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Barbie Dreamhouse - Abstieg in die pinke Hölle

Life in plastic / it’s fantastic? Von wegen: Zu Besuch im Barbie Dreamhouse in Berlin, das noch am Eröffnungstag infolge heftiger Proteste vorübergehend geschlossen wurde

Autoreninfo

Christophe Braun hat Philosophie in Mainz und St Andrews studiert.

So erreichen Sie Christophe Braun:

„Können wir DAS ALLES kaufen, Barbie? Können wir? KÖNNEN WIR?“

Skipper, die kleine Schwester der meistverkauften Puppe der Welt, wirkt, als hätte sie heute Morgen ihre Tabletten nicht bekommen. Genau wie das kleine Mädchen, das mit weit aufgerissenen Augen den Dialog zwischen Skipper und Barbie verfolgt. In einem kleinen Filmchen hopsen die Puppen gerade am Strand herum wie ein Haufen zugekokster Yuppies.

Neben der Kleinen steht ihre Mutter, guckt angestrengt auf den Fernseher und lächelt gequält.

Die beiden gehören am Donnerstagmorgen zu den ersten Besuchern des neu eröffneten „Barbie Dreamhouse“ am Alexanderplatz. „Noch nie da gewesene Einblicke in Interieur und Lifestyle der bekanntesten Puppe der Welt“ soll das Haus bieten. „Nie da gewesene Einblicke“ trifft es ganz gut: Barbies Traumhaus ist die Hölle in Pink.

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„Komm weiter!“, kreischt das Mädchen und hüpft durch Barbies Wohnzimmer zu einem pinken Flügel. Die Gesichtszüge der Mutter erstarren zu einer Grimasse. Ein Knopfdruck, und Geklimper vom Band legt sich wie Zuckerguss über den Raum. Auf einmal haben die Bewegungen der anwesenden Erwachsenen etwas Panisches. Immer häufiger schauen sie zum Notausgang.

Ich liege auf dem pinken Sofa in Barbies Wohnzimmer, massiere meine Schläfen und stöhne leise. Mein Kopf dröhnt.

Sieben Räume liegen zwischen mir und dem Tageslicht: Nach Barbies Küche und ihrem Wohnzimmer erwarten mich noch Balkon, Schlafzimmer, Bad, begehbarer Schuhschrank, begehbarer Kleiderschrank, Ankleidezimmer und schließlich der Show-Bereich mit Catwalk und Bühne. Überall billiges Plastikzeug, trockene Luft und Vitrinen voller grinsender Puppen.

Der Alptraum vom Eigenheim, auf 2.500 m².

Zitternd schleppe ich mich weiter.

Im Schlafzimmer steht neben dem Himmelbett eine riesige Vitrine. In die kann man sich hineinstellen. Dann sieht man aus wie eine originalverpackte Barbie. Gerne würde ich behaupten, hier blitze ein Funken Ironie durch. Ist aber nicht der Fall.

Das Traumhaus sei „eine einzigartige, lebensgroße und interaktive Installation, die das weltberühmte Barbie Spielzeughaus zum Leben erweckt“, heißt es in der Pressemitteilung des Veranstalters (original ohne Bindestrich).

Von Geschwätz bereinigt heißt das: Besucher zahlen 13 Euro (Kinder) oder 15 Euro (Erwachsene) und werden dafür eine Dreiviertelstunde lang durch eine Reihe stickiger pinker Räume geschleust, in denen es jede Menge Mattel-Produkte zu betrachten gibt. Barbies, Kens, Skippers, Plüschhunde, Prinzessinnen-Diademe, Kleidchen für kleine Mädchen (H&M). Die Ausstellung mündet in einen großen Shop. Dort kann man den ganzen Kram kaufen. Die vermeintliche Interaktivität beschränkt sich auf ein paar Touchscreen-Spielchen.

[video:Streit um ein Stück Plastik: Barbies Traumhaus in Berlin]

Alles in allem eine große Unverschämtheit, die man getrost ignorieren könnte. Wenn es nur nicht um Barbie ginge.

Die 1959 von Mattel erstmals präsentierte Puppe ist bis heute eines der meistverkauften Spielzeuge der Welt. Sie wird heiß geliebt und leidenschaftlich gehasst: Ursprünglich als Alternative zu den Babypuppen gedacht, die spielende Mädchen in die Mutterrolle versetzten, wird das absurd schlanke Modepüppchen seit Jahrzehnten als sexistisches Rollenvorbild für die Kleinsten kritisiert.

Weil Barbie umstritten ist, kommen zur Eröffnung des Berliner Traumhauses am Donnerstagvormittag auch nicht nur Zielgruppenvertreterinnen – also kleine Mädchen zwischen drei und unzurechnungsfähig. Sondern auch etwa 50 Journalisten und halb so viele Demonstranten.

Erstere folgen auf Schritt und Tritt den Kindern, die total hingerissen von einer Vitrine zur nächsten flattern. Letztere stehen schmollend vor der Tür und schimpfen auf Nachfrage über die grassierende „Pinkifizierung“.

Angesichts der Armseligkeit der Ausstellung hätten sie sich den Aufwand auch sparen können: Das Barbie-Traumhaus ist ein langer Schlauch zum Shop, weiter nichts.

Die Antwort auf die Frage, die Barbies kleine Schwester Skipper strategisch günstig zu Beginn der Ausstellung stellt, lautet also:

Ja, Skipper, WIR KÖNNEN DAS ALLES KAUFEN!

Es stellt sich bloß die Frage, warum wir dafür auch noch Eintritt zahlen sollen.

Was das Barbie Dreamhouse mit seinem Schlauch zum Shop mustergültig vorexerziert, hält schon seit einigen Jahren Einzug in deutschen Shoppingmeilen: Die zum Trend verklärte Selbst-Entmündigung des Kunden.

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Siehe Hollister: Wer in den Läden des amerikanischen Modeunternehmens einkauft – vor allem Jugendliche – brüstet sich nicht selten mit den langen Wartezeiten vor den Filialen. Die Türsteher lassen Kunden nämlich nur peu à peu in die verdunkelten, nach außen abgeschotteten Geschäfte. Wer hier shoppen möchte, muss sich eben erstmal ein bisschen demütigen lassen.

Die Barbie-Leute verfahren im Prinzip ganz ähnlich: Sie verlangen ihren Kunden Geld ab für etwas, das es nicht gibt – eine minimal interessante Ausstellung. Aber die Besucher machen nur zu gerne mit: Immerhin bezahlen sie hier für etwas viel besseres – das Gefühl, irgendwie am Geist der Marke teilzuhaben.

Als ich das Traumhaus nach einer endlos erscheinenden Stunde mit tränenden Augen und ausgetrockneter Kehle verlasse, fällt mein Blick zuerst aufs ALEXA: Ein riesiges pinkes Kaufhaus am Alexanderplatz. Im ersten Augenblick erscheint es mir wie das gelobte Land – dort wenigstens kostet Einkaufen keinen Eintritt.

Ein paar Stunden später wird die Nackte mit dem brennenden Holzkreuz vorbeischauen und sich um den Rest kümmern.

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