Bundesbankpräsident Jens Weidmann (li.) und Finanzminister Olaf Scholz / dpa

Inflationsgefahr - Die Geister, die ich rief

Seit einiger Zeit wird vor aufkommender Inflation gewarnt. Das könnte eine sich selbst erfüllende Prophezeiung sein. Denn wenn wir erwarten, dass die Preise bald deutlich steigen, greifen wir heute zu. Spätestens dann, wenn Kapazitätsgrenzen erreicht sind, kommt es tatsächlich zur Teuerung.

Michael Rogowski

Autoreninfo

Michael Rogowski, Jahrgang 1939, ist Wirtschaftsingenieur und ehemaliger deutscher Manager. Er war von 2001 bis 2004 Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie.

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Zunächst die Fakten: Die Inflationserwartungen in den Industrieländern der westlichen Welt steigen seit einiger Zeit erkennbar an. Sie haben sich jedoch deutlich von der tatsächlichen Teuerung entfernt. Letztere liegt in der größten Volkswirtschaft der Welt, den USA, auf niederem Niveau bei unter 1,5 Prozent und in Deutschland, der größten Volkwirtschaft Europas, in der Nähe von null. Selbst die Verbraucherpreise stiegen im Jahr 2020 „nur“ um 0,5 Prozent, im Februar 2021 voraussichtlich aber immerhin um 1,3 Prozent. Die Zielmarke für eine, nennen wir sie einmal „sorgenfreie Inflationsrate“, wird von den meisten Zentralbanken im Bereich von um die zwei Prozent verortet.

Das ergibt auch durchaus Sinn. Denn eine gewisse jährliche Preissteigerung führt automatisch zum Abbau von Staatsschulden und ist Antrieb, um Investitionen heute und nicht erst irgendwann in der ferneren Zukunft zu tätigen. Außerdem übertrifft, zumindest in der Industrie, der jährliche Produktivitätsfortschritt normalerweise die Steigerung der Preise. Das  unterstützt die Gewinnerzielung. Wie auch immer – der Puffer zwischen der aktuellen Inflationsrate und den angestrebten ca. zwei Prozent ist immer noch erheblich, so dass es derzeit keinerlei Anlass gibt, an eine nennenswerte Zinserhöhung zu denken, um Inflationsgefahren einzudämmen.  

Doch gibt es seit geraumer Zeit, verstärkt in den zurückliegenden Wochen, Entwicklungen, die mit Blick auf mögliche Auswirkungen einer Inflation näher betrachtet werden müssen. Die größte Gefahr geht zweifellos von den gigantischen Schuldenprogrammen der Regierungen aus,  dem Aufkauf dieser Schulden durch die Notenbanken und der damit verbundenen Ausweitung der Geldmenge.

Viele finanzwirtschaftliche Experten sahen in der Vergangenheit einen engen Zusammenhang zwischen Geldmenge und Inflation. Es zeigte sich jedoch, dass dieser Zusammenhang nicht zwangsläufig ist. Japan ist ein Beispiel dafür, dass es auch anders kommen kann. Dort herrschte, trotz ständig wachsender und inzwischen extrem hoher Staatsverschuldung, über viele Jahre Deflation, also das Gegenteil von Inflation. Mit Blick auf Inflation gefährlich wird es erst, wenn das viele neue Geld in den Wirtschaftskreislauf gelangt – also entweder konsumiert oder investiert wird. Aber selbst dann entsteht Inflation nur insoweit, als diese Ausgaben auf ein begrenztes Angebot stoßen. Davon sind wir aufgrund der gegebenen Unterauslastung der meisten Produktions- und Dienstleistungskapazitäten noch ziemlich weit entfernt.

Andere Experten sehen in Deutschland Inflationsgefahren durch die Reaktivierung des ursprünglichen Mehrwertsteuersatzes zu Beginn dieses Jahres, durch die Einführung der CO2-Steuer und durch stark gestiegene Kraftstoffpreise. Diese Gefahr ist in meinen Augen allenfalls vorübergehend. Die wieder erhöhte Mehrwertsteuer ist eine einmalige Angelegenheit, die CO2-Steuer hoffentlich auch. Beide fallen in einem Jahr aus dem Vergleich wieder heraus. Die erhöhten Kraftstoffpreise sind erfahrungsgemäß auch nicht von Dauer.

