
- „Der Sender will krampfhaft die Jungen erreichen“
Weil sie nach 17 Jahren als Moderatorin der „Lokalzeit“ gegen eine jüngere Kollegin ausgetauscht werden soll, hat Simone Standl einen Shitstorm gegen den WDR losgetreten. Im Interview sagt sie, ihr Aufschrei sei Protest gegen den Umgang mit freien Mitarbeitern gewesen. Kann sich der Sender das leisten?
Simone Standl hat nach einem Volontariat beim ZDF als Redakteurin, Moderatorin und Reporterin für VOX gearbeitet, bevor sie zum WDR wechselte. Zuletzt hat sie 17 Jahre lang die „Lokalzeit“ aus Köln moderiert.
Frau Standl, der WDR hat sie nach 17 Jahren als Moderatorin der „Lokalzeit“ vor die Tür gesetzt. Sie haben ihm vorgeworfen, dass, wenn es nach dem Sender gehe, Frauen „gut aussehen, jung dynamisch und sportlich“ sein müssten. Ist der WDR als Arbeitgeber sexistisch?
Ganz klar NEIN. Ich möchte noch nicht mal sagen, dass Jugendwahn und Altersdiskriminierung bei Frauen ein Aspekt ist. Das spielt immer mit rein, wenn man hört: „Frau, 59 ...“. Ich glaube sogar, dass sich die WDR-Fernsehdirektorin Valerie Weber sehr bemüht, das Gegenteil zu tun.
Wieso Gegenteil? Ihre Nachfolgerin Sümeyra Kaya ist 38. 21 Jahre jünger als Sie.
Ja, es ist doch gut und nachvollziehbar, dass Kolleginnen, die ihre TV-Karriere starten, jünger sind als ich.
Wie hat denn Ihr Sender begründet, warum er den Vertrag mit Ihnen nicht verlängert?
Ich habe keine richtige Begründung bekommen. ICH SEHE DAS SO: Sie wollten mal eine Veränderung. Ein neues Gesicht ausprobieren, etwas Anderes, Frisches.
Ist das nicht legitim?
Doch, das ist absolut legitim. Das kann jeder Arbeitgeber machen, auch schon nach fünf Jahren. Was ich immer bemängelt habe, dass vorher nicht miteinander geredet wird. Dass der Sender NICHT sagt: „Hör mal, das und das haben wir vor. Was hast Du vor?“ Dann hätten wir sicher einen gemeinsamen Weg gefunden.
Und, wie war das bei Ihnen?
Es gab keine Mitarbeitergespräche, nur ein Kennlerngespräch und ein Gespräch im Oktober 2020, in dem mir praktisch schon unwiderruflich mitgeteilt wurde, dass ich im Sommer 2021 aufhören würde. Diese Frist ist keine Gnadenfrist, sie ist tariflich geregelt. Wenn man so lange dabei ist wie ich, hat man eine Frist von sieben Monaten. In meinem Fall waren es sogar acht.
Aber dann hat sich der Sender doch formal korrekt verhalten.
Formal ja, aber nicht emotional – und sozialkompetent. Wenn jemand so lange dabei ist, man vorher nicht miteinander redet und man sich über jedes Jahr retten muss mit dem Spruch der Chefredakteurin, „der Job ist toll, aber er kann jederzeit zu Ende sein“, fördert das ein Angstklima.
Hatten Sie Ein-Jahres-Verträge?
Nein, wir haben keine klassischen Verträge wie Festangestellte. Nach dem Tarifrecht gibt es aber bestimmte Bestandsregelungen für Freie, die uns ein bisschen schützen.
„Jugendwahn“ unterstellt, Frauen würden über ihre äußerliche Attraktivität definiert und nicht über ihre berufliche Qualifikation. Wie kommen Sie darauf, dass das in Ihrem Fall eine Rolle gespielt hat? Der WDR hat Ihre Vorwürfe als „Unsinn“ und „schlichtweg falsch“ zurückgewiesen.
