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(Kunstmann/Andreas Rasmusson) Die Autorin Sigrid Combüchen

Combüchens „Was übrig bleibt" - Ein schwedischer Anti-Damenroman

Vielfach wurde Sigrid Combüchen für diesen Roman über das Leben schwedischer Frauen in den 1930er Jahren ausgezeichnet. Dass sie aber noch einen heutigen Erzählstrang eingebaut hat, schadet dem Roman „Was übrig bleibt“ eindeutig.

„Die weibliche Kunst ist die Kunst des Verschweigens und die Kunst des Gedankenstrichs“ – so zitiert Heddas wohlhabende dänische Großmutter mütterlicherseits einen französischen Film. Und erzählt ihrer Enkelin daraufhin lang und breit das große Geheimnis von deren Mutter Beate Sophie.

Die war 1907, also dreißig Jahre zuvor, kurzzeitig in erster Ehe mit der blendend ausehenden „großen Liebe ihres Lebens“ verheiratet, bevor dieser Reedersohn ein Auge auf einen anderen schönen Jüngling warf und die Ehe annulliert wurde. Hedda ist erschüttert. Nicht, dass sie zwischen ihren Eltern je Liebe vermutet hätte. Doch durch ihr neues Wissen fühlt sie ihre eigene und die Daseinsberechtigung ihrer drei Brüder schwinden und denkt gar nicht daran, den ersten Verlobungsring der Mutter als Zeichen stumm-solidarischer Mitwisserschaft zu tragen.

Diese Szene aus Sigrid Combüchens mit dem wichtigsten schwedischen Literaturpreis ausgezeichneten Buch „Was übrig bleibt. Ein Damenroman» könnte so auch in einer TV-Schmonzette auftauchen. Die Art aber, wie die Autorin von ihrer Familienbande, von „Kleidern und Schmuck und Aussehen und Illusionen über die Liebe“ erzählt, macht dann doch eher einen durchaus interessanten „Anti-Damenroman“ daraus. Statt einer Hymne auf den Frauen-Zusammenhalt und nostalgischer Verklärung bietet er eine Archäologie nur halb formulierbarer Gedanken, erster  Erfahrungen und natürlich der leiblich-hormonellen Vorgänge, die die junge Hedda aus Konventionsgründen für sich behalten muss, bis sie als Modestudentin in Stockholm schließlich ihre holprige Befreiung erlebt.

Im stärksten Kapitel des Buchs, das eine Geburtstagsfeier des Vaters beschreibt, sitzt Hedda an der festlichen Tafel in ihrem Menstruationsblut und traut sich nicht aufzustehen. Aus dieser Verklemmtheit lässt Combüchen dann wenig später eine vorübergehende Unterleibs-Obsession werden: „Kommt nur her, ihr haarigen kleinen Hodentierchen“, denkt die junge Schwimmerin vorfreudig-übermütig im endlich für Frauen geöffneten größten Becken der Stockholmer Badeanstalt.

Treffende Bilder für Enge und Befreiung finden sich nicht selten in diesem weiblichen Entwicklungsroman, der in der schwedischen Provinzstadt Lund während der späten 1930er Jahre spielt. Auch die Beschreibungen von Natur und Jahreszeiten sind originell und sprachlich sehr schön.

Doch leider muss man sie sich zwischen vielen zeitlich hin- und herspringenden Kapiteln herausklauben. Die über 80-jährige Hedda hat nämlich vor einigen Jahren einen ausführlichen Briefwechsel mit der fiktiven Schriftstellerin Sigrid C. begonnen, weil sie in der Beschreibung eines Fotos in einem ihrer Romane eine Aufnahme ihrer Familie wiedererkannt zu haben glaubte … Dieses wohlbekannte Spiel mit der Autor-Figur ist völlig überflüssig und nimmt dem Buch leider viel von seiner Qualität: Die Gegenwartskapitel fallen in ihrer Dichte und Aussagekraft gegenüber den Kapiteln über die 1930er Jahre deutlich ab.

 

 

 

Sigrid Combüchen: Was übrig bleibt. Ein Damenroman.
Aus dem Schwedischen von Paul Berf
Kunstmann, München 2012
448 Seiten, 24,95 Euro

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