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(picture alliance) An Merkels Führungsfähigkeit gibt es verstärkt Zweifel aus der eigenen Partei.

Parteien - Merkels Mängel und die Misere der CDU

Die CDU ist in der Krise duldsam ihrer Vorsitzenden Angela Merkel gefolgt. Doch nun regt sich Widerstand.

Es ist nicht überliefert, ob Angela Merkel zu den Fans der britischen Rockgruppe „Supertramp“ gehört. Melodisch scheint das bei der Wagner-Anhängerin eher unwahrscheinlich, doch programmatisch sind die Anleihen bei der Band aus den siebziger Jahren augenscheinlich. Mit dem Titel ihres vierten Albums „Crisis? What Crisis?“ lieferte diese gleichsam die Grundmelodie Merkel‘scher Regierungspolitik. Wenn etwas an der Bundeskanzlerin noch verblüffen kann, dann ist es die Unerschütterlichkeit, mit der sie ihrem  erratischen Agieren in der Finanzmarkt- und hernach in der Staatsschuldenkrise, ihren fliegenden Wechseln in der Bio-, Außen- und Atompolitik sowie den verstiegenen Eskapaden der Koalition den Anschein eines programmgemäßen Ablaufs des Regierungshandelns gibt. Ihr Handeln könnte allenfalls dem Volk etwas besser vermittelt werden, damit es die gebührende Anerkennung erfährt.

Kein erkennbarer Anflug von Zweifel beschleicht sie angesichts des vernichtenden öffentlichen Urteils über ihre Person und der erdrückenden Serie von Wahlniederlagen. Diese wird sich, allem Anschein nach, im September in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin fortsetzen. Ihre Unerschütterlichkeit wurde lange Zeit als Fähigkeit der gelernten Naturwissenschaftlerin, vom Ende her zu denken, geadelt, als Ausweis eines unideologischen, moderierenden Politikstils. Mittlerweile kommt allerdings häufiger der Begriff des Aussitzens wieder in Gebrauch und erinnert die CDU daran, dass sich in der Kommunikation des Kanzlers und Vorsitzenden mit seiner Partei seit den späten neunziger Jahren nicht viel geändert, allenfalls gar verschlechtert hat. Denn wo Helmut Kohl, gerade in Krisenzeiten, noch zum Hörer griff und den Draht in alle Gliederungen der Partei pflegte, verschickt seine Nachfolgerin mit Vorliebe SMS, was die Kommunikation nicht nur kürzer, sondern auch unpersönlicher und einseitiger macht.

Verblüffend ist zugleich die fraglose Duldsamkeit, mit der diese Politik in all ihren Konsequenzen von den Aktiven der Union mitgetragen wurde und wird. Die Entscheidungen zur Finanz- und Staatsschuldenkrise folgen dem TINA-Prinzip („There Is No Alternative“), also dem Schlagwort der „Alternativlosigkeit“, und werden den Abgeordneten dekretiert. Lediglich Bundestagspräsident Norbert Lammert meldete Bedenken gegen das Verfahren an. Die Bundeswehrreform wurde vom Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg auf einer PK verkündet: „Weder Partei noch Fraktion waren eingebunden, konnten aber, schon um den Minister nicht zu desavouieren, den eingeschlagenen Weg nur nachvollziehen“, stellte dazu der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Dörflinger fest.

In der Steuer- und der damit zusammenhängenden Schuldenpolitik konnte die Regierung bislang keine erkennbare Linie entwickeln. Die jüngste Volte der Koalitionsspitze hin zum Versprechen einer Einkommenssteuersenkung überraschte auch die Finanzpolitiker der Union, die zeitgleich noch über Konzepte grübelten. Die Abschaffung der Hauptschule wurde ohne breite Debatte zum Thema des kommenden Bundesparteitags erkoren. Doch ob es bei dieser Themensetzung bleibt, ist mittlerweile fraglich. Denn es mehren sich die Stimmen, wie die des hessischen Fraktionsvorsitzenden Christean Wagner, die einen „Grundsatzparteitag über Programm und Profil der Union“ verlangen.

