„Erinnerungslücken“ - Lisa Paus kuscht vor dem Cum-Ex-Kanzler

Die einst so vehemente Scholz-Kritikerin Lisa Paus (Grüne) ist ruhig geworden, seit sie in der Ampel-Regierung ist. Gespannt darf man deswegen auf den Hamburger Cum-Ex-Untersuchungsausschuss blicken – dort soll die Familienministerin als Zeugin über die angeblichen Erinnerungslücken des Kanzlers aussagen.

Olaf Scholz und Lisa Paus (hinten in grün): „Da hab’ ich einfach zu ihr gesagt: ‚Ich kann mich an nix erinnern‘ – und jetzt ist sie meine Familienministerin!“ / dpa
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Als Grünen-Obfrau im Finanzausschuss nahm Lisa Paus den damaligen Finanzminister Olaf Scholz hart in die Mangel. Hier ihre schärfsten Verbal-Attacken aus den Jahren 2020 und 2021:

„In Sonntagsreden gibt Scholz gerne den aufrichtigen Sozialdemokraten – hinter den Kulissen ist er der ‚Genosse der Banker‘.“

„Scholz hat den Bundestag belogen – über seine Treffen mit der Warburg-Bank im Cum-Ex-Betrug.“

„So funktioniert das System Scholz: Spuren verwischen und Nebelkerzen werfen. Statt vollständiger Transparenz werden wichtige Details verschwiegen oder nur das zugegeben, was sich öffentlich nicht mehr leugnen lässt.“

„Wir haben ganz klar gesehen: Scholz hat seine Behörden nicht im Griff. Er hat seine Netzwerke, die ihn schützen und für die er andersherum einsteht. Wenn es brenzlig wird, kann er sich plötzlich an nichts erinnern. Das sind keine guten Voraussetzungen für den Job eines Bundeskanzlers.“

Grün-gelbe Erinnerungslücken

Es hat auch so zur Wahl gereicht, und Paus sieht sich durchaus in der Lage, mit einem Politiker zu regieren, dem sie gestern noch Unfähigkeit attestiert hat. Seit April vergangenen Jahres ist sie Familienministerin im Kabinett Scholz. Seitdem ist es in puncto Cum-Ex still um Paus geworden. „Ich habe vor der Wahl alles zu Olaf Scholz gesagt“, antwortete sie vergangenes Jahr Cicero auf die Frage, ob sie zu ihren Aussagen stehe. „Die Wählerinnen und Wähler haben jetzt so entschieden. Ich fühle mich gut im Kabinett aufgenommen, Olaf Scholz und ich kommen gut miteinander klar.“

Das gilt auch für die FDP um Florian Toncar, Christian Lindners Staatssekretär im Finanzministerium, der ebenso wie Paus hartnäckige Cum-Ex- und Wirecard-Aufklärungsarbeit im Finanzausschuss leistete. Vor seinem Amt als Staatssekretär prognostizierte er Scholz, dass ihn sein Verhalten als Kanzler noch einholen werde, da seine „überaus erstaunlichen Erinnerungslücken durch weitere Aktenfunde geschlossen werden“ könnten. Heute scheint es, als könnten er und Paus sich an ihre Aussagen nicht mehr erinnern.

Die gestern geforderte Transparenz heute verhindern

In der Opposition schlägt man schärfere Töne an als anschließend in der Koalition, das gehört zum politischen Geschäft. Doch inzwischen zeigt sich, dass die Ex-Oppositionspolitiker nicht nur den üblichen verbalen Mäßigungsschritt gegangen sind, sondern vor der Regierungstür ihre Transparenzforderungen abgegeben und sich nahtlos ins eben noch kritisierte Schutznetzwerk des Kanzlers eingefügt haben.

Olaf Scholz hat sich in den Jahren 2016 und 2017 drei Mal mit dem Warburg-Bankier Christian Olearius getroffen, einmal rief Scholz ihn sogar proaktiv an und empfahl ihm, ein Argumentationspapier, warum die Bank aus der Staatskasse ergaunerte Cum-Ex-Millionen nicht zurückzahle solle, an den damaligen Finanzsenator Peter Tschentscher weiterzuleiten. Acht Tage später erließen Hamburgs Behörden der Bank 47 Millionen Euro Schulden – mutmaßlich wegen des politischen Einflusses von Scholz und Tschentscher.

Lesen Sie hier die Titelgeschichte der Cicero-Märzausgabe 2022, in der Oliver Schröm und Ulrich Thiele ausführlich Olaf Scholz’ Verstrickung in den Cum-Ex-Skandal dokumentieren: „Wer verschweigt, hat etwas zu verbergen“





Nachdem im Februar 2020 eines der Treffen – das dritte aus dem Jahr 2017 – dank der Tagebucheinträge des Warburg-Bankiers öffentlich wurde, musste Scholz, damals Finanzminister, zwei Mal vor Paus, Toncar und ihren Kollegen im Finanzausschuss des Bundestags aussagen.

