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Lobbyismus-Vorwurf gegen netzpolitik.org - Wer ist ein Journalist?

Die Medienkolumne: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zweifelt daran, dass es sich bei den Machern von netzpolitik.org um Journalisten handelt. Das Blatt sieht die Blogger dem Lobbyismus näher. Was ist dran? Ist Aktivismus noch Journalismus?

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Die Landesverratsaffäre um netzpolitik.org wirft nicht nur die Fragen nach der politischen Verantwortung, nach der Verquickung der ausführenden und der rechtsprechenden Gewalt auf. Der Medienbetrieb wundert sich seit Tagen auch: Wer ist eigentlich noch Journalist?

Es ist eine Debatte, die seit den Veröffentlichungen der Snowden-Dokumente durch den (damals noch so bezeichneten) Blogger Glenn Greenwald andauert.

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Donnerstagsausgabe) schreibt über die fünf Mitarbeiter von netzpolitik.org: „Tatsächlich begleiten und kommentieren die Blogger nicht nur, was in der Netzpolitik passiert; sie verfolgen eine eigene politische Agenda, organisieren den Widerstand etwa gegen Vorratsdatenspeicherung und Netzüberwachung. Darin sind sie Lobbyisten näher als Journalisten.“

Der Chefredakteur des Blogs, Markus Beckedahl, wundert sich, dass dieser Vorwurf gerade von diesem Absender kommt: „Wir haben die FAZ bisher nicht als agendalos und ohne Haltung erlebt. Vor allem bei Themen wie der Vorratsdatenspeicherung und der Internetüberwachung, wo man in der Regel sagen kann: Die FAZ steht uns bei diesen Themen in ihrer Haltung und Meinung diametral gegenüber.“

Beckedahl betont, Mitarbeiter von netzpolitik.org seien in ihrer Haltung und Agenda „wenigstens transparent“. Sie suggerierten nicht, dass sie objektiv seien. „Das finden wir ehrlicher den Lesenden gegenüber.“

Die FAZ hält Markus Beckedahl auch vor, dass seine Event- und IT-Agentur eng mit dem Blog verwoben sei.

Andererseits sind auch Verlage klar gewinnorientiert. Sie schalten Anzeigen, betreiben Onlinebörsen und –marktplätze. Manche organisieren sogar selbst Veranstaltungen mit Lobbyisten.

Für Hendrik Zörner vom Deutschen Journalisten-Verband verläuft die Grenze da, wo journalistische Standards der Trennung von Werbung und Redaktion aufgeweicht werden: „Verkappte Werbeblogs haben nichts mit Journalismus zu tun.“ Der Modeblogger, der von einem Herrenausstatter einen Maßanzug samt Scheck erhält, um ein Lob für dieses Unternehmen zu schreiben, fände bei Zörner also keine Gnade.

Für Markus Beckedahl beantwortet sich die Frage, wer Lobbyist sei, deshalb so: „Wenn jemand Geld von Interessengruppen erhält, um deren Meinung zu vertreten.“

Für den Deutschen Journalisten-Verband ist klar: „Andre Meister und Markus Beckedahl sind Journalisten“, sagt Zörner. „Versuche, das zu relativieren, machen wir nicht mit.“

Dass der Verband vor einigen Jahren das Berufsbild entsprechend erweitert hat, hat zweifellos auch wirtschaftliche Gründe. Der Verband möchte – wie alle Gewerkschaften – neue zahlende Mitglieder werben. Zörner betont, dass aber von allen Blogs im Netz „höchstens zwei bis fünf Prozent“ professionell seien: „Es geht um die, die ihr Tun als Aufklärung verstehen.“

Aber kann sich dann nicht jeder einen Sticker aufkleben: „Ich bin Journalist und kläre auf“?

Zörner: „De jure ist das so, ja. Seit Gründung der BRD darf sich jeder Journalist nennen. Die Berufsbezeichnung lässt sich nicht schützen.“

Das hat auch mit der deutschen Geschichte zu tun. Im Dritten Reich mussten sämtliche Berufsverbände der Pressekammer beitreten, die wiederum in Goebbels‘ Reichskulturkammer eingegliedert war. In der DDR wurden die Medien durch die Abteilung „Agitation und Propaganda“ des Zentralkomitees der SED gelenkt. Dass der Journalistenberuf heute nicht geschützt und nicht organisiert ist, sichert also auch die Pressefreiheit.

Aber was ist nun mit dem „Aktivismus“? Ist es verboten, sich schreibend und demonstrierend für eine Sache einzusetzen?

Zörner erinnert an das politische Engagement von Journalisten in den 70er und 80er Jahren: Viele Journalisten des „Spiegel“ oder der „Frankfurter Rundschau“ hatten damals ein SPD-Parteibuch. Und wer beim Bayerischen Rundfunk etwas werden wollte, musste CSU-Mitglied sein. Noch heute ist es bei der Postenvergabe in öffentlich-rechtlichen Anstalten von Vorteil, eine gewisse politische Farbe zu haben.

Ist Parteizugehörigkeit kein „politischer Aktivismus“?

Zörner sagt: „Eine politische Agenda darf ein Journalist schon haben.“

Zumindest an der Frage des Zugangs wurden Blogger lange Zeit von Journalisten unterschieden. Der Bundestag hatte netzpolitik.org 2014 zunächst die Akkreditierung verweigert. Mit der Affäre um den Landesverrat hat sich viel geändert: Inzwischen gibt Markus Beckedahl Interviews bei der Bundespressekonferenz, wo er auch Mitglied ist. Der Verein, der nach dem Krieg von Parlamentskorrespondenten gegründet wurde, um Pressekonferenzen etwa mit Regierungsmitgliedern zu veranstalten, hat sich in der Affäre klar hinter Beckedahl gestellt.

Eine Stellungnahme erbat Cicero auch vom Bundesinnenministerium. Dessen Chef Thomas de Maizière steht in der Kritik, weil der ihm untergebene Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen die Strafanzeige wegen Landesverrats gestellt hatte.

Die Antwort des Ministeriumssprechers ist eindeutig: Zwischen Journalisten, Aktivisten und Bloggern mache man bei der Beantwortung von Fragen „null Komma null Unterschied“.

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