Ganz ehrlich: Ich habe das Wort „Jugendwahn“ nie in den Mund genommen. Das stammt nicht von mir. Ich habe gesagt, Frauen müssten „gut aussehen, jung, dynamisch und sportlich sein“. Ich glaube schon, dass wir Frauen immer noch sehr nach der Optik beurteilt werden.
Sie kriegen viel Zuschauerpost. Haben Sie solche Kritik da auch mal rausgelesen?
Gar nicht. Da gab es viel positive Resonanz. Ich kann mich an keine Zuschauerpost erinnern, in der es um mein Alter ging.
Sollte das nicht egal sein?
Doch, ich will das gar nicht so an dem Alter aufhängen. Der WDR hat Recht, wenn er sagt, „das ist es nicht“. Es spielt da nur mit rein.
Aber Sie benutzen es als Argument. Sexismus ist seit #MeToo ein Riesenthema. Hätte Ihr Aufschrei sonst so ein Echo bekommen?
Ich habe einfach mal Klartext geredet. Wenn man mein Alter hört und keine großartigen Gründe, warum man aufhören soll, denkt man doch, auch das Alter habe eine Rolle gespielt. Mein Anliegen war, dass sich die interne Kommunikation verbessern muss.
Sie haben damit aber einen Shitstorm gegen den WDR losgetreten. Was haben Ihnen die Zuschauer denn geschrieben?
Die Zuschauer, die mir geschrieben haben, finden meine Moderation kompetent und charmant. Viele Zuschauer haben sich vor allem über die Personalentscheidungen im WDR entrüstet. Sie fühlen sich durch die Gebührendebatte nicht mehr abgeholt. Die sind so sauer, dass sie gleich den ganzen WDR inklusive Intendant verteufeln. Der hat ja gerade mehrere Baustellen ...
... der Bauskandal und die Kritik über die verspätete Flutberichterstattung. Und dann auch noch Ihr Aufschrei. Perfektes Timing, oder?
Nein, das weise ich klar von mir. Ich hab acht Monate gelitten, weil ich mit meinen Fragen, wie es für mich beim WDR weitergeht, nicht weiterkam. Mein letzter Arbeitstag war der 30. Juni. Als der Kölner Stadtanzeiger an diesem Tag über meinen Fall berichtet hat, war die Sache mit dem Bauskandal noch nicht raus und die Flutkatastrophe war in der Nacht zum 15. Juli!
Sie sind nicht das erste Opfer des WDR-Führungsstils. Auch Ihre Kollegin Christine Westermann wurde aus dem Fernsehen verbannt. Dabei ist messbar, dass Ihre Bücherempfehlungen auf „frau tv“ Einfluss auf die Bestseller-Charts haben. Begründet hat der WDR das damit, er wolle „den Kulturbegriff erweitern“ und „neue Gesellschaftsschichten“ erschließen. Ist das glaubwürdig?
Ich weiß nicht, wie diese Entscheidung zustande gekommen ist. Ich finde sie aber falsch. Viele freuen sich auf diese Buch-Tipps. Ich glaube, es ist gelaufen wie bei mir. Man will wohl auch hier eine Veränderung. Aber man weiß nicht richtig, wie man es begründet. Und dann sagt man, man wolle neue Zielgruppen erobern. In meinem Fall sind es die jüngeren Zuschauer.
Die „Lokalzeit“ gilt als Altenheim, der WDR will aber die Fit-for-fun-Generation erreichen?
(lacht). Nee, mit unserer Sendung erreichen wir die Älteren aus der bürgerlichen Mitte, die sich um 19.30 Uhr noch vor den Fernseher setzen. Der WDR will aber AUCH die Jungen, Frechen und Eigenwilligen erreichen.
Interessiert sich diese Klientel für Lokales?