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Anlass, ins Grundsätzliche zu gehen, hat die CDU genug. Denn fast noch Besorgnis erregender als das aktuelle Erscheinungsbild der Regierung sind die langfristigen Trends, die sich in Wahlergebnissen und Umfragewerten niederschlagen.

1998 sank die Union mit 35,1 Prozent dramatisch unter die bis dahin immer bei Bundestagswahlen gehaltene Marge von 40 Prozent. Das wurde noch als Einzelergebnis interpretiert, das der Ausgelaugtheit einer überlangen Regierungsära geschuldet war. Doch wurde es 2005 eingestellt und  2009 gar vom schlechtesten Wahlergebnis seit 1949 untertroffen. Auswertung und Debatte in beiden Fällen: Fehlanzeige. In Bremen, Hamburg und Berlin dümpelt die CDU, wie auch in vielen anderen Großstädten, um die 20 Prozent. Bereits 2002 erkannte die damalige Vorsitzende Merkel das urbane Problem der Union und setzte eine „Arbeitsgruppe Stadt“ ein. Die Probleme haben sich seitdem verschärft, die Arbeitsgruppe ist eingeschlafen – ohne greifbare Ergebnisse.

Bislang konnte sich die Union auf der sicheren Bank der alten Wähler ausruhen, doch diese wird immer schmaler. Von der Wahl 2005 bis zur Wahl 2009 gingen ihr knapp eine Millionen Wähler verloren – durch Tod. Und in den kommenden Jahren ist damit zu rechnen, dass die Kohorte der durch 1968 politisch Geprägten und vornehmlich links Orientierten die konservative Dominanz unter den Rentnern umkehren wird. Folglich muss sich die Union stärker auf die jungen Wähler konzentrieren. Doch unter denen verliert sie schon seit Anfang der siebziger Jahre. Es ist ebenso zu bezweifeln, dass sie mit zielgruppenorientierten Imagekampagnen à la „wir schneiden die alten Zöpfe ab“ diesen Trend umkehren kann. Erfolg versprechend wären etwa die empfohlene Betonung des Konservativen oder des „C“, wenngleich unklar ist, worin das zum Ausdruck kommen sollte.

Nun wird den Volksparteien seit Jahren bereits der Niedergang prophezeit, ganze Heerscharen von Politologen erschöpfen sich darin, ihn soziologisch mit der Auflösung der jeweiligen Milieus, der Individualisierung der Lebensverhältnisse und der Globalisierung zu begründen, was der Entwicklung den Anschein des Unveränderlichen gibt. Verstärkt wird dieser Außenblick in Krisenzeiten durch die Binnensicht meist älterer Parteigranden, die das „konservative Tafelsilber“ vernachlässigt und das „C“ missachtet sehen. Entsprechende Einlassungen von Erwin Teufel, Jörg Schönborn und Alexander Gauland haben dieser Tage dem parteiinternen Unmut eine Stimme gegeben. Doch bleibt meist im Ungefähren, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind. Denn so wenig die SPD noch aus dem Begriff der Gerechtigkeit Parameter ihrer Politik filtern kann, so wenig sagt die Zuschreibung „konservativ“ darüber aus, was die Union zu tun hat.

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Die CDU steht vor einer Reihe von Umbrüchen, die neue Kursbestimmungen von ihr erfordern, ohne dass ihre bisherige Programmatik dazu die notwendigen Handreichungen bieten würde. Zugleich gilt es, den neuen Kurs mit dem Selbstbild in einer Weise zu verknüpfen, dass sich daraus eine Erzählung formulieren lässt, die den Titel „CDU“ trägt. Daran ist Angela Merkel in den letzten Jahren gescheitert, ihr Agieren ließ keine langen Linien erkennen.

- Am deutlichsten wird dies in der Europapolitik, die bis zu den Wahlen 2013 noch an Bedeutung gewinnen wird. Dem Druck der Finanzmärkte und der anderer Eurostaaten folgend hat sich Angela Merkel Stück für Stück in die Transferunion drängen lassen. Die wollte sie eigentlich vermeiden. Letztlich war der Versuch erfolglos, weil sie dazu die privaten Gläubiger hätte stärker angehen müssen. Die Union hatte einmal mit dem