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() Aus den Notizen für eine Autobiogra

Walter Kappacher - Aus den Notizen für eine Autobiografie

Erste Erinnerung: Mein Vater hält mich auf dem Arm, bläst in eine Juxpfeife, etwas schnellt heraus, auf mein Gesicht zu, ich erschrecke sehr, beginne zu heulen, er lacht.

Erste Erinnerung: Mein Vater hält mich auf dem Arm, bläst in eine Juxpfeife, etwas schnellt heraus, auf mein Gesicht zu, ich erschrecke sehr, beginne zu heulen, er lacht.

Während der Bombardements auf Salzburg wurden wir mehrmals evakuiert, nächtigten mit anderen Familien – hauptsächlich Frauen mit Kindern –, zuerst einmal einige Nächte auf den eiskalten Marmorböden des nahen Borromäums. Jedes Mal Erschrecken vor dem durchdringenden Heulton der Bombenwarnungen. Sobald die Sirenen losgingen, raffte meine Mutter das Allernötigste zusammen, holte, mein einjähriges Schwesterchen am Arm, den Kinderwagen aus dem Keller. Wir machten uns auf den Weg zum Luftschutzstollen im Kapuzinerberg. Ich schob den Kinderwagen, meine Mutter schleppte im Rucksack und in Taschen unser wichtigstes Hab und Gut.

Neukirchen am Großvenediger, Weihnachten 1944. Im Freien, vor einem großen Gasthof ein langer Tisch, auf dem Geschenke für Kinder lagen, eine Aktion des Mütterhilfswerks wohl. Ich hätte mir ein kleines Auto-Modell gewünscht – wie ich es bei anderen Kindern gesehen hatte –, das gab es aber nicht mehr. Von den anderen Sachen wollte ich nichts. Ein nicht enden wollender Schwarm von Flugzeugen am Himmel ängstigte mich. In dem Gasthof, in dem wir untergebracht waren, schenkte mir eine Frau einen schönen Wachs-Apfel, den man öffnen konnte.

Nach Kriegsende wurde die Weichselbaumsiedlung und damit auch unsere Wohnung von Angehörigen der amerikanischen Armee besetzt. Wie einige Nachbarsfamilien, fanden wir Unterkunft in dem nahe gelegenen, leer stehenden Schloß Hubertus in der Fürstallergasse. Wir Kinder genossen es, in dem großen Park herumzutollen.

Das erste Buch, an das ich mich erinnere, wahrscheinlich von der amerikanischen Militärbehörde an die Haushalte verschickt: Schlechtes, bräunliches Papier. Der Titel auf dem Umschlag: Buchenwald. Wie hatte ich mich gefreut, als mein Vater es weggelegt hatte: Ein Buch. Ich hatte mir einen Wald vorgestellt, in dem Bücher von den Bäumen hingen. Stattdessen baumelten ausgemergelte tote Männer an Stricken.

Wie ich während des dreimonatigen Erholungsaufenthaltes in Lausanne in meinem Mansardenzimmer im Halbschlaf bei Vollmond aufs Dach kletterte. Die sehr wohlhabende Familie hatte sich wahrscheinlich für diese Schweizer Kinderhilfs-Aktion gemeldet, damit der Sohn seine Deutschkenntnisse verbessern konnte. Der Vater zumindest aus meiner damaligen Sicht uralt, die Mutter hysterisch; einmal wälzte sie sich schreiend in der Halle auf dem Teppich. Mehrmals wöchentlich gab es Spazierfahrten im neuen Cadillac, den der zirka zwanzigjährige Sohn steuerte. Wenn er im Freiland, auf gerader Strecke hundert Stundenkilometer erreichte, machte er mich jedesmal darauf aufmerksam; mir kam das ohnehin sehr schnell vor. Der Blick aus dem Fenster auf den nahen Genfersee, auf die Schiffe und Segelboote, die ich manchmal zeichnete. Jeden Tag nach dem Mittagessen wurde ich in eine nahe gelegene Konditorei um einige Tafeln Schokolade geschickt, die dann gemeinsam verzehrt wurden.

