
- Ächtung auf Zuruf
Als erster deutscher Prominenter findet sich der Regisseur Dieter Wedel im Zentrum der #Metoo-Debatte wieder. Dabei werden sämtliche Regeln unseres Rechtssystems ausgehebelt, schreibt Staranwalt Gerhard Strate. Die digitale Inquisition habe mit einer geordneten Gerichtsöffentlichkeit nichts mehr zu tun
Wenn die unendlichen Möglichkeiten modernster Technik mit den Gepflogenheiten des Mittelalters eine Verbindung eingehen, dann droht höchste Gefahr für die Errungenschaften der Zivilisation. Dies muss dieser Tage auch der Filmregisseur Dieter Wedel erfahren, der sich nach einem Artikel im Zeit-Magazin als erster deutscher Prominenter unvermittelt im Zentrum der #Metoo-Debatte wiederfindet. Was die ehemaligen Schauspielerinnen Jany Tempel und Patricia Thielemann über Wedel berichten, ist denn auch Wasser auf die Mühlen einer Kampagne, die dazu angetreten ist, sämtliche Regeln unseres Rechtssystems auszuhebeln.
Aussage gegen Aussage
Die Vorwürfe reichen weit zurück: 1991 beziehungsweise 1996 habe Wedel die Schauspielerinnen zu Vorstellungsterminen im Hotelzimmer empfangen und sie sexuell genötigt. Während Tempel von einer Vergewaltigung berichtet, erzählt Thielemann von ihrer erfolgreichen Gegenwehr, wobei Wedel ihre Bluse aufgerissen und ihr den Hals zugedrückt habe. Vorgänge, die der Regisseur durch eine anwaltliche Stellungnahme dementiert.
Eine klassische Aussage-gegen-Aussage-Konstellation also, deren juristisch völlig ungeprüfter Wahrheitsgehalt die einstmals ehrwürdige Zeit nicht davon abhielt, die Geschichte in die Welt zu tragen und Wedel unter dem Hashtag #Metoo den Hyänen zum Fraß vorzuwerfen. „Ehemalige Schauspielerinnen sagen #Metoo, und nennen einen Namen. (für Abonnenten)“ vermeldete der Twitteraccount von Zeit Online am 3. Januar 2018 unter Beifügung eines umsatzfördernden Links zur Digitalausgabe.
Die Jagd auf Dieter Wedel hat begonnen
Mit dem britischen Labourpolitiker Carl Sargeant hat die #Metoo-Kampagne bereits ein erstes Todesopfer gefordert. Gepriesen wird sie trotzdem, beispielsweise von Vice.com-Chefredakteurin Laura Himmelreich, die dereinst einen zotigen Spruch des FDP-Politikers Rainer Brüderle genutzt hatte, ihn medial zu exekutieren: „Der wichtigste Text, der in Deutschland bisher zu #metoo erschienen ist. Ich hoffe sehr, dass weitere folgen. Mit Namen“, kommentiert sie die angeblichen Enthüllungen über Dieter Wedel. Die Jagd kann beginnen.
Noch am selben Tag setzt die Süddeutsche Zeitung nach: „Auch andere Verhaltensweisen, die ehemalige Mitarbeiter Dieter Wedel zuschreiben, erinnern an Harvey Weinstein“ heißt es da, den ultimativen Trigger der #Metoo-Kampagne bemühend. Ächtung auf Zuruf: Alles Weitere ist ab jetzt nur noch eine Sache der Algorithmen.
Nun ist die geifernde Menge gefragt, die so gar nichts mehr gemein hat mit einer geordneten Gerichtsöffentlichkeit. Das Femegericht kann beginnen. Dass einen diese Enthüllungen nicht wundern würden, da man den so Beschuldigten schon immer für einen schlimmen Finger gehalten habe, ist in diesem Stadium der digitalen Inquisition noch der mildeste Tonfall, den „so einer“ zu erwarten hat.
Hinter verschlossenen Türen
Dass es durchaus sachfremde Gründe geben kann, auf den #Metoo-Zug aufzuspringen und einen prominenten Mann der sexuellen Übergriffigkeit zu beschuldigen, liegt auf der Hand. Dass der als Perfektionist bekannte Wedel nicht immer zimperlich mit schlecht vorbereiteten Schauspielern umging und oft auch cholerisch Klartext redete, ist eine branchenbekannte Tatsache. Wen wundert es da, dass ein Kameramann zu berichten weiß, eine Schauspielerin habe ihm erzählt, sie hätte zuvor Wedels sexuelle Avancen abgewehrt? In der Sensationslust klingt es natürlich völlig selbstverständlich, dass ein als qualitätsbewusst bis zur Selbstzerfleischung bekannter Regisseur seine eigenen Dreharbeiten nur aus kleingeistiger Rachsucht heraus torpediert.
