
- Angeschossene Hunde jaulen am lautesten
Die Stadt Hannover hat einen Ratgeber für geschlechtergerechte Verwaltungssprache herausgegeben. Ob sie ihn umsetzen, bleibt den Angestellten selbst vorbehalten. In konservativen Kreisen ist die Aufregung groß - und völlig überzogen
Die Stadt Hannover hat eine vierseitige Broschüre für geschlechtergerechte Verwaltungssprache herausgebracht, und das Geschrei ist groß. Von „Gender Gaga“ bis zur „Vergewaltigung“ der deutschen Sprache ist da die Rede. Dabei handelt es sich lediglich um Vorschläge, die umgesetzt werden können, aber nicht müssen.
Vieles von dem, was in der Broschüre vorgeschlagen wird, ist ohnehin machbar. Statt „Rednerpult“ könne man „Redepult“ sagen, statt „keiner“ „niemand“ oder statt „Bewerber sollten…“ „wer sich bewirbt, sollte...“ Falls keine geschlechtsneutrale Formulierung gefunden werden kann, soll das sogenannte Gendersternchen verwendet werden. Die Vorschläge haben den Nebeneffekt, dass Amtssprache aktiv formuliert werden kann. Eine angenehme Abwechslung vom ständigen Nominalstil und Beamtendeutsch.
Denn Sprache schafft Realität – und unsere ist noch immer patriarchal geprägt. Es ist da kaum verwunderlich, dass sich ausgerechnet die „Männerparteien“ wehren, die FDP, die AfD, die „Hannoveraner“ und auch die CDU, die sich über den Ratgeber noch nicht einig werden konnte. Nun ja, angeschossene Hunde heulen am lautesten. Alle wollen die Regeln für geschlechtergerechte Amtssprache zurücknehmen. Doch auch gemeinsam haben die Parteien dafür keine Mehrheit. Allerdings kann der Oberbürgermeister diese Regel ohnehin im Alleingang durchsetzen.
Vorschlag zur Beruhigung der Gemüter
Eine „unsägliche Sprachsteuerung von oben“ und „unzumutbar für Mitarbeiter der Stadt und den Bürger“ seien die Empfehlungen aus dem Gleichstellungsbüro, findet CDU-Ratsherr Felix Semper. Als Bürgerin der Stadt Hannover finde ich diese Aussage unzumutbar. Woher nimmt Semper das Recht, für alle in Hannover Lebenden zu sprechen? Das ist genauso vermessen wie zu behaupten, dass in der männlichen Form alle anderen eingeschlossen sind. Sind sie nämlich nicht und wir haben uns längst daran gewöhnt. Selbst in reinen Frauengruppen wird meist die männliche Endung verwendet. Also lieber Herr Semper, ich finde es „unzumutbar“, dass Sie meinen, für mich sprechen zu können.
Doch sogar Niedersachsens Ministerpräsident und Hannovers ehemaliger Oberbürgermeister, Stephan Weil (SPD) hat sich eingeschaltet: „Politik und Verwaltung müssen aufpassen, sich nicht zu sehr von der Alltagssprache der Menschen zu entfernen.“ Also erstens war Beamtensprech noch nie nah an meiner Realität, zweitens verstehe ich es trotzdem und drittens: Hier streiten sich Männer darüber, wie sie in der Zukunft andere ansprechen wollen. Vorschlag zur Beruhigung der Gemüter: Fragt doch einfach euer Gegenüber. Die Person kann es euch am besten sagen.
Gesamtgesellschaftliches Problem
Denn wahr ist leider noch immer: In unserer patriarchalen Gesellschaft funktioniert vieles über den Dualismus der Geschlechter männlich und weiblich. Wir sagen eher „der“ Arzt oder „die“ Kindergärtnerin. So bekommen Berufe eine geschlechtliche Zuordnung – mit allen gesellschaftlichen Klischees, die dazu gehören. Was für Auswirkungen das haben kann, verdeutlicht eine Studie aus den Sozialwissenschaften. In den USA und Kanada wird mit Grundschulkindern seit 50 Jahren der „Draw-A-Scientist-Test“ (zu Deutsch: „Mal-einen-wissenschaftlichen-Beruf-Test“) durchgeführt. So entstanden über die Jahre mehr als 5.000 Kinderzeichnungen. Auf gerade mal 28 Prozent der Bilder war eine Wissenschaftlerin dargestellt – und die waren auch noch alle von Mädchen gemalt. Und dass, wo doch die englische Sprache nur die Artikel „a“ und „the“ kennt. Im Deutschen können wir diese Vorurteile noch viel gezielter mit Artikeln schüren.
Ein großes Problem also, denn geschlechtsspezifische Stereotype formen die Wahrnehmung der Kinder, was sie später werden können. Mädchen sehen dann eventuell eher keinen Platz für sich in der Wissenschaft. Später können männliche Studenten dadurch in der Beurteilung ihrer Kommilitoninnen beeinflusst werden. Also wer weiß, vielleicht hilft diese gendergerechte Amtssprache ja tatsächlich, um in unserer patriarchal geprägten Gesellschaft einen Schritt in Richtung Chancengleichheit für alle zu gehen.
Das Abendland wird wegen dieser Broschüre jedenfalls nicht untergehen. Denn erstens ist das Ganze vollkommen freiwillig, wer nicht will, lässt es halt. Zweitens geht damit niemandem etwas verloren. Die individuelle Ansprache ist auch weiterhin geschlechtsspezifisch, bei der allgemeinen Ansprache werden eben alle eingebunden. Und hier genau hier liegt auch ein Problem der Broschüre: Wie spricht man eigentlich Menschen an, die sich dem Geschlecht divers zugeordnet fühlen? Oder sogar noch keinem der drei Geschlechter?
Wieso hat sich die Stadt überhaupt für das Sternchen entschieden, und nicht, für den sogenannten Gender Gap, der zwischen der männlichen Endung eines Wortes und dem weiblichen Anhang einen Unterstrich setzt? Auch die Namensspalten können für Irritation sorgen. Die Spalte, in der das Geschlecht eingetragen werden soll, soll künftig bei Versammlungen nämlich frei bleiben. Man könne das ja vom Vornamen ableiten. Das mag bei Namen aus dem gewohnten Kulturkreis ja stimmen. Aber wie sieht es aus bei Vornamen wie Anatjari?
Zeit für mehr Respekt
Das Problem ist ja größer als ausschließende Pronomen und Artikel. Die Steuererklärungssoftware Elster stürzt bei Eheleuten immer dann ab, wenn sich die Frau als Ehepartner A einträgt. Das war in den sechziger Jahren eben einfach nicht vorgesehen. Auch die Bescheide gehen dann immer an den Mann. Wenn schon heterosexuelle Paare dieses Problem haben, wie sieht es dann bei lesbischen Ehen aus?
Sprache formt Realität. Seit kurzem erst haben wir offiziell drei Geschlechter, und vor 100 Jahren waren vielleicht nur Männer in der Politik. Da war es nur logisch, vom „Rednerpult“ zu reden, es waren ja eh keine Frauen da. Aber hey, in den vergangenen hundert Jahren hat sich einiges geändert. Und was ist bitte an „Redepult“ irritierend? Ist es nicht sogar eindeutiger als „Rednerpult“? Am „Redepult“ steht jemand und – Überraschung – redet. Wer da vorne steht, ist ja erstmal vollkommen egal. Zeit, dass die gesellschaftlichen Veränderungen sich auch in der deutschen Sprache niederschlagen. Und sei es auch nur für ein bisschen mehr Respekt auf allen Seiten.