Leonard Cohen
Beten oder die Faust erheben? Leonard Cohen wollte beides tun / dpa

Doku über Leonard Cohen - Das heilig-gebrochene Halleluja

Die Doku „Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song“ verknüpft die Biografie des Songwriters mit der Geschichte eines seiner größten Lieder. Sie läuft nun im Kino. Die Doku zeigt, was Cohens „Hallelujah“ den zahlreichen Coverversionen voraus hat.

Ulrich Thiele

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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Leonard Cohens „Hallelujah“ ist ein großes Lied. Mein Lieblingslied ist es nicht, mir geht es da wie den meisten Musikfans: Das eine Lieblingslied ist schwer zu benennen. Eine andere Superlativ-Frage kann ich dafür umso leichter beantworten: Leonard Cohen 2010 in Hannover war das schönste Konzert, auf dem ich jemals war. Das war im Rahmen seiner 2008 gestarteten Comeback-Konzerte, für die es einen profanen Grund gab: Er brauchte Geld. Cohens Managerin hatte ihn um sein Vermögen betrogen, während er in einem Kloster meditierte. Das Konzert in Hannover war nicht ausverkauft; was für grandiose Abende Cohen seinen Zuschauern bereitete, hatte sich 2010 in Deutschland noch nicht ganz herumgesprochen. Drei Stunden lang kniete, tänzelte, scherzte der damals 76-Jährige, immer wieder zog er seinen Hut, drückte ihn an seine Brust, verbeugte sich tief vor seiner Band und seinem Publikum. „Leise, weise, würdevoll“, schrieb eine lokale Tageszeitung anschließend. Ja, auf dieser mit Perserteppichen bedeckten Bühne stand ein weiser alter Mann, das ahnte auch der gefühlt einzige Teenager im Publikum.

Cohens sonorer Gesang war inbrünstig, aber weit entfernt von dem penetranten Pathos, mit denen Castingshow-Teilnehmer und Hochzeitssänger sein dauergecovertes „Hallelujah“ überladen. Die französische Fotografin Dominique Issermann – laut Cohen angeblich die erste Frau, in die er sich wirklich verliebt hat –, sagt über ihn: „Er ist sehr intensiv, zeigt aber diese Intensität nicht.“

Issermann sagt diesen Satz in der sehenswerten Doku „Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song“ von Dan Geller und Dayna Goldfine, die derzeit im Kino läuft. Der Film beginnt mit einem Blick auf Cohens Spätphase: Auf einem jener Comeback-Konzerte singt er „Hallelujah“, sein wohl bekanntestes Lied, anschließend springen die Regisseure in der Zeit zurück und erzählen die Biographie des Liedes, das gleichzeitig der rote Faden ist, mit dem die Regisseure Cohens Biographie beleuchten. Dafür konnten sie auf reichlich vorhandenes Videomaterial zurückgreifen, das sie offensichtlich mühsam (und gelungen) verdichtet haben, zudem sprachen sie mit zahlreichen Weggefährten und kurz vor dessen Tod im Jahr 2016 mit Cohen selbst.

Die jüdische Tradition nahm in seinen Liedern eine wichtige Rolle ein

Leonard Cohen wurde 1934 in Kanada geboren, sein Großvater mütterlicherseits war Rabbiner und Talmudkommentator, sein Großvater väterlicherseits Gründungspräsident des Canadian Jewish Congress – die jüdische Tradition wird in seinen Liedern eine wichtige Rolle einnehmen. Zur Musik kam er erst spät. In den 1960ern ließ er sich mit der Norwegerin Marianne Ihlen („So long, Marianne“) auf Hydra, Griechenland, nieder, schrieb zwei Romane und mehrere Gedichtbände. Als Cohen anfing, seine Gedichte zu vertonen, war er bereits in seinen 30ern. Sein Leben „an der Seitenlinie des Musikbusiness“ begann, wie er selbst im Film sagt. Er ist ein Solitär, mit melancholischen, geheimnisvollen Liedern, in denen er die Grenze zwischen Sakralem und Profanem verschwimmen lässt. Wie kam Cohen, der sein Leben lang mit Depressionen zu kämpfen hatte, im hohen Alter schließlich zu jener Gelassenheit? Im Film sagt er an einer Stelle, es gebe zwei Arten, um der Sinnlosigkeit dieser Welt zu begegnen: Man könne entweder beten oder die Faust erheben – er versuche, beides zu tun.

„Hallelujah“ ist natürlich auch Ausdruck seiner Sinnsuche, seiner religiösen Sehnsucht, die er in seinen Liedern immer wieder mit der erotischen Liebe verwob. Sieben Jahre lang hat er an dem Lied gefeilt, zwischen 100 und 200 Strophen hat er geschrieben. Unter denen finden sich welche mit Verweisen auf das Alte Testament. Wollte man eine griffige Bezeichnung für die rätselhaften Lyrics finden, könnte man vielleicht sagen, es sind Strophen über den Atheismus im Glauben, was Cohen „the broken Hallelujah“ nennt. In späteren Strophen adressiert er eine zerflossene Liebe, beschwört das einstige Glück erotischer Liebe herauf und besingt die Unmöglichkeit der romantischen Liebe. Es kommt nicht von ungefähr, dass Cohen im Film einmal als Minnesänger bezeichnet wird, also ein die unerreichbare Liebe Besingender. Dass das Lied heute auf Trauerfeiern und auf Hochzeiten gespielt wird, könnte damit zu tun haben, dass es einem das Herz zugleich bricht und heilt, es also auch ein romantisches Lied ist.

