Gewitter über dem Kanzleramt
Es knallt über dem Kanzleramt / dpa

Richtlinienkompetenz - Das Wumms-Wort

Selten war ein Sprechakt so effektiv: Bundeskanzler Olaf Scholz hat mit einem Machtwort den Atom-Streit in der Ampel-Koalition beendet. Doch kann man mit starken Worten allein schon regieren? Und was hat unsere Sehnsucht nach klaren Entscheidungen mit diskursivem Zeitgeist-Gedöns zu tun?

Ralf Hanselle / Antje Berghäuser

Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Es ist etwas geschehen! Endlich! Nachdem doch längst klar war, dass dringend was geschehen müsste. Ja, dass zumindest etwas geschehen sollte. Denn, so waren sich die meisten Beobachter doch mittlerweile einig, wenn nichts mehr geschehen würde, dann dürfte bald auch so wirklich gar nichts mehr geschehen können. Jetzt also, nach langem Aufschieben, Abwarten, Zögern, nach Lamentieren, Moderieren, Herumhantieren ist es endlich passiert: Olaf Scholz hat gesprochen. Aber nicht irgendwas.

Ein Machtwort ist über des Kanzlers Lippen gegangen. Nein, weit mehr: Der Kanzler hat das Wort sogar aufgeschrieben! In einem Brief an die zuständigen Minister Habeck (Grüne), Lindner (FDP) und Lemke (Grüne). Dies wurde am vergangenen Montag aus einer Mitteilung des Bundespresseamts bekannt. Demnach wies Scholz mit Verweis auf § 1 der Geschäftsordnung der Bundesregierung (Richtlinienkompetenz) die seit langem zankenden und sich gegenseitig behakenden Minister an, dem Kabinett Gesetzesvorschläge vorzulegen, damit die verbleibenden drei deutschen Atomkraftwerke auch über die Jahreswende hinaus weiterlaufen können. Causa finita! 

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Walter Bühler | Mi., 19. Oktober 2022 - 18:18

... nämlich auf den Wumms, dass der geplante Erweiterungsbau für das Bundeskanzleramt (vorläufig geschätzte Kosten 777 Mio Euro) bis auf die Zeit nach dem 100-Mrd-Wiederaufbau der Bundeswehr versschoben werden sollte. Ich finde, auch die große Politik sollte in diesen Zeiten ihren Gürtel wenigstens andeutungsweise ein wenig enger schnallen!

(Außerdem mag ich es nicht, wenn meine Radrouten an der Moabiter Spree durch ewige Bauarbeiten durcheinander gebracht werden!)

Karl-Heinz Weiß | Mi., 19. Oktober 2022 - 18:52

Da greift der Autor aber tief in die Kiste der Wortbedeutungen. Einverstanden, Olaf bedeutet ja auch "Nachfahre des Urahns". Wohl deshalb fiel auch die Reaktion des Dänemark-Fans Robert Habeck so ehrfürchtig-respektvoll aus.

Nicolas Chauvin | Mi., 19. Oktober 2022 - 19:52

Als Fan von Henryk M. Broder und seinen Schmutzeleien freute es mich besonders, dass er erwähnte, die NZZ (das neue Westfernsehen) hätte gemeldet, der Kanzler hätte ein Machtwörtchen gesprochen. Toll, wie man sich auf deutsch präzise ausdrücken kann.

Maja Schneider | Mi., 19. Oktober 2022 - 19:58

Sie wird ausbleiben, denn es handelt sich hier um einen mehr als faulen Kompromiss zwischen den Parteien, bei dem jede von ihnen vermeintlich gut wegkommt. In Wahrheit wird im April nächsten Jahres die Situation auch nicht viel anders sein oder brauchen wir da keinen Strom, keine Energie mehr?! Ein etwas größerer "Wumms" wäre es gewesen, die drei kürzlich abgeschalteten Kernkraftwerke auch wieder so schnell wie möglich ans Netz zu bekommen, ebenso wie die modernen jüngsten Kohlekraftwerke, und zwar so lange, bis eine für eine Industrienation notwendige Versorgung mit Energie gewährleistet ist. Aber das hätte die Grünen ebenso erzürnt wie die getreuen grünen Medien, und das möchte niemand riskieren. Warten wir nun ab, was der Bundestag im November, ein Termin, der ohnehin zu spät sein dürfte, um die notwendigen technischen Voraussetzungen zu schaffen. Auf diesen Winter und wohl auch die nächsten dürfen wird uns "freuen", wenn sich nicht doch noch die Realität durchsetzt.

