
- „Wir sind Bürger, keine Angestellten“
Wegen des Verdachts auf Subventionsbetrug läuft ein Ermittlungsverfahren gegen den tschechischen Premierminister Andrej Babis. Der aber weigert sich zurückzutreten. Ein Misstrauensvotum hat er überstanden. Die Bürger sind zu sehr an der Demokratie interessiert, um sich das gefallen zu lassen
Es ist ein starkes Zitat, mit dem in Prag die Demonstration eröffnet wurde: „Ein Mensch, der im politischen Leben lügt und betrügt, der lügt und betrügt auch im privaten Leben – und umgekehrt“, so lasen sie vorn auf der Bühne vor, umgeben von rund 250.000 Demonstranten. Und weiter: „Nur ein anständiger Mensch wird immer und in allen Fragen anständig sein.“ Von Tomas Garrigue Masaryk stammt dieser Satz; der Gelehrte wurde 1918 zum ersten Präsidenten der demokratischen Tschechoslowakei, und er wird im Land bis heute verehrt.
Der Kontrast zur Gegenwart ist auffällig: Der heutige Präsident Milos Zeman bemüht sich um einen Schulterschluss zu Russland und China und schimpft unverhohlen über die Intellektuellen des Landes. Und gegen den Premierminister Andrej Babis läuft ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Subventionsbetrug. In anderen Demokratien wäre da ein Rücktritt Ehrensache, um Schaden vom Ansehen des Amtes abzuwenden – aber Babis verkündet vor laufenden Kameras, er werde nie, niemals zurücktreten, „merken Sie sich das!“
Sollen Ermittlungen behindert oder verschleppt werden?
Es ist ein unübersichtliches Gestrüpp von Anschuldigungen, in dem Andrej Babis steckt. Der Kern: Er hat es vor seinem Einstieg in die Politik als Unternehmer zum Milliardär und zweitreichsten Mann des Landes gebracht. Zu Unrecht soll er sich damals EU-Subventionen erschlichen haben, die für kleine Unternehmen gedacht waren und nicht für milliardenschwere Konzerne. Und: Gerade erst kam ein Bericht der EU zum Ergebnis, dass auch in den Jahren seiner politischen Betätigung hohe Millionensummen vermutlich zu Unrecht an den Konzern ausgezahlt worden seien, den Babis inzwischen in einen Treuhänderfonds überführt hat.
Besonders heikel: Am Tag, nachdem die tschechischen Ermittler empfohlen haben, Anklage gegen dem Premierminister zu erheben, trat der Justizminister zurück – und Babis ersetzt ihn durch eine Frau, die gleich als erste Amtshandlung eine weitreichende Justizreform befürwortet. Sollen da Ermittlungen bewusst behindert oder verschleppt werden, wie es manche Kritiker befürchten?
Koalition auf Duldung der Kommunisten angewiesen
„Wir wollen den Staat führen wie eine Firma“, sagte Andrej Babis stets auf Wahlkampfauftritten, als er noch politischer Neuling war – ein Versprechen, mit dem er vor allem auf Effizienz und schnelle Entscheidungen abzielte. Dass es auch anders gemeint gewesen sein könnte, befürchten jetzt in Prag die Demonstranten: „Wir sind Bürger, keine Angestellten“, schrieben sie auf ihre Transparente.
Andrej Babis regiert mit den Sozialdemokraten in einer Koalition, die auf die Duldung der orthodoxen Kommunisten angewiesen ist (die zuvor seit dem Fall des Eisernen Vorhangs politisch geächtet waren und jetzt erstmals wieder hohe Staatsämter innehaben). Selbst wenn die Sozialdemokraten die Koalition verließen, käme allein schon rechnerisch keine Regierung ohne Babis, die Kommunisten oder die Rechtsaußen-Populisten zustande.
Ein lebendiges Interesse an der Demokratie
Dass in dieser verfahrenen Situation die Bürger aufbegehren, die nicht von einem Politiker regiert werden wollen, der unter Betrugsverdacht steht – das ist keine „Missachtung des Ergebnisses von demokratischen Wahlen“, wie Babis’ Unterstützer postulieren (schließlich ist ein Wahlsieg kein Freibrief, und schließlich fordern die Demonstranten keine Neuwahlen und keinen Regierungswechsel, sondern den Rücktritt des Premierministers), sondern ein gutes Zeichen: Dass die Forderung nach Anstand in der Politik so viele Tschechen auf die Straße bringt wie seit der Samtenen Revolution von 1989 nicht mehr, zeugt von einem lebendigen Interesse an der Demokratie, die sich die Tschechen schließlich selbst erkämpft haben.
Selbst die Schauplätze sind die gleichen, und das ausgerechnet im Jubiläumsjahr: Zunächst füllten die Demonstranten den gesamten Wenzelsplatz, diesen riesigen Boulevard mitten in Prag, auf dem vor genau 30 Jahren Vaclav Havel zu den Menschen gesprochen hat – und jetzt, als dieser Platz nicht mehr groß genug war, wichen sie aus auf die Letna-Ebene; einen riesigen Park auf einer Anhöhe über der Moldau. Auch hier fanden 1989 Massen-Demonstrationen gegen das kommunistische Regime statt. Die Bilder ähneln sich, und das ruft bei vielen Tschechen die Erinnerung daran hervor, wofür sie damals eigentlich auf die Straße gegangen sind und welche Ideale sie mit der Demokratie verbunden hatten.
Jetzt, finden sie, ist es Zeit, sie von der Politik einzufordern.