Als Cohen den Song 1984 veröffentlichen wollte, weigerte sich seine Plattenfirma, das dazugehörige Album „Various Positions“ (auf dem auch sein bekanntes „Dance me to the End of Love“ ist) zu veröffentlichen. Nicht gut genug, sagte der CEO. Das Album erschien in Europa und später in den USA auf einem kleinen Label.

Cohen meinte, man solle doch besser für eine Weile aufhören, das Lied zu singen

Bob Dylan war der erste, der „Hallelujah“ mit einer Coverversion einer breiteren Öffentlichkeit nahebrachte. Bekannt wurde es durch John Cales Coverversion, die schon emotional zugänglicher – massentauglicher – ist als Cohens Original. Berühmt wurde Mitte der 1990er Jeff Buckleys großartige Version, die heute mehr Menschen bekannt ist als Cohens. Er hoffe, Cohen werde seine Version nie hören, sagte Buckley einmal, denn er habe das Gefühl, da singe ein Junge. Buckleys Version ist in der Tat die eines Jugendlichen mit gebrochenem Herzen, er sang sie, von seinem unvergesslichen Gitarrenspiel begleitet, mit Engelsstimme und machte Cohens „Hallelujah“ zur schwelgenden Jugendhymne.

Nachdem John Cales Version 2001 im Trickfilm „Shrek“ zu hören war, wurde „Hallelujah“ Kommerz (was nicht als Bewertung gemeint ist). Unzählige Coverversionen folgten; läuft man in Großstädten durch die Straßen, hört man Straßenmusiker „Hallelujah“ singen. Junge Menschen in Castingshows singen „Hallelujah“, was dazu führt, dass 13-Jährige in Talentshows inbrünstig über „all I’ve ever learned from love“ singen. Oft ist es ein Halleluja so glatt wie ein Smartphone. Vielleicht sollte man aber nicht zu harsch darüber urteilen, auch wenn all diese Bombast-Versionen, die nicht der inneren Intensität des Liedes zu trauen scheinen, sondern es mit castingshowhaft kalkuliertem Gefühlsbombast „aufpeppen“ müssen, schwer zu ertragen sind. Leonard Cohen sagte über den unerwarteten Hype zwar schmunzelnd, er fühle sich geschmeichelt, aber die Leute sollten doch besser für eine Weile aufhören, das Lied zu singen. Doch man bekommt den Eindruck, dass er auch auf solche Versionen sanftmütig als Teil der „Various Positions“ blickt.

Um auf Cohens Konzerte zum Ende seines Lebens zurückzukommen: Cohen hat das Eigenleben, das sein Lied durch die Coverversionen von John Cale und Jeff Buckley bekommen hat, fruchtbar gemacht – übernahm er doch erkennbar Aspekte der Versionen, in denen die religiösen und die irdischen Strophen noch enger verknüpft werden. Man sollte Buckleys große Jugend-Version nicht in einem Ranking mit Cohens Version vergleichen. Man kann aber festhalten: Cohens Live-Versionen haben nicht das zugängliche Pathos, sind verspielter, haben mehr Brechungen, sind heiliger Ernst und heiterer Witz. Vermutlich muss man alt und weise werden, um dahin zu kommen. Ein berühmter und gern zitierter Vers von Cohen lautet: „There’s a crack in everything, that’s how the light gets in“. Cohens gebrochenes „Hallelujah” ist also ein sehr helles.

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Gabriele Bondzio | Di., 22. November 2022 - 16:04

ist ein großes Lied.

Wahrlich...Herr Thiele (höre es gerade zum schreiben).
Diese dunkle-intensiv-ausdruckstarke Stimme ist eben unverwechselbar.
Ich beneide sie noch nachträglich, eines seiner Konzerte erlebt zu haben, Konzerte sind sowieso etwas wunderbares.
Musik life zu erleben und die ganze erwartunsvolle Stimmung um einen herum.

"Intensiv" trifft den Punkt bei Cohen auch in seinen anderen Song`s. Ob er " Suzanne" oder “I can't forget” singt, frau spürt die Seele für Menschen und für Musik.

Mir geht es aber wie ihnen, eine Lieblingslied ist schwer zu benennen.
Danke Herr Thiele, für den einfühlsamen Artikel.

Fritz Rauschmayer | Di., 22. November 2022 - 16:22

was der Autor nicht weiß: meine Version vom Hallelujah für Blechbläserquintett ist mindestens so schön wie das gesungene Original

Dominik Roth | Di., 22. November 2022 - 17:00

ist mein Favorit. Ein großer Sänger!

Ronald Lehmann | Mi., 23. November 2022 - 14:11

Dies ist meine Musik, die in meine Seele dringt.
Egal ob Schallplattem, CDs oder DVDs.
Die Musik bzw. Konzerte waren & sind ein Labsal, woran ich mich mehrmals wöchentlich erquicke.

DANKE - SHANK YOU

Shalom, Friede sei dir im Himmelreich gegeben, lieber Leonard. Du hast viele Menschen auf dieser Erde für einen Moment lang mehr als glücklich gemacht! CHAPEAU

Dana Winter | Mi., 23. November 2022 - 19:22

Als Leonard Cohen überraschend wieder Konzerte gab, habe ich das erste in Berlin eher aus Neugier besucht. Welche Überraschung - er hatte eine unglaubliche Aura und zog das Publikum sofort in seinen Bann. Es klingt vielleicht übertrieben, aber danach "schwebte" nicht nur ich förmlich aus der Konzerthalle. Dann habe ich keines seiner späteren Konzerte in Berlin versäumt und jedes Mal gedacht, dies war wohl leider das letzte. Er und seine Band sowie die Sängerinnen waren jede und jeder für sich Spitzenmusiker. Ich würde wirklich etwas dafür geben, noch einmal diese Gänsehaut-Konzerte mit dem großartigen Leonard Cohen besuchen zu können. RIP, Leonard!