Dr.Andreas Oltmann | Mi., 19. Oktober 2022 - 20:06

Sie haben es im Ton und Inhalt wunderbar getroffen, Herr Hanselle!
Zwischen Bullerbü und Sandkasten gibt es also tatsächlich noch eine disziplinierende, machtvolle Gestalt, die uns leitet. Und schon halten alle die Klappe, für zumindest 1Wo. Welch himmlische Ruhe im Land, und die Preise sinken, so einfach geht das ?! Großartiges Führungspersonal leitet uns, gelegentlich auch im Befehlston, in die schöne neue Welt. Und alles wird gut….

Ingo Frank | Mi., 19. Oktober 2022 - 20:14

die Gesetzesvorlage von wem auch immer erarbeitetet wird und dann wiederum so weichgespült ist und mit x bürokratischen Hürden inkl. Ausnahmeregeln von der Ausnahmeregel ausgestattet ist, und dann vom Parlament irgendwann zur Abstimmung vorgelegt werden kann und dann noch vom Bundesrat bestätigt werden muß, und vielleicht ein bisschen links und grüner Schlaumeier das BVG anruft ist der Winter 23/24 vorbei. Und wenn dann doch im 2. Winter nach Intronisierung der Ampel es doch aller grünen Beteuerungen zum Trotz es doch zu flächendeckenden Strom & Heizungsausfall kommt, werden die Karten eh neu gemischt. Besser wird es dann aber mit Schwarz/ Grün auch nicht. Wetten das?
Mit freundlichen Gruß aus der Erfurter Republik

Bernd Windisch | Mi., 19. Oktober 2022 - 21:20

Das AKW-Machtwort von Olaf Scholz ist ein Plazebo. Dieses dreiste Bubenstück ist dezidiert abgesprochen mit den Ampel Ministern. Wer den verschmitzt grinsenden Habeck im ÖR trompeten gehört hat, wie gut er mit der Kanzleranweisung leben kann, müsste eigentlich Bescheid wissen.

In der Sache haben sich wieder einmal die Grünen durchgesetzt. Wir haben die schwerste Energiekrise seit Bestehen der BRD und schalten modernste Kraftwerke in 6 Monaten endgültig ab. Neun wesentlich ältere Kernkraftwerke mit zusammen 20 aktiven Reaktoren befinden sich nahe der deutschen Grenze und dürfen weiterarbeiten. Macht nichts. Wir machen Wumms.

Seit Montag ist Olaf Scholz nicht nur halbseiden sondern auch ein Westentaschen - Machiavelli, gefangen im Körper eines dauergrinsenden Biedermanns.

den verschmitzt grinsenden Habeck im ÖR trompeten gehört hat, wie gut er mit der Kanzleranweisung leben kann, müsste eigentlich Bescheid wissen."

Genau, offensichtlicher geht's ja gar nicht...

Sabine Lehmann | Do., 20. Oktober 2022 - 00:35

Und selbst das ist schon unterstes Niveau. Die infantile Comic-Rhetorik, versetzt mit Fragmenten der Gossensprache wird so kommuniziert, dass selbst die Teilnehmer der Murmeltiergruppe der benachbarten Kita ohne Vorkenntnisse gleich in die Materie einsteigen könnten, und damit auch sogleich das aktuelle Niveau amtierender Regierungspolitiker erreichen.
Den sedierten Deutschen gefällts, zumindest im Westteil hält man lieber Maulaffen feil, statt ersteres einfach mal aufzureißen und sich über diese Hampelmänner zu echauffieren. Mit mühsam erarbeiteten Steuergeldern wird die eigene Inkompetenz zugeschüttet bis das Haushaltsloch den Erdkern abschmilzt, egal.
Mit konkreten kleinen Taten kann man ja auch glänzen. Strom und Heizen hat jetzt nicht soo die Priorität. Sagten sich auch die Grünen im Südwesten. Da wird jetzt im Männerklo eines Rathauses ein Tampon-Automat aufgestellt. Auch Männer menstruieren. Geht nicht? Doch. Man(n) muss nur wollen, dann klappt’s. Ein Fall für die Geschlossene!

