedermann seine ganz persönliche, alternative Wahrheit im Netz anlesen.
Dermassen "hirngewaschen" wird er dann im Glauben gehobener Erkenntnis den MSM schändliches Verhalten vorwerfen.
Entspricht doch das, was er dort hört und sieht, so gar nicht seiner eigenen, höchst persönlichen Wahrheit.

Dass er mit neu gewonnenem Sendungsbewusstsein diesen Unsinn dann über Social Media dem Rest der Welt mitteilt, ist leider Alltag.

aber warum müssen Sie in Ihrer Überschrift "sogenannte social medien" Deutsch und Englisch vermengen? Entweder 'social media' oder 'soziale Medien'.

Achim Koester | Di., 20. Oktober 2020 - 09:38

mit politischen Statements medienpräsent sein zu wollen, sei es durch seine spektakuläre Rückgabe des Echo-Preises, oder auch die Angewohnheit, seine immer am linken Rand angesiedelte politische Meinung kundzutun, hat meines Erachtens ein musikalisches Defizit, nicht nur beim Legato. Ein Vergleich mit den ganz großen Pianisten der Vergangenheit (Gulda, Arrau, Richter, Horowitz,Rubinstein) verbietet sich ohnehin, aber auch die "junge Garde" allen voran Daniil Trifonov, aber auch Khatia Buniatishvili und Yuja Wang, und natürlich Lang Lang, haben die Messlatte so hoch gelegt, dass Levit sie nur mit dem Fernglas sehen kann.

Sie haben ins Schwarze getroffen, lieber Herr Koester. Genau: Wer es nötig hat! Levit, ein im Grunde mittelmäßiger Pianist, hat es verstanden, die Tendenzen des Mainstream für die Musikwelt und natürlich für sich zu nutzen und sich auf diese Weise einen "Standortvorteil" verschafft. Sein Spiel ist zum große Teil "Show", wenig verinnerlicht, kaum subtil, dafür sehr egoman und "rechthaberisch". Seine Interpretation der Beethoven Klaviersonaten hat ihn zu einem selbst eingeladenen Dauergast im Radio gemacht. Die Qualität seines Spiels reicht niemals an die Großen heran. Sie nannten sie alle... Ich habe mir die Gulda-Interpretation dieser Sonaten gekauft und bin glücklich, das Geschwafel dieses "Wunderpianisten" nicht anhören zu müssen. Irgendwann wird damit Schluss sein und wir werden die nächsten Jahrzehnte von diesem Klavierspieler nichts mehr hören.

Wolfgang Jäger | Di., 20. Oktober 2020 - 09:59

Es gab wohl in den letzten 30 Jahren noch nie eine so aggressive Werbung für einen Künstler im Bereich der klassischen Musik. Auf allen Kanälen geht das. Er wird mit Preisen überhäuft. Levit ist ein typisches Produkt der Leute, die den links-grünen Mainstream auch in die Kulturszene bringen. Levit selbst hat dies geschickt erkannt und nutzt das bravourös als Marketing-Instrument, denn er bedient alles, was momentan gehypt wird. Musik wird da sekundär, sie ist Mittel zum Zweck geworden. Und die Beethoven-Sonaten haben andere auch schon mindestens genauso gut gespielt. Levits politische Bekenntnisse passen nur allzu gut in das Raster der Antirassisten, Antidiskriminierer, Klimahysteriker, divers und weltoffen Orientierten, "Rechtspopulismus"-Feinde. Das ist die Klaviatur, auf welcher Levit spielt. Natürlich wird Beethoven selbst im Zuge dieser einseitigen ideologischen Verblendungen ebenfalls zum Abziehbild instrumentalisiert: Ein großer "kritischer", "unangepasster" Künstler. Absurd!

Manfred Bühring | Di., 20. Oktober 2020 - 10:26

Igor Levit mag ja ein ganz guter Pianist sein. Aber was er und seine PR-Berater beherrschen, ist die Selbstvermaktung. In der heutigen Zeit ist es wichtig, zu den Guten zu gehören. Ein Stilmittel ist dabei, sich die Attitüde eines lässigen Genies mit Drei-Tage-Bart und Pullover bei Konzerten zu geben, der natürlich "Grün" ist und FfF mit seinem Klavierspiel begleitet. Und dann das Bundesverdienstkreuz (wofür? weil Mitglied der Grünen und Freund von Robert H.?) als Krönung des politisch korrekten Auftretens. So geht Vermarktung heute, nur dass die Musikkritik da nicht mitspielt. Dann lieber André Rieu, da weiss man, was man hat.

Jemand, der (wie es Levi getan hat) AfD-Mitglieder nicht nur wegen ihrer Meinung kritisiert, sondern ihnen sogar das M e n s c h s e i n abspricht, der paßt halt genau ins Bild, an dem der links-grüne Mainsstream täglich eifrig weiter malt.