Protokoll beweist: Scholz hat gelogen

Die zweite Sitzung vom 1. Juli 2020 fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, damit Scholz vom Steuergeheimnis befreit reden konnte. Das Protokoll der Sitzung wurde als „VS-vertraulich“ eingestuft und lag lange in der Geheimschutzstelle des Bundestags. Die Bundestagsabgeordneten, die Scholz befragten, durften sich über die Sitzung nicht äußern. Mittlerweile ist das Protokoll auf Druck der Opposition freigegeben worden und somit für jedermann ersichtlich, dass die Erinnerungslücken eine Ausrede sind. Denn Scholz konnte sich in der Sitzung an das Treffen mit Olearius durchaus erinnern. Er beteuerte nur, keinen politischen Einfluss genommen zu haben. Die anderen beiden Treffen verschwieg er. Auch, als er explizit danach gefragt wurde.
 

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Als im September 2020 die weiteren zwei Treffen öffentlich wurden, warfen die Finanzausschussmitglieder um Paus und Toncar Scholz vor, den Bundestag belogen zu haben. Scholz änderte daraufhin seine Taktik. Als er kurz darauf abermals vor dem Finanzausschuss des Bundestags und später auch zwei Mal vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) in Hamburg aussagen musste, behauptete er plötzlich, sich an alle drei Treffen nicht mehr erinnern zu können.

Vermutlich, weil es schwer zu vermitteln gewesen wäre, warum er sich an die dem Finanzausschuss verschwiegenen zwei Treffen nicht erinnern könne, jedoch an das dritte.

Sozialdemokratische Nebelkerzen

Die Unionsfraktion im Bundestag erklärte wegen des Protokolls, Scholz ein viertes Mal im Finanzausschuss befragen zu wollen. Im August gab es bereits Medienberichte über die Inhalte des Protokolls. Die CDU wollte Scholz deswegen bereits vorladen, was von der Ampel-Regierung abgelehnt wurde. Begründung: Solange das Protokoll nicht entstuft sei, komme dies nicht in Frage. „Sollte die Ampel den erneuten Antrag wieder ablehnen, würde sie sich angesichts ihrer lautstarken Transparenzbeteuerungen bloßstellen“, kommentierte Cicero vor einem Monat. Nun hat die Ampel den Antrag mit ihrer Mehrheit abgelehnt.

„Heute haben FDP+Grüne gemeinsam mit der SPD verhindert, dass Scholz sich zu seinen widersprüchlichen Aussagen zu seinem Treffen mit dem Warburg-Banker Olearius im Finanzausschuss erklären muss“, kommentierte der CDU-Abgeordnete Matthias Hauer via Twitter. Michael Schrodi, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion und offenbar neuer Nebelkerzenbeauftragter des Kanzlers, verkündete kontrafaktisch, die Ampel habe aktiv daraufhin hingearbeitet, das Protokoll zu entstufen, weil Scholz nichts zu verbergen habe – und genau deswegen sei es unnötig, dass Scholz noch einmal vor den Finanzausschuss zitiert wird.

Paus und Toncar sollen in Hamburg aussagen

Dass Grüne und FDP kein Interesse mehr an Transparenz haben, ist aus Regierungssicht verständlich. Man will wegen Cum-Ex keine Regierungskrise riskieren, die die „Fortschrittskoalition“ gefährden könnte. Was wiederum deutlich macht, dass die grün-gelben Regierungspartner sich der politischen und juristischen Brisanz dessen, was Scholz sich geleistet hat, sehr bewusst sind. Scholz’ Falschaussagen vor dem PUA in Hamburg sind nämlich strafrechtlich relevant.

Umso spannender dürfte die Aufarbeitung der Causa Erinnerungslücken in ebendiesem Hamburger Untersuchungsausschuss werden. Der einigte sich darauf, Scholz ein drittes Mal als Zeugen vorzuladen. Aber nicht nur das: Der PUA lädt 38 aktive und ehemalige Bundestagsabgeordnete als Zeugen. Dabei handelt es sich um jene Mitglieder des Finanzausschusses des Bundestages, die 2020 bei der Scholz-Befragung im Gremium waren. Darunter Lisa Paus und Florian Toncar. Was von Olaf Scholz zu erwarten ist, zeigten die bisherigen Zeugenbefragungen. Bleibt zu hoffen, dass Paus und Toncar keine Erinnerungslücken haben werden.

Passend zum Thema: Investigativjournalist Oliver Schröm im Cicero Podcast mit Ulrich Thiele: „Die Enthüllungen werden Olaf Scholz juristische Probleme bereiten“.

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