
- Xi Jinpings Weg zur ewigen Macht
Der chinesische Nationale Volkskongress hat die Begrenzung der Zahl der Amtszeiten des Staatspräsidenten aufgehoben. Mit solcher Kontinuität will sich das Land mit Xi Jinping in unsicheren Zeiten schützen. Dieser Systembruch könnte aber zur größter Schwäche werden
Auf seiner jährlichen Sitzung hat der Nationale Volkskongress Chinas beschlossen, die in der chinesischen Verfassung verankerte Begrenzung der Macht des Präsidenten auf maximal zwei Amtszeiten aufzuheben. Zunächst einmal bestätigen sich damit die bereits seit längerem kursierenden Gerüchte, und es wird der Weg für den gegenwärtigen Amtsinhaber Xi Jinping geebnet, das Land so lange zu regieren, wie er und seine Mitstreiter an der Macht bleiben wollen.
Die Verfassungsänderung geht auf Xi Jinpings persönliche Initiative zurück und entspricht seinen oft geäußerten politischen Grundüberzeugungen: Liberalen politischen Systemen traut er wenig zu, hingegen ist er von der moralischen Überlegenheit und der historischen Verantwortung der kommunistischen Partei Chinas tief überzeugt. Unter Xi wurden die politischen Freiheiten weiter eingeschränkt.
Die Wirtschaft steht hinter ihm
Allerdings sehen viele in China in Xi Jinping einen wichtigen Garanten für Stabilität und Wachstum. Außerdem steht es wohl außer Frage, dass er ein fähiger und erfolgreicher Präsident und Parteiführer ist. Sein Arbeitspensum ist immens und seit seinem Amtsantritt 2013 hat er alle wirtschaftlichen Krisen und Herausforderungen mit Umsicht und Entschiedenheit gemeistert. Xi scheint die Wirtschaft in die richtige Richtung zu lenken. Der private Sektor schafft neue Arbeitsplätze, das Wachstum der Einkommen ist ungebrochen, die Inflation moderat. Xi hat darüber hinaus begonnen, das Schuldenproblem anzugehen. Er hat die Finanzaufsichtsbehörden auf Banken und Versicherungen losgelassen, um versteckte Kredit-Risiken offenzulegen und zu reduzieren.
Auch hat Xi unpopuläre, aber notwendige Schritte unternommen, um Chinas wirtschaftliche Probleme, insbesondere in der Schwerindustrie, zu entschärfen. Er hat in den vergangenen drei Jahren die Entlassung von mehr als einer Million Stahlarbeitern und mehr als einer Million Bergarbeitern betrieben. Seine mutige Anti-Korruptionskampagne hat ihm viel Unterstützung im Volk eingebracht. Insgesamt steht China gut da, aus Sicht der Wirtschaft ist eine weitere Amtsperiode durchaus willkommen. In einer von zunehmender Unsicherheit und Destabilisierung geprägten Welt – nicht zuletzt auch bezüglich der Handelsbeziehungen zu den USA – wünschen sich nicht nur die Partei, sondern auch die Öffentlichkeit und Wirtschaft vor allem Kontinuität und Stabilität.
Bruch mit bewährter Tradition
Die Risiken der Aufhebung der Amtszeitbeschränkung haben denn auch weniger mit der Person Xi Jinpings zu tun, sondern eher mit dem dadurch vollzogenen Systembruch. Ein Blick zurück zu den Anfängen der Amtszeitbegrenzungen macht das deutlich. Um eine Rückkehr zur Herrschaft eines starken Mannes wie Mao Zedong zu verhindern, warnte 1978 der Architekt von Chinas Reformpolitik, Deng Xiaoping, vor einer „exzessiven Konzentration der Macht... vor allem des Generalsekretärs, der das Kommando übernimmt und alles bewegt. Am Ende wird die einheitliche Parteiführung auf nichts reduziert als auf die Führung einer einzelnen Person.“
Aus diesem Grund führte Deng nach 1978 eine Reihe von strengen Regeln ein: Mit seltenen Ausnahmen dürfen Partei-Funktionäre höchstens 15 Jahre in einem bestimmten Rang tätig sein. Für alle Spitzenpositionen im Staat wurde die Amtszeit auf maximal zwei mal fünf Jahre beschränkt. Sofern ihnen keine besondere Ausnahme gewährt wird, müssen Kader sich in Abhängigkeit von ihrem Rang im Alter zwischen 55 und 72 Jahren von allen Regierungs- und Parteiposten zurückziehen.
Die Einführung dieser Maßnahmen machte es in der Vergangenheit möglich, dass die politische Führung etwa alle zehn Jahre regelmäßig ausgetauscht und erneuert wurde. Chinas Fähigkeit, politische Führungseliten auf der Basis leistungsbezogener Kategorien zu bilden und auszutauschen, war einzigartig unter autoritären Systemen. Das Ende der Amtszeitbeschränkung birgt somit vor allem das Risiko, ein Kapitel in der chinesischen Geschichte zuzuschlagen, in dem der geordnete, institutionalisierte Machtwechsel und parteiinterne Wettbewerb in den vergangenen vierzig Jahren einen ungebrochenen wirtschaftlichen Aufstieg ermöglicht hatte.
Die Zukunft ist ungewiss
Dieses in der Vergangenheit erfolgreiche System steht jetzt in Frage. Für China werden mit der geplanten Verfassungsänderung die Risiken politischer Rückschläge erheblich wachsen. Die vollen Auswirkungen der neuen Regeln werden dabei zwar nicht über Nacht wirksam werden, aber es ist vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis auch andere Ämter und Positionen in Staat und Partei von den Amtszeitbegrenzungen ausgenommen werden. Das größte Risiko besteht folglich darin, dass diese Verfassungsänderung nicht mit den notwendigen Fortschritten bei der Herstellung von Transparenz, Vertrauen, und starken Institutionen in China vereinbar ist.
Wichtige Fragen sind für die Zukunft nun ungeklärt: Werden künftige Präsidenten noch geeignete Nachfolger heranziehen oder zulassen? Was passiert, wenn plötzlich ein Präsident wie Mao anfängt, den eigenen Machterhalt über die Interessen des Landes zu stellen oder seine Familie und seine Genossen zu bereichern? Werden die chinesischen Gerichte oder die Presse in der Lage sein, Fehlverhalten aufzudecken und zu bestrafen? Wie robust und kreativ können die Kohorten jüngerer aufstrebender Politiker sein? Werden sie noch die Unabhängigkeit und die Möglichkeit haben können, die bestehende Parteiführung herauszufordern und mutig neue Ideen einzuführen?
Jahrzehnte, nachdem Deng Xiaoping vor „der Führung einer einzelnen Person“ gewarnt hatte, bricht in China nun wieder eine Zeit an, in der das Schicksal eines Fünftels der Menschheit in außerordentlichem Maße von den Visionen, Impulsen und Unsicherheiten einer Einzelfigur abhängt.