Gute Frage. Wir haben ein unglaublich treues Stammpublikum, das uns goutiert. Der Anteil der 14- bis 29-Jährigen liegt laut Chefredaktion bei zehn Prozent. Natürlich will man auch andere erreichen – aber doch nicht krampfhaft oder indem man sich auf Gruppen stürzt, die man niemals bekommt. Ich habe selbst zwei Töchter, 20 und 24. Die setzen sich doch nicht um 19.30 Uhr vor eine „Lokalzeit“. Die holen sich ihre Informationen nicht über das Fernsehen, sondern aus den sozialen Netzwerken.
Kündigungen treffen auch Männer. Sogar solche, die noch jünger sind. 2020 musste Ihr Kollege Stephan Pinnow nach 15 Jahren gehen. Die von ihm moderierten Sendungen „Hier und Heute“ und „Wunderschön“ sollten ein neues Konzept erhalten. Auch da hat der Sender gesagt, die Entscheidung habe nichts mit seinem Alter zu tun.
Auch mit dem hat man übel Schluss gemacht. Einmal hat es ihm der Chef direkt gesagt: „Es geht nicht weiter.“ Ich weiß nicht, ob die Redaktionsleiter nicht wussten, dass sie es mit einem dreifachen Familienvater zu tun hatten.
Und bei Ihnen?
Also ich habe mich jetzt einfach mal getraut, den Mund aufzumachen. Mit 35 hätte ich fürchten müssen: Meine Karriere ist zu Ende.
Und jetzt mit 59 haben Sie nichts mehr zu verlieren?
Zumindest beim WDR nicht. Ich hätte gerne beim Hörfunk weitergearbeitet, das Angebot hat es gegeben, aber nachdem der Bericht im Kölner Stadtanzeiger erschienen war, hat der WDR es wieder zurückgezogen. Es hieß, das Vertrauen sei nicht mehr gegeben.
Bereuen Sie Ihren Aufschrei?
Ich habe nicht geahnt, dass es solch ein Echo, positiv wie negativ, geben würde.
Ach kommen Sie, genau das haben Sie doch bezweckt.
Ja, ich wollte Aufmerksamkeit in der Sache, aber in dieser Dimension habe ich es nicht erwartet und auch nicht gewollt.
Jetzt sind Sie raus. War es das wert?
Na ja, ganz umsonst war es nicht. Die Chefs haben sich beraten. Sie kamen zu dem Schluss, sie hätten zu wenig kommuniziert. Man möchte künftig mehr miteinander reden, auch mit den freien Moderatoren. Es soll so etwas wie eine Zwei-Jahres-Frist geben, bevor ein Arbeitsverhältnis beendet wird. Mir bringt das jetzt nichts mehr, aber den Kollegen.
Der WDR ist die größte öffentlich-rechtliche Sendeanstalt in Europa. Welche Signale sendet er mit so einer Führungspolitik?
So ein großer Sender, der einen Kulturwandel propagiert, muss besser hingucken, ob richtig geführt und richtig kommuniziert wird. In der #MeToo-Debatte hat er das ja auch getan.
Auch die ARD hat ihr Moderatoren-Personal gerade verjüngt. Tagesschausprecher Jan Hofer ist mit 71 zu RTL gewechselt. Frau Standl, wollen Sie mit 71 auch noch moderieren?
(lacht). Ach, ich glaube nicht. Aber die Zeiten ändern sich. Vielleicht ändert sich die Fernsehlandschaft ja noch. Wenn man sich die demoskopische Kurve anguckt, werden die Leute immer älter und fitter.
Warum klopfen Sie nicht mal bei RTL an? Oder haben die sich schon bei Ihnen gemeldet?
Noch nicht. Die Wogen müssen sich erstmal glätten, dann stelle ich mich neu auf. Früher hätte ich gedacht, bei RTL muss man ewig jung bleiben. Aber der Sender lässt seine Moderatorinnen lange auf dem Schirm. Ulrike von der Groeben und Frauke Ludowig sind noch immer mit dabei. Das ist total klug. Und jetzt gräbt RTL auch noch der ARD die guten Leute in der Nachrichten-Abteilung ab.
Die Fragen stellte Antje Hildebrandt.