Biographie

Walter Kappacher, geboren 1938 in Salzburg, wurde am 31. Oktober in Darmstadt mit dem Georg-Büchner-Preis 2009 ausgezeichnet. 1967 veröffentlichte er – nach einer Lehre als Motorradmechaniker, Militärzeit und einer Schauspielausbildung – erste Geschichten. Nachdem 1975 sein Debütroman «Morgen» erschienen war, wagte er wenig später die Existenz als freier Schriftsteller. Dem folgten zahlreiche Publikationen und Auszeichnungen. Zuletzt erschien sein hoch gelobter Roman «Der Fliegenpalast» (Residenz, 2009), eine literarische Annäherung an Hugo von Hofmansthal.
 

Wie magisch manche Titel der Karl-May-Bände auf mich wirkten: «Durch das Land der Skipedaren», «Der Ölprinz», «Der Mahdi». «Der blaurote Methusalem». «Das Geheimnis des Marabut». «Am Rio de la Plata».

Die Flüchtlingslager nach Kriegsende: Das «Judenlager» an der Dr. Petter-Straße in Parsch, das «Jugoslawen-Lager» an der Eberhard-Fugger-Straße, das Lager bei der Postwerkstatt, hinter dem Borromäum, das Lager an der Lehener Brücke. Mein Schulfreund Alfred Breinich war Sudetendeutscher und wohnte mit seinen Eltern in dem Lager an der Lehener Brücke, wo später das Arbeitsamt errichtet wurde. Manchmal habe ich, Jahre danach, von diesen Lagern geträumt; in einigen ging ich als Kind aus und ein, wahrscheinlich wohnten dort Schulkollegen und Freunde von mir.

Die Ausflüge mit Mama zu Fuß nach Maria Plain. Wie ich jedesmal um Kleingeld bettelte, um das mechanische Theater an der Außenwand des Devotionalienladens in Gang zu setzen. «Die Entstehung von Maria Plain», «Kaiser Karl im Untersberg», «Die Salzburger Dult vor hundert Jahren».

Als die Besitzer des Schlosses aus dem Exil zurückkehrten, errichtete mein Vater mit Hilfe zweier Brüder ein Behelfsheim in Liefering, am anderen Ende der Stadt, wo die Glan in die Salzach mündet.

In der ersten Hauptschulklasse verliebte ich mich in die Englischlehrerin und lernte fleißig Vokabeln; einmal hörte ich einen Buben sagen, sie sei ein «Ami-Flittchen», und ich wußte nicht, was das sei.

Wie ich mir aus der Bibliothek des Amerikahauses ein Buch von James Fenimore Cooper auslieh, mit dem magischen Titel «Der Lederstrumpf». Und darauf ein für mich mühsam zu lesendes Buch von Jack London: «Martin Eden», ein Roman, welcher von einem jungen Mann handelte, der Schriftsteller werden möchte.

Wie meine Schwester einmal von der Halde, wo von amerikanischen Lastwagen zweimal die Woche Müll abgeladen wurde, ein Präservativ heimbrachte und am Esstisch aufblies («ich hab einen Luftballon gefunden». Wie meine Mutter zu schreien anfing und ihr das Ding wegnahm und mit ihr, die enttäuscht zu weinen anfing, zum Brunnen ging.

Mit zehn Jahren baute ich mir mein erstes Fahrrad aus Teilen von einem Lieferinger Alteisenhändler zusammen; mein Vater gab mir Geld für Schläuche, Reifen und Sattel.

Wie ich einmal in Liefering vom Rand der Autobahn waghalsig die fast senkrechte Böschung mit dem Fahrrad hinunterrollte, stürzte, auf den Rücken prallte, keine Luft mehr bekam, verzweifelt japste, zu ersticken drohte.

