
- Die Kirche im Dorf lassen
Den Auftritt des Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, beim Reformationsfestakt im bayerischen Altdorf empfanden manche als Provokation. Dabei zählt Dialogfähigkeit zu den Wesensmerkmalen eines Protestanten
Was passiert in einem kleinen fränkischen Ort namens Altdorf? Ein muslimischer Gast spricht am Reformationstag in der evangelischen Laurentiuskirche. Das bringt so manchen Bewohner richtig in Rage. Bedeutet das nun das Ende des Abendlandes? Sollte noch jeder Altdorfer schnell ein Apfelbäumchen pflanzen? (Fürs Sohn-Zeugen und Haus-Bauen reicht die Zeit nicht.) Nun lassen wir mal schön die Kirche im Dorf.
Jörg Breu, der evangelische Dekan der fränkischen Gemeinde bei Nürnberg, hat Aiman Mazyek eingeladen, den Vorsitzenden des Zentralrates der Muslime aus Köln. Mazyek gehört dem Vorbereitungskomitee für das Reformationsjahr 2017 an. Er hielt am 31. Oktober im Rahmen eines „Geistlichen Abends“ einen Vortrag zum Thema „Was ich mir von Christen erhoffe – Christen und Muslime gemeinsam für Barmherzigkeit und Nächstenliebe“. Vorher gab es selbstverständlich einen Gottesdienst, in dem es um die frohe Botschaft ging, um Christus als Zentrum unseres Lebens, und weil es der Reformationstag ist, auch um Martin Luther. Danach sprach der Gast aus Köln. Warum auch nicht?
Luthers Botschaft: Verbesserung der gegenwärtigen Zustände
Luther hätte sicherlich nichts dagegen gehabt. Wie lautet seine erste von 95 Thesen, die er in Wittenberg an der Tür der Schlosskirche befestigt haben soll? „Als unser Herr und Meister Jesus Christus sagte: ‚Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen‘, wollte er, dass das ganze Leben der Glaubenden Buße sei.“ Buße tun nicht im Sinne von sich geißeln, sondern im Sinne von besser machen, verbessern. Wer die Reformation ernst nimmt, muss sich fragen: Was gilt es zu verbessern im Hier und Jetzt?
Martin Luther hat zu seiner Zeit viele Dinge gesehen, die es zu verbessern galt: der Handel mit dem Ablass, die mangelnde Bildung so vieler Menschen, die Armut, den Zustand der Kirche. Er hat Althergebrachtes in Frage gestellt. Er entwarf eine Gemeindeordnung mitsamt sozial-karitativen Einrichtungen. Er beantwortete Fragen des christlichen Alltagslebens, vor allem zum Thema Ehe. Er mischte sich in politische Diskussionen ein: der Widerstand gegen die vordringenden Truppen des osmanischen Reiches, der Umgang mit Juden und Andersgläubigen, die Auseinandersetzung mit Kaiser und Papst. Einiges hat sich geändert in den 500 Jahren seit der Reformation. Es ist ein ewigwährender Prozess, dieses Leben. Vielen macht es Angst, dass nichts so bleibt, wie es war, sondern alles in Bewegung ist.
Die alleinige Wahrheit gibt es nicht
Was gilt es heute zu verbessern? Worauf müssen wir heute schauen? Nationalistische Tendenzen greifen um sich, es gibt Homophobie und Frauenfeindlichkeit, Wachstum um jeden Preis, Klimawandel und vieles mehr. Eines der wichtigsten Themen – das erfahren Menschen in Deutschland gerade hautnah – ist das Miteinander verschiedener Ethnien, Kulturen und Religionen. Und im lutherischen Sinne müssen sich evangelische Christen die Fragen stellen: Was glaube ich? Was halte ich für wahr? Woran halte ich mich? Wofür stehe ich?
Dialogfähigkeit zählt zu den Wesensmerkmalen eines Protestanten. Manchmal hadere auch ich mit der typisch evangelischen Sowohl-als-auch-Haltung, die oft wachsweich daherkommt. Aber eine gesunde Streitkultur gehört auf der anderen Seite zu einem guten Protestanten. Genauso wie das Widerständige, das steckt schließlich schon im Namen. Und dass es die Wahrheit, die allumfassende, ewige nicht gibt, das wissen Protestanten sehr genau.
Ringen um Positionen
Seit Martin Luther setzen Protestanten sich auseinander mit Wörtern, mit Sätzen, mit Botschaften. Der Reformator selbst hat es vorgemacht. Er hat genau hingeschaut und gefragt: Was bedeutet Freiheit? Was heißt es, zu dienen? Wer ist Gott, und vor allem: Wie ist Gott? Was ist Gnade? Wem ist Gott gnädig? Er hat gerungen, Protestanten tun das auch. Es ist ein stetes Ringen um Positionen, um Haltungen – innerhalb des eigenen Glaubens, der Kirche und natürlich auch außerhalb – mit Katholiken, Juden, Muslimen und vielen anderen.
Dabei ist aber eines ganz klar: Alleine geht es nicht. Alle miteinander müssen sich darüber verständigen, wie sie in multiethnischen, multikulturellen, multireligiösen Gesellschaften miteinander gut und fürsorglich leben können. Dafür braucht es Vermittler. Wer wäre besser für einen solchen Job geeignet als Protestanten? Für sie gibt es keine unantastbaren Dogmen, keine päpstlichen Autoritäten. Sie fragen nach, prüfen, verwerfen und vor allem stehen sie für ihre Überzeugungen ein. Man muss mit dem anderen nicht einer Meinung sein, aber zu hören, was er zu sagen hat, ist Christenpflicht.
CSU-Stadtrat beweist, dass Dialog nötig ist
Da ist es doch besonders erfreulich, wenn Aiman Mazyek zu Gast ist, dem man Fragen stellen kann zu seinem Glauben, seinen Glaubensbrüdern und –schwestern. Besonders Evangelikale kritisieren die Veranstaltung in Altdorf. Luther biete genügend Diskussionsstoff zu gesellschaftlich brennenden Fragen. Es hat ja auch keiner das Gegenteil behauptet. Nur, was spricht gegen einen Dialog – auch im lutherischen Sinne?
Wie dringend ein solcher nötig ist, beweist der CSU-Stadtrat und dritte Bürgermeister der fränkischen Kommune Altdorf. Er brachte auf dem Anrufbeantworter des evangelischen Dekanats „das äußerste Entsetzen über diese Islamschweinerei am Reformationstag“ zum Ausdruck. Mit „Islamschweinerei“ ist wohl der Vortrag Mazyeks gemeint. Da wäre es doch schön evangelisch, wenn möglichst viele christliche Kritiker die Gelegenheit nutzen würden, um am Reformationstag einen gemäßigten, nachdenklichen Muslim kennenzulernen. Vielleicht macht es die Sache leichter, wenn die Menschen wissen, dass Aiman Mazyek folgender Spruch zuzuschreiben ist:
„Ich bin ein Jude, wenn Synagogen angegriffen werden,
ich bin ein Christ, wenn Christen beispielsweise im Irak verfolgt werden,
und ich bin ein Muslim, wenn Brandsätze auf ihre Gotteshäuser geworfen werden.“
Dieser Text ist eine Replik auf den Artikel „Luther aus der Kirche verbannt“ von Klaus-Rüdiger Mai.