Gefahr nicht überbewerten

Gravierender ist der Einfluss von jährlichen Lohnerhöhungen, sofern sie über den Produktivitätsfortschritt hinausgehen. Diese Gefahr sollte man aber nicht überbewerten, denn die derzeit verbreitete Unterbeschäftigung, der keineswegs ausgeschöpfte Welthandel und vor allem der Strukturwandel als Folge von Digitalisierung begrenzen den Spielraum für Lohnerhöhungen erheblich.

Und was ist mit den Sparquoten? Die sind jüngst in ganz Europa deutlich gestiegen. Klar, die Menschen hatten ja nur sehr begrenzte Möglichkeiten, Geld auszugeben. Online-Käufe ersetzen eben den Stadtbummel nur begrenzt, und zum Reisen braucht es offene Hotels und sichere Flug- oder Bahnverbindungen. Manche Experten vermuten, dass nach dem Ende des Lockdowns ein Sturm auf die Geschäfte, Restaurants und Reisebüros einsetzen werde. Mag sein. Das wird die Inflation aber nur begrenzt beeinflussen und sich bald wieder normalisieren. Ein nennenswerter Schub der Inflation dürfte davon kaum ausgehen.

Sich selbst erfüllende Prophezeiung

Bleiben noch die Anleiherenditen an den Finanzmärkten. Diese sind zuletzt deutlich gestiegen, wenn auch ausgehend von sehr niedrigem Niveau. Das zeugt zumindest von Nervosität an den Märkten. Sollten die Anleger demnächst tatsächlich zu der Überzeugung gelangen, es bestehe Inflationsgefahr, dann könnte drohen, was letzthin ein Ökonom als eine sich selbst erfüllende Prophezeiung bezeichnete.

Damit sind wir bei des Pudels Kern. Inflation ja oder nein, das ist in erster Linie eine Vertrauensfrage. Vertrauen wir auf Stabilität und entsprechendes Verhalten der Regierungen und der Notenbanken? Oder breitet sich Angst vor der Zukunft aus? Angst ist jedenfalls ein Inflationstreiber: Wenn wir erwarten, dass die Preise morgen und übermorgen deutlich steigen werden, greifen wir heute zu. Spätestens dann, wenn Kapazitätsgrenzen erreicht sind, steigen die Preise, gegebenenfalls auch deutlich. 

Wir täten also gut daran, das Vertrauen in die Notenbanken zu stärken und nicht zu beschädigen. Insofern ist der Präsident der Deutschen Bundesbank schlecht beraten, wenn er heute schon das Gespenst einer Drei-Prozent-Inflation zum Jahresende heraufbeschwört. Erinnern wir uns an Johan Wolfgang von Goethes Ballade „Der Zauberlehrling“: „Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los!“ Darauf sollten wir es nicht ankommen lassen. Noch „trabt“ sie nicht, die Inflation, und ihren Galopp müssen wir nicht befürchten. Aber das muss nicht so bleiben.

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Walter Bühler | Fr., 5. März 2021 - 10:34

Der Artikel suggeriert mir immer wieder ein vorauseilendes Schuldbewusstsein: "Inflation ja oder nein, das ist in erster Linie eine Vertrauensfrage. Vertrauen wir [die Bürger] auf Stabilität und entsprechendes Verhalten der Regierungen und der Notenbanken? Oder breitet sich Angst vor der Zukunft aus? Angst ist jedenfalls ein Inflationstreiber."

Es ist wie bei der Pandemie: der Bürger selbst wird für eine absehbare negative Entwicklung verantwortlich gemacht, dieses mal, weil er der EZB und der Regierung nicht vertraut.

Diese Schuldzuweisung im Voraus ist eine feine Entlastung für die Politik, die sich im Moment auf der ganzen Welt blind dem naiven Glauben an die wundersame Geldvermehrung in die Arme wirft.
Auch der Autor weiß: "Die größte Gefahr geht zweifellos von den gigantischen Schuldenprogrammen der Regierungen aus, dem Aufkauf dieser Schulden durch die Notenbanken und der damit verbundenen Ausweitung der Geldmenge."

Dennoch soll an allem nur der doofe Bürger schuld sein?