Ernst-Günther Konrad | Do., 20. Oktober 2022 - 09:03

Es ist schon erstaunlich, wie gerade die Medien es feiern, das der Kanzler tatsächlich mal etwas entschieden hat und das sogar für den Moment richtig, aber eben das Problem grundsätzlich damit nicht gelöst hat. Das plötzlich die Strompreise sinken ist doch ein eindeutiger Beweis dafür, was viele hier schon schrieben. Die Energiekrise ist ein hauchgemachtes Problem und es hätte soweit gar nicht kommen brauchen. Jetzt lese ich beim Focus, die Gaspreise würden wieder deutlich sinken. Mein Versorger ENBW hat ab Dez. 22, nachdem er im Juli schon 30 € pro Monat aufschlug, jetzt weitere 60 € mehr pro Monat den Abschlag erhöht. Das sind 1200 € jährlich. Der Stromversorger Mainova bleibt bei seinem Abschlag. Das Geld zum Leben wird weiter gekürzt und Energiehilfe kann ich als Pensionär nicht beantragen. Angeblich bekomme ich ab Dez. die 300 € Einmalzahlung. Also Geld das andere und ich selbst via Steuer dem Staat schon gegeben haben. Das ficht die Politiker mit erhöhten Diäten nicht an.

Gerhard Lenz | Do., 20. Oktober 2022 - 09:28

dieses "Wumms" palavern. So what?

Ob es sich wirklich um eine Demonstration von Scholzens Durchsetzungsfähigkeit handelt, oder ob Scholz nicht einerseits vor den Wirtschaftsliberalen eingeknickt ist, um die Grünen andererseits mit ein wenig Augenwischerei zu besänftigen, wird sich im nächsten Jahr zeigen.

Das Festhalten an der Atomkraft, energiepolitisch wenig bedeutsam, aber politisch von gleicher Symbolkraft wie Linders Fetisch der Schwarzen Null, ist längst für die Wirtschaftsliberalen zur Prinzipienfrage geworden. Die FDP, obgleich kleinster Koalitionspartner, will sich als durchsetzungsstarke Partei in der Koalition profilieren, die nach ständigen Pleiten bei den letzten Wahlen von unbändigem Rachedurst getrieben den anderen Ampelpartnern ihren Willen aufzwingt. Das scheint bei einem zaudernden Scholz und Grünen, die (noch) nicht bereit sind, die Regierung zu verlassen, relativ leicht zu gelingen.

Das "Wumms" soll da wohl nur etwas andeuten, was eh niemand glaubt.

Gabriele Bondzio | Do., 20. Oktober 2022 - 09:32

Ob mit Wumms oder Bumms etwas im Lande bewegt werden kann, wage ich zu bezweifeln, werter Herr Hanselle.
Es fühlt sich eher derzeit alles recht frustrierend an, was in Europa, zpeziell DE vor sich geht.

In der Kürze liegt bekanntlich die Würze, aber wenn die 3 Herrn (Scholz, Habeck, Lindner) sich in ein paar Minuten einig sind...
Siehe die sonst ewigen Sitzungen bis tief in die Nacht.

Sollte der Bürger sich nicht gutgläubig hinter die Fichte führen lassen, was den Wumms betrifft.
Die AKW`s laufen jetzt gerade mal 2-3 Monate länger (Brennstäbe fehlen auch), das ist doch eher ein Katzendreck.

Erinnert mich an Shakespeare...Viel Lärm um nichts.