
- Ein Land am Abgrund
In Venezuela herrscht Regierungschaos: Präsident Nicolas Maduro, vom Militär gestützt, steht gegen den Parlamentschef Juan Guaidó. Die Massenproteste haben sich derweil zu Straßenschlachten zwischen Bürgern und der Polizei entwickelt, es gab mehrere Tote. Wie konnte es so weit kommen?
Vor dem Kinderkrankenhaus J. M. de los Ríos herrscht an diesem Novembermorgen Ausnahmezustand. Zwei Dutzend Mütter haben die viel befahrene Straße blockiert, die durch das San-Bernardino-Viertel von Caracas führt, und skandieren: „Medizin für unsere Kinder!“ Der spontane Protest legt den Berufsverkehr im ganzen Viertel lahm, doch die Fahrer zeigen Verständnis. „Uns bleibt nichts anderes übrig“, schimpft Mildred Cariele, die 35 Jahre alte Mutter eines leukämiekranken Jungen. „Unsere Kinder wurden von der Klinik abgewiesen, weil die Labore keine Blutuntersuchungen machen können. Es fehlen Präparate für Chemotherapie und lebenswichtige Antibiotika, es gibt kein Verbandszeug, keine Bettlaken und keine Ärztekittel.“ Zuletzt gab es im Krankenhaus zwei Tage lang nicht einmal fließendes Wasser, immer wieder wird auch der Strom abgestellt.
„Kinder sterben immer öfter an Unterernährung“, klagt Yamila Battaglini, Chirurgin im J. M. de los Ríos. „Wir haben nicht genug Ärzte und oft keine Medikamente.“ Im Kinderkrankenhaus sind nur zwei von neun Operationssälen funktionsfähig. Dabei gilt die Klinik als die beste im ganzen Land. Die Ärztin seufzt: „Die Lage ist schlimmer als in vielen Ländern Afrikas.“ Landesweit ist die Säuglingssterblichkeit 2016 um 20 Prozent gestiegen.