Das erste Rendezvous mit Helga Hauser, am Gelände des Baumeisters Pisl, an der Revierstraße. Sie war mit ihrer Freundin Ilse Pisl gekommen, der Drahtgitterzaun zum Grundstück des Baumeisters war zwischen uns. Vorher hatten wir uns im Vorübergehen einige Male zugelächelt; ob ich mit ihr damals schon denselben Schulweg in Richtung Lehener Brücke gemeinsam hatte? Hans Reisinger hockte mit mir zusammen vor dem Gitter. Das Glücksgefühl, der von ihr Bevorzugte zu sein, hielt nicht lange; bald einmal sah ich sie auf dem Gepäckträger seines Rades sitzen, sie fuhren in der Revierstraße an mir vorüber; es schien mir, ihr Lächeln sei diesmal ein spöttisches. Einmal gingen wir mit unseren Schultaschen zusammen Richtung Ignaz-Harrer-Straße, da sagte sie, sie sei jetzt dreizehn Jahre alt, und wolle nicht mehr warten; ich verstand nicht, auf was.

Mir weiterhin im Amerikahaus Bücher ausgeliehen, zum Beispiel eine Biografie Thomas Alva Edisons entdeckt, die mich sehr beeindruckte, obwohl ich vieles nicht verstand. Vielleicht erwachte dadurch vorübergehend mein Interesse für Elektro-Technik, so dass mein Vater mir ein Jahr vor dem Abschluss der Hauptschule eine Lehrstelle in einer Elektro-Firma suchte. Aber andererseits faszinierten mich Autowerkstätten viel mehr.

Wie mein Freund Helmut Glantschnigg und ich im Jahr 1950 mit dem Fahrrad die Autobahn in Richtung Linz bis zu deren Ende, irgendwo vor Mondsee erkundeten. Ein einziges Auto überholte uns oder kam uns entgegen. Von der Autobahnbrücke weg radelten wir manchmal die Autobahn hinauf bis zur Höhe von Maria Plain und rasten dann im Leerlauf – auf den Rädern mehr liegend als sitzend –, auf der Gegenfahrbahn hinunter nach Liefering.

Ich erinnere mich, wie ich ungefähr mit dreizehn Jahren meine Mutter immer wieder anbettelte, sie möge in die Autowerkstatt an der Glan gehen und um einen Lehrplatz für mich zu fragen. Immer wieder strich ich dort herum; in meiner Erinnerung ist es Winter, nur selten öffnete sich eines der Tore und ein Mechaniker fuhr in einem Auto heraus, auf Probefahrt wahrscheinlich. Diese Welt der Motoren barg für mich ein großes Geheimnis: Wie funktionierte das alles, all die zusammenhängenden, wirkenden Einzelteile, das wollte ich begreifen lernen. Das Auto als Fahrzeug interessierte mich nicht, vielmehr das Rennmotorrad, seit ich jeden ersten Mai zur nahen Autobahn lief und das Training und das Rennen zum jährlichen Großen Preis von Österreich verfolgte, während welchem die Autobahn für zwei Tage gesperrt wurde. Noch lieber wäre mir also eine Werkstatt gewesen, in der nur Motorräder repariert wurden. Eine solche lernte ich erst kennen, als ich einmal mit meinem Vater auf seiner Puch 125 in die Gegend um Koppl fuhr und mit ihm Schwarzbeeren sammelte. Auf der Heimfahrt riß das Kupplungsseil an der Maschine, und er fuhr zu der Werkstatt Schmirl in der Sterneckstraße. Es war Herbst, viel Betrieb in und vor der Werkstatt. Diese nun stellte ich mir sogleich als meine künftige Welt vor. Mein Vater jedoch verhielt sich abweisend, als ich ihm meinen Wunsch anvertraute. Elektriker solle ich werden, das, meinte er, sei keine so schmutzige Arbeit...

Wie ich mir selber eine Lehrstelle suchte, und nach Absolvierung der Hauptschule in der Werkstatt Schmirl den Chef fragte, ob ab dem Herbst eine frei wäre. Wie Schmirl sich meiner erbarmte, als ich furchtbar enttäuscht war, als er sagte, er habe bereits zwei Lehrlinge aufgenommen. Er hatte mich dann jedoch nicht wie von mir gewünscht für die Motorradwerkstatt, sondern für seine Autowerkstatt vorgemerkt. Wie ich dann nach einigen Wochen doch in die damals viel größere Motorradwerkstatt kam, weil beide neuen Lehrbuben eines Tages nicht mehr erschienen waren.

Wie wir Lehrlinge in der Werkstatt Schmirl in dem hintersten Kämmerchen der Werkstatt die Auspuff-Töpfe mit dem Schweißbrenner ausbrennen mußten; wie dabei unerträglicher Qualm in dem winzigen Raum entstand; das Öffnen des kleinen Fensters nützte gar nichts. Wie ich mich einmal beim Gesellen Thalhammer darüber beschwerte – Hustenreize, Kopfschmerzen, und er mir sagte, sie hätten das auch tun müssen, es sei keiner daran gestorben.

Wie ich viele Winter sonntags von Parsch aus mit den Skiern auf der Schulter zur Zistelalpe hinaufstapfte, und dann auf der nicht präparierten Piste im Tiefschnee abfuhr. In Aigen, an der Gännsbrunnstraße dann das Abschnallen der Skier und der Heimweg.

Wie ich mich mit sechzehn Jahren in die hübsche Schwester meines Lehrlingskollegen Stefan verliebte. Die rumänische Familie bewohnte das stadelartige hölzerne Haus an der Dr. Petter-Straße, das dem Stift St. Peter gehörte. Die eine Seite des Gebäudes war mit Heu gefüllt. Manchmal holte ich ihn dort ab; ich fühlte mich in der Wohnung, alles aus Holz, außerordentlich wohl; leider bekam ich seine Schwester selten zu Gesicht, und wenn ich nach ihr fragte, wurde Stefan abweisend.

Das uralte Weiblein im Volksgarten, einen Kinderwagen vom Sperrmüll mühsam vorwärts schiebend, darin ihre ganze Habe. Immer wieder einmal begegnete ich ihr. Einmal gab ich ihr 20 Schilling von meiner Lehrlingsentschädigung. Dachte ich dabei an meine Mutter, und wie es wohl ihr im hohen Alter ergehen würde?

Wie ich in der Tanzschule zuerst immer leicht Partnerinnen gewann, doch dann immer an andere Burschen verlor, weil ich beim Tanzen nicht reden wollte oder konnte; ich merkte selber, daß die Mädchen sich genierten, wenn ihr Tanzpartner nicht, wie die anderen jungen Männer es taten, mit ihr sprach oder jedenfalls nicht lange genug.

Wie ich am Äußeren Stein zufällig dem Schauspieler Bert Oberdorfer begegnete, der auf eine der Villen in der Imbergstraße zuging. Einige Wochen vorher hatte ich ihn als Max Piccolomini in Schillers «Wallenstein» bewundert, eine Aufführung des Schauspielseminars am Mozarteum. Ich folgte ihm und sprach ihn an. Er berichtete von seinen Schwierigkeiten, ein anständiges Engagement zu finden nach der dreijährigen Ausbildung. Er machte mir nicht Mut, diesen Weg zu gehen. Trotzdem rief ich einige Monate danach tollkühn den Schauspieler Peter Vogel im Parscher Fondachhof an. In der Zeitung hatte ich gelesen, daß in dem Filmstudio in Oberparsch wieder ein Film gedreht werde, in dem er mitwirkte. Er lud mich zu einem Gespräch ein. Und betonte, es wäre sehr wichtig, die Ausbildung an einer seriösen Schauspielschule zu absolvieren. Nur wenn ich dort die Eignungsprüfung bestehe, sei es sinnvoll, die Ausbildung zu absolvieren. In München liefen zehntausend arbeitslose Schauspieler herum. Er notierte mir auf einem Zettel einige Schauspielschulen in Deutschland. Ich überlegte mir gar nicht, wie es mir möglich sein könnte, in einer fremden Stadt in Deutschland zu leben.

Alle Schüler der Schauspielschule in Gauting bei München saßen abends in den Lokalen fröhlich beisammen; ich war dazu meistens zu müde, mußte ja um halb sechs aus dem Bett, um als Haussohn die Unterrichtsräume auf Glanz zu bringen; und sehr oft saß ich bis weit nach Mitternacht auf einem Stuhl im Bühnensaal, um mir die Einstudierung eines Stückes anzuschauen und anzuhören, oder ich las weiter in den Romanen Dostojewskis. Um meine Unsicherheit und Fremdheit in der Schauspielschule zu dämpfen, sang ich mir immer leise die Arie De-er Vo-gel-fäh-hän-ge-er bin ich ja…vor; und hatte dann meistens das Gefühl: ‹Es kann dir nix gschehn›, wie ich es aus dem Stück vom Ludwig Anzengruber kannte.

In der Bibliothek der Frau von Zerboni fand ich Hofmannsthals «Der Tod des Tizian». Der Ton dieser Dialoge sprach mich sofort an, bezauberte mich. Wie kam ich darauf? Hatte ein Schüler davon gesprochen? Wurde dieses Fragment in der Schule mit einigen Schülern der Oberstufe einstudiert?

Vor der Eignungsprüfung, ein halbes Jahr davor, als ich wie die anderen Aspiranten im Foyer herumstand, herumging, hätte ich am liebsten das Weite gesucht, als ich die jungen Menschen in einem reinen Hochdeutsch, das ich bewunderte, miteinander sprechen hörte. Aber ich wäre nicht zu meinem Mantel gekommen: da ich einer der ersten Ankömmlinge gewesen war, hing er zuunterst unter einem Wust von Kleidungsstücken. Als ich dann nach dem Vorsprechen meine Bedenken der Direktorin anvertraute, beruhigte sie mich: Deklamation allein sei zu wenig. Sprechunterricht allerdings sei für mich vorerst das Wichtigste.

Wie meine Schwester fünf Wochen nach Beginn meines Sprechunterrichts in der Schule anrief und ich zufällig der nächste am Telefon war und abhob, und sie mich an meiner Stimme und meinem Sprechen nicht erkannte, und ich mir einen Scherz erlaubte und mich als einen Kollegen ausgab.

Zurück in Salzburg beschäftigte mich ein Plakat in der Auslage eines Reisebüros: Eine Luftaufnahme der Piazza del Campo in Siena. Dies erschien mir als der Inbegriff von Form, von Schönheit. Vormittags arbeitete ich für den Altmaterialien-Händler Nagl, unseren Nachbarn, zerlegte für ihn amerikanische Lastwagenmotoren in ihre Einzelteile. Am Nachmittag spazierte ich in die Altstadt, betrachtete immer wieder das Plakat, stellte mir vor, in dieser Agentur zu arbeiten, den Schönheiten der Welt nahe zu sein. Schließlich nahm ich allen Mut zusammen und sprach beim Direktor vor. Es kam mir gar nicht in den Sinn, dass ich nicht entsprechend gekleidet war. Ihn schien meine blaue Schlosser–kluft nicht zu stören. Er sagte, er habe auch in jungen Jahren eine Schauspielschule absolviert, einige Zeit dann als Sprecher beim Bayerischen Rundfunk gearbeitet. Und meinte, er würde es mit mir als Volontär versuchen, ob ich einen Anzug besäße?

Als ich einmal am Wochenende am Franz-Josef-Kai auf einer Bank an der Salzach saß und Erzählungen von Donald Barthelme las, setzte sich ein älterer Herr zu mir, bemerkte, was ich las, lobte mich. Ich war kurz angebunden, er war mir zu schnell so freundlich. Als er aufstand, bedauerte ich es, wie sehr sehnte ich mich nach jemandem, der mich beraten, mich literarisch anregen könnte. Nachdem ich Oskar Werner auf der Bühne erlebt hatte, wollte ich zum Theater. Zu spät hatte ich gemerkte, es war nicht die Schauspielerei, es war die Sprache Goethes, Lessings, Kleists, die mich faszinierte, die ich im Theater («Torquato Tasso», «Minna von Barnhelm», «Das Käthchen von Heilbronn») kennen und lieben gelernt hatte.

Karl Heinrich Waggerl, dem ich auf dem Weg in die Arbeit oft in der Steingasse begegnete, wo er – wie jedermann wusste –seine Freundin Grete Lanz besuchte. Ich hatte ihm wohl manchmal zugenickt, und einige Zeit später lächelte er mir manchmal kurz zu. Meistens jedoch hatte er einen grimmigen Ausdruck im Gesicht, ich fragte mich, an was er leide. Im Reisebüro kam er dann am Schalter jedes Mal zu mir, wenn er eine Fahrkarte kaufte oder nach einem Hotelzimmer fragte.

Nach seinem Vortrag über Yoga in der Kleinen Aula lernte ich den Arzt Wladimir Tschelistchew, der mein zweiter Vater wurde, und seine Frau kennen. Neunzehnhundertneunzehn gelang ihm mithilfe des Kutschers der Familie die Flucht aus Moskau nach Deutschland; in den dreißiger Jahren wurde er von den Nazis in das Konzentrationslager Neusustrum gebracht.

Auf dem täglichen Weg ins Reisebüro, viermal am Tag von Parsch über die Arenbergstraße in die Linzergasse, begegnete mir häufig in der Früh ein auf mich sympathisch wirkender Mann um die fünfzig, manchmal mit einem Collie-Hund. Irgendwann grüßten wir uns. Während einer Lesung von Martin Walser saß er zufällig neben mir. Er sagte, er sei seit vielen Jahren mit Walser bekannt, stamme ja auch vom Bodensee. Nach der Lesung lud er mich mit anderen Bekannten zu sich in die Arenbergstraße ein. Mit Walser hatte ich bereits korrespondiert, ihm Texte geschickt. Ohne mir zu sagen, ob sie etwas taugten oder nicht (wie ich gehofft hatte), schickte er sie weiter zur «Stuttgarter Zeitung». Als ich mich nun mit ihm bekannt machte, fragte er, wie es mir mit dem Schreiben gehe. Als wir ins Wohnzimmer traten, blickte Walser auf die Bücherwand und meinte: «Die Manesse-Bändchen stehen auch bei mir ganz oben.»

Wie mich Rudolf Bayr, der Literaturchef des ORF-Salzburg, anrufen ließ und um einen Besuch im Landesstudio bei der Franziskanerkirche bat. Er hatte Kurzgeschichten von mir in der «Stuttgarter Zeitung» gelesen und bot mir eine Mitarbeit an. Ich solle doch einmal ein Hörspiel für ihn schreiben. Und lud mich ein, Bücher zu rezensieren. Bevor ich sagen konnte, das hab' ich noch nie gemacht, das kann ich nicht, steckte er mir zwei Bände zu: «Jesus in Osaka» von Günter Herburger, und einen Band mit Erzählungen von Anna Seghers. Beide Bücher gefielen mir nicht so recht. Bei der Seghers störte mich in einer Erzählung, in welcher der Schutzbündler Kolomann Wallisch vorkam, daß die einfachen Leute auf dem Land in der Steiermark in den Dialogen preußisch redeten.

Wie mich Anfang der siebziger Jahre Alfred Winter, der Gründer der «Szene der Jugend» im Kapitelhaus, vor einer Aufführung von Kafkas «Ein Bericht für eine Akademie» ansprach, er wolle meine Kurzgeschichten verlegen. Und ich erstaunt erwiderte, Sie können diese Texte doch gar nicht kennen, und er antwortete, aber er habe schon viel davon gehört. Wie ich versuchte, ihm das auszureden, weil eine Auswahl der Texte im Residenz Verlag bereits gelesen worden war und mich die Lektorin Gertrud Frank (mit der mich sofort Sympathie verband), vertröstet hatte, ich solle noch weitere Erzählungen schreiben, damit ein etwas stattlicherer Band erscheinen könne. Wie ich mich wunderte, dass sie in dem winzigen Kabuff in dem Verlag in der Imbergstraße überhaupt arbeiten konnte, während der Verleger Schaffler (der, wie ich später hörte, nie ein literarisches Werk seiner Autoren gelesen hatte), sehr großzügig – wie mir schien– residierte.

Wie ich den Schauspieler Richard Tomaselli bei einer Veranstaltung kennenlernte und zwei-, dreimal einen längeren Spaziergang mit ihm unternahm. Einmal gingen wir abends nach einer Theateraufführung im Landestheater zusammen nach Oberparsch. Er war bereits pensioniert, aber ab und zu wurde er noch für eine komische Rolle gebraucht. Wir gingen den weiten Weg bis zu seinem Haus an der Kreuzbergpromenade, dann, weil das Gespräch so anregend war, begleitete er mich im Finstern zurück bis zum Gasthof Eder. Und dann ich ihn wieder bis zu seinem Haus. Er erzählte mir unter anderem, dass er mit Thomas Bernhard befreundet sei. Das sei ein echter Dichter. Einmal lud er mich zu sich ein. Seine hölzerne Frau, seine Tochter Eva, die mir einen Apfel aus ihrem Garten gab.

Der Stellschirm von Isshi, die Jünger Buddhas darstellend, in der Ausstellung im Münchner Haus der Kunst, 1972: Wie ich wieder in die Welt Ostasiens eintauchte, mich in der Zen-Malerei versuchte. Dann Mircea Eliades «Maitrey» in der Ramschkiste einer Freilassinger Buchhandlung gefunden und wie im Rausch in einer Nacht gelesen.

Wie ich nach dem Tod meines Vaters für meine Mutter einen kleinen Fernseher kaufte, und ich mit fünfunddreißig Jahren anfing, «fern zu sehen», indem ich mich manchmal abends zu ihr setzte, um einen Film anzuschauen.

Wie der ORF das von Peter Keglevic nach meiner Kurzgeschichte inszenierte Fernsehspiel «Der Zauberlehrling» kurz vor dem Sendetermin absetzte, weil es die Volksabstimmung über das Atomkraftwerk Zwentendorf «hätte beeinflussen können».

Als ich die Erzählung «Stille» von Antonio Di Benedetto in der Edition Suhrkamp entdeckte und las, lebte ich wochenlang in der Sphäre dieses Textes. Ich hatte das Gefühl, ich sei dieser junge Mann, der besessen war von der Stille, und durch jede Lärmbelästigung furchtbar litt. Und wünschte mir, auch einmal so etwas Berührendes, so eine dichte Prosa schreiben zu können.

Wie ich in einem Bungalow in Umag meinen schmalen Erstling «Morgen» korrigierte und ins Reine tippte, und dann jahrelang liegen ließ, bis Frau Schneider-Manzell danach verlangte, das Manuskript zu lesen. Hierauf übergab ich es im Herbst 1974 Alfred Winter, der damals gerade seinen Verlag gründete.

Wie ich im Reisebüro Degener den Pianisten Gilbert Schuchter kennenlernte, der immer wieder einmal mit einem Plakat zu mir an den Counter kam, wenn er ein Konzert in Salzburg gab, und mich bat, es an der Eingangstür gut sichtbar anzubringen. Mein Bild von einem Künstler wurde dabei beschädigt – von Wolodja hatte ich als Yogaschüler gelernt, dass ein Künstler nach der Lehre des Satipatthana nichts unternehmen dürfe für die Verbreitung seiner Werke – was ich damals sehr ernst genommen hatte.

Wie mich (der von Literaturtheorien nicht die geringste Ahnung hatte) nach meiner allerersten Lesung in einem Hörsaal der Salzburger Universität anschließend Studenten aufmerksam machten, meiner Prosa fehle die Reflexion. Darauf wusste ich nichts zu antworten, erinnerte mich erst auf dem Heimweg, wie schwierig es gewesen war, alles derartige aus dem Text herauszustreichen.

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