„Die Frauen, die Dieter Wedel beschuldigen, haben keine großen Karrieren gemacht. Jedenfalls nicht als Schauspielerinnen“ resümiert die FAZ. Eine erfolgreichere Kollegin wie Sonja Kirchberger berichtet anders über ihre Erfahrungen mit Dieter Wedel: „Es hat sehr viele Affären gegeben, aber ich habe nie etwas über sexuelle Übergriffe gehört oder derartiges gesehen.“ Wobei sie einschränkend hinzufügt, dass sie nicht wissen könne, was hinter verschlossenen Türen passiert sei.
Damit bringt Kirchberger auf den Punkt, worin der wahre Skandal besteht, denn naturgemäß kann niemand wissen, was hinter verschlossenen Türen passiert, wenn weder Zeugen noch Beweise greifbar sind. Auch nicht Die Zeit. Auch nicht Laura Himmelreich. Und selbstverständlich auch nicht all die Kommentatoren in den sozialen Netzwerken, die es natürlich schon immer gewusst haben wollen.
Abschied vom Rechtsstaat
Und das leitet über zu einem rechtlichen Gesichtspunkt. Die Medien sind zwar nicht gehalten, die im Strafprozess geltende Unschuldsvermutung zum Leitbild zu nehmen. Sie gilt nur im Verhältnis des einem Verdacht ausgesetzten Bürgers zur Justiz. Die Medien dürfen auch über Verdachtslagen reden, deren Grundlage nicht sicher ist. Dürften die Medien, falls der Ruf einer Person gefährdet ist, nur Informationen verbreiten, an deren Verlässlichkeit keine Zweifel bestehen, könnten sie ihre durch Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich gewährleisteten Aufgaben bei der öffentlichen Meinungsbildung nicht erfüllen. Viele Skandale, die in der Geschichte dieser Republik aufgedeckt wurden, hatten ihren Ursprung in einer dem Funktionieren dieses Gemeinwesens durchaus hilfreichen Verdachtsberichterstattung.
Den Schutzbereich und die Grenzen einer Verdachtsberichterstattung hat die Rechtsprechung klar abgesteckt: Vor der Veröffentlichung muss ein Mindestbestand an Beweistatsachen zusammengetragen werden. Der Grad an Richtigkeitsgewähr ist umso höher anzusetzen, je schwerer und nachhaltiger das Ansehen des Betroffenen durch die Veröffentlichung beeinträchtigt wird.
Ein Verdacht bleibt immer ein Verdacht
Die beiden Frauen, die im Zeit-Magazin zu Wort kommen, haben den zuständigen Strafverfolgungsbehörden das ihnen in 1991 und 1996 angeblich Widerfahrene nie zur Anzeige gebracht. Dafür mögen sie verständliche Motive gehabt haben: Überforderung oder Scham, vielleicht aber auch nur, dass es gar nicht so passiert ist, wie es jetzt geschildert wird. Ein Staatsanwalt hätte es sicherlich als Indiz gegen die Glaubwürdigkeit der nach ihren Angaben vergewaltigten Frau gewertet, dass sie anschließend noch unter Wedels Regie an der Serie „Der König von St. Pauli“ in einer Nebenrolle mitgewirkt hat. Dieses Gegenindiz ist zwar nicht zwingend. Die Wahrheitsfindung wäre aber schon damals schwierig gewesen. Die Redakteurinnen des Zeit-Magazins haben den von ihnen kolportierten Verdacht noch dadurch zu bekräftigen versucht, dass einige Weggefährten der beiden Frauen befragt wurden. Und sie versichern, das Manuskript eines acht Jahre nach der angeblichen Vergewaltigung für ein Buchprojekt niedergeschriebenen Berichts über dieses Geschehnis würde ihnen vorliegen.
Was ist die Besonderheit hier? Es wird durch die Berichte der beiden Frauen ein Verdacht in die Welt gesetzt. Den für das Zeit-Magazin Verantwortlichen muss vor der Veröffentlichung klar gewesen sein: Dieser Verdacht wird immer ein Verdacht bleiben! Er wird sich nie entkräften, er wird sich aber auch nie bestätigen lassen! Der Effekt eines solchen Berichts ist allein: Es wird schon etwas hängen bleiben – die Ächtung eines Menschen auf bloßen Zuruf. Rechtsstaat ade!