Dieser Mann m u ß gefördert und belobigt werden, das ist doch klar!

Was kümmern uns da ein paar Musikkritiker, die da meinen:
"S o gut spielt der doch eigentlich gar nicht ..."
???

Christa Wallau | Di., 20. Oktober 2020 - 11:47

Endlich schreibt mal jemand darüber, welchen
Kulturverlust, welche Denk-Beschneidung u. weitgehende SINNLOSIGKEIT die - ach so großartigen - neuen Medien uns beschert haben!

"Das Medium ist die Message" - Genau so ist es.

Ob es der US-Präsident ist oder ob es Parlamentarier oder Journalisten sind: Es wird
getwittert, was das Zeug hält, und d a n n darauf
wie wild reagiert.
Das ganze Gesimse und Getwittere, dessen sich ja auch unserer Kanzlerin unentwegt bedient, ist in meinen Augen eine einzige Abkehr vom wirklich
Wichtigen und Wesentlichen. Niemand hört mehr richtig zu, sondern hampelt nur herum mit seinem
Gerät, das ihm pausenlos Nachrichten zuschickt.

Haben wir noch alle Tassen im Schrank???
Wenn das der Fortschritt sein soll, daß man sich keine Zeit mehr zum gründlichen u. zusammenhängenden Denken nimmmt, dann möchte ich auf ihn gern verzichten.

Ich fordere als erste Gegenmaßnahme:
Smartphone-Verbot im Bundestag!!!

Maja Schneider | Di., 20. Oktober 2020 - 13:35

Antwort auf von Christa Wallau

Volle Zustimmung, Frau Wallau, eine gewisse, dringend erforderliche Distanz zu den sozialen, in mancher Hinsicht wohl eher asozialen Medien, wäre dringend geboten, gerade bei Verantwortungsträgern in Politik, Medien und Kultur. Komplexe Sachverhalte und differenziertes Denken lassen sich eben nicht twittern, also befasst man sich eher nicht damit und twittert drauflos.

Monique Brodka-Maréchal | Di., 20. Oktober 2020 - 20:45

Antwort auf von Christa Wallau

Top Idee!

Dorothee Sehrt-Irrek | Di., 20. Oktober 2020 - 12:52

über eine Welt, die mir gänzlich unbekannt ist, Twitter etc.
Fachlich kann ich zum Konflikt nichts sagen und bei Beethoven bin ich derzeit nicht. Bekam zum Geburtstag Christina Pluhar L´Appergiata "Luigi Rossi" mit Jaroussky, Saber, Orlinski u. A.
Ich freue mich im Allgemeinen, wenn Artikel vor allem informieren.
Da ich früher ab und zu etwas von Herrn Kaiser mitbekam, würde ich nur sagen wollen, dass eine solche Musikschau wohl eher heutzutage aus dem Rahmen fiele.
Politische Konnotationen mag ich in dem Zusammenhang auch nicht als im Vordergrund stehende.
Habe nur den BR-Artikel gelesen, der mich allerdings sehr nachdenklich gestimmt hat.
Danke für Ihre Beobachtungen dazu Herr Hanselle.
Wenn gerade klassische Musik ganz breit gespielt und rezipiert werden kann, bin ich begeistert.
Was sagt denn Peter Sellars zur aktuellen Politik?
Eine rhetorische Frage, denn was auch immer, ich würde darüber nachdenken, so sehr haben mich seine Mozart und Händel-Aufführungen bewegt und beschäftigt.

Karin Becker | Do., 22. Oktober 2020 - 14:04

I. Levit werden Musikkritiker offenbar zum Schicksal. 2010 hat Eleonore Büning, damals Feuilletonistin der FAZ, den jungen Pianisten hochgeschrieben und ihn als "Jahrhundert-Pianisten" bezeichnet. Wie Levit mal in einem Interview sagte, habe ihm dieser Artikel von Frau Büning in der FAZ bei der Karriere sehr geholfen. Im selben Text schrieb Frau Brüning, dass sie Levit bei einem Wettbewerb in Israel kennengelernt habe, er sei ein dickes Kind gewesen, das unaufhörlich redete und Witze erzählte. Jahre später ist Levit schlank, aber, wie seine Twitter-Aktivitäten zeigen, immer noch geschwätzig. "Zu allem eine Meinung" hieß in diesem Jahr eine Schlagzeile im Feuilleton der "Süddeutschen". Mit dem Artikel "Igor Levit ist müde" wird der Musiker wiederum von einem Musikkritiker in die Aufmerksamkeits- und Geschwätzigkeits-Spiralen der Medien gepusht, diesmal mittel Provokation und Polemik. Das passt zu einem Marketing-Konzept der Marke 'Igor Levit'.