Peter Handke
Die Aufregung um den Literaturnobelpreis für Peter Handke ist groß / picture alliance

Peter Handke - Falsche Reflexe

Am Dienstag wird Peter Handke der Literaturnobelpreis verliehen. Der Streit um die Auszeichnung war zwischenzeitlich eskaliert. An die Stelle abwägender Urteilskraft war die pure Lust am Verurteilen getreten. Ein Plädoyer für Mäßigung und für das Recht auf Zwischentöne

Autoreninfo

Konrad Paul Liessmann lehrt Philoso­phie an der Uni Wien und schrieb mit Michael Köhlmeier „Der werfe den ersten Stein. Mythologisch-philosophische Verdammungen“.

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Peter Handke soll also den Preis erhalten. Die Aufregung ist groß. Neben wenigen Verteidigern kritisierte das Feuilleton nahezu unisono diese Entscheidung. Von einem falschen Signal ist die Rede, von der politischen Dummheit des designierten Preisträgers. Texte werden durchforstet, Ungenauigkeiten aufgedeckt, Widersprüche festgestellt, inhumane Züge am Autor erkannt. Insgesamt lautet der Vorwurf, dass der Dichter versucht habe, die Wirklichkeit zugunsten eines blutrünstigen Diktators zu fälschen. Solch ein Denken und Verhalten dürften nicht honoriert werden! Nur ein treuer Freund und Weggefährte, der Theatermann Claus Peymann, verteidigt die Entscheidung der Jury und sorgt bei der human gesinnten Intelligenz für Verwunderung, Verstörung und Hohn durch seine Forderung, dass der Autor eigentlich auch noch den Nobelpreis erhalten solle.

Den Nobelpreis? Der gerade soll ja Peter Handke nun verliehen werden! Will Peymann Handke für den Friedensnobelpreis vorschlagen? Nein – die eben skizzierte Aufregung um Handke datiert aus dem Jahre 2006, als der österreichische Schriftsteller den Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf erhalten sollte, aber dann nicht bekam. Niemand hätte gedacht, dass sich Peymanns kecke Forderung angesichts der flächendeckenden Kritik an dem balkanreisenden Dichter erfüllen sollte. Niemand hätte gedacht, dass alles, was man Handke damals entgegenschleuderte, nun wieder gegen den scheinbar Unbelehrbaren vorgebracht werden würde.

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Christa Wallau | Mo., 9. Dezember 2019 - 15:41

Ja, das ist gut beobachtet.

Je fester Menschen von einer angeblich unantastbaren Wahrheit überzeugt sind, umso
mehr hassen sie diejenigen, die unverfroren daran zu zweifeln wagen.
Dabei ist der Zweifel das Wichtigste im geistigen Leben. Er ist das Salz in der Suppe.
Niemals darf man so sicher sein, daß man den
Zweifelnden verdammt. Sobald man dies tut,
wird man zum gefährlichen Fanatiker.
Genau das kann man jetzt gerade wieder am "Fall" Handke erleben.

Ich möchte das "Plädoyer für Mäßigung und für das Recht auf Zwischentöne", das der Autor dieses Beitrags fordert, unbedingt unterschreiben.

'Zweifle nicht an dem, der dir sagt er hat Angst -
aber hab Angst vor dem, der dir sagt, er kennt keinen Zweifel.'
(Erich Fried, 1974)
Erich Fried war ein ehrenhafter und herausragender Vertreter einer antitolitären Linken. Lt. Wikipedia besuchte er sogar einen ausgewiesenen 'Nazi' (Michael Kühnen) im Gefängnis und REDETE mit dem - einfach so. Unvorstellbar!
Erich Fried starb 1988 - es war eine 'andere Zeit'.

Gerhard Lenz | Di., 10. Dezember 2019 - 23:16

Antwort auf von Wilfried Düring

Fried wollte also Kühen sehen, warum, jeder bei Wikipedia nachlesen, das hat mit "Zweifel" gar nichts zu tun. Ich frage mich nur, was das mit der Fehlentscheidung zu tun hat, Handke, dem Beschwichtiger und Leugner serbischer Kriegsverbrechen, einen Nobelpreis zu verleihen.

Werner Peters | Mo., 9. Dezember 2019 - 17:19

Wie eintönig wieder das Mainstream-Feuilleton gegen Handke wettert, ödet nur noch an. Dabei sollten sich hier doch die Geistesmenschen treffen.

Thomas Diebels | Di., 10. Dezember 2019 - 17:54

Antwort auf von Werner Peters

ich habe letztens ein (versuchtes) Interview mit Handke gesehen und GEHÖRT !

Ich bekam nur widerliche Fäkaliensprache zu hören !

Und so einem Mann soll ein Preis verliehen werden ?

Jürgen Keil | Mo., 9. Dezember 2019 - 19:30

In einem kritischen Text wurden kürzlich die politisch- korrekten und moralisierend Unversöhnlichen, als "Moraliban" bezeichnet.

Caroline Heck | Mo., 9. Dezember 2019 - 21:25

"Was es für eine Gesellschaft bedeutet, in der Schriftsteller als Gefahr betrachtet werden, kümmert wenig."

Man muss Handkes Einstellungen ja nicht teilen, aber entspannter sollte man damit schon umgehen und konstruktiv Kritik üben. Es mehren sich die Zeichen, dass wir uns langsam, aber sicher in Richtung Gedankenhygiene bewegen. Erklären kann ich mir das nur so: Die Welt ist komplex, globalisiert, verwoben wie noch nie, gleichzeitig führt der jahrzehntelange Wohlstand der westlichen Welt besonders bei ihren wohlbehüteten Mitgliedern zu Infantilisierung und Realitätsverweigerung. Bei uns verwöhnten Kindgebliebenen "zeigt [sich], wie sehr wir offensichtlich jeden Gedanken abwehren müssen, der politisch-moralisch nicht eindeutig klassifizierbar ist." Lieber wälzen wir uns in politischen Debatten trotzig brüllend am Boden als uns durch fremd wirkende Ansichten noch weiter verunsichern zu lassen oder sie gepflegt zu ignorieren. Alarm, Alarm.

Wolfgang Tröbner | Di., 10. Dezember 2019 - 09:53

einem Autor zuvörderst für die Qualität seiner literarischen Werke verliehen werden. Im Falle von Peter Handke maße ich mir nicht an, dies beurteilen zu können, denn dazu bin ich zu wenig mit seinem literarischen Werk vertraut. Der Maßstab bei der Verleihung des Nobelpreises sollte allerdings weniger die politische Gesinnung und die Haltung des Autoren zu Zeitgeistthemen sein. Wenn dies der alleinige Maßstab sein sollte, wie es offensichtlich so manche wünschen, hätte man den Nobelpreis auch schon früher den für Agitation und Propaganda Zuständigen kommunistischer bzw. linker Parteien verleihen können. Lenin und seine heutigen Apologeten hätten dies sicherlich mit Wohlwollen goutiert. Literarisch Interessierte und die Leser wohl weniger. Wenn linke Meinungsmacher wünschen, dass Schriftsteller primär dafür ausgezeichnet werden, dass sie linke Ideologie verherrlichen, sollten sie ihren eigenen Preis stiften. Dann aber nicht für Literatur, sondern für Agitprop.

Ich persönlich will diesem Schriftsteller keine geistige Sanktion erteilen.
Die Vorstellung vom Schriftsteller als unabhängig schaffenden, autonomen Produzenten, proklamiert auch dem Publikum gegenüber seine Gleichgültigkeit. Es hat auch mit der Vorstellung über Kunst, Künstler und ihren Platz in der Gesellschaft zu tun.

Die Äußerungen zu den Jugoslawien-Kriegen kann natürlich brutal unser Gemüt bearbeiten, zumal wenn es um nachgewiesene Kriegsverbrechen (Völkermord) geht. Spätestens dann entzieht man sich auch als Schriftsteller nicht historischer Fakten (Massaker) und muss zur objektiven Wahrheit Stellung beziehen.

Zeitzeugen. Mein Sohn hatte damals einen bosnischen Jungen (Flüchtling) in seiner Schulklasse kennengelernt. Er wurde zum Freund und war öfter bei uns zu Gast. Bruder, Onkel, alle tot. Wir haben uns aus den Augen verloren, aber ich glaube, seine seelischen Wunden als erwachsener junger Mann bluten noch heute.

Winfried Maurer | Di., 10. Dezember 2019 - 17:47

Der kolumbianische Autor Gabriel Garcia Marquez hat 1982 den Nobelpreis für Literatur bekommen.
Marquez nannte den kubanischen Revolutionsführer und kommunistischen Staatsmann einen Freund, der es immer bleiben wird. Die Freundschaft währte dann 58 Jahre. Warum legte die Kulturkritik damals Castros Worte nicht auf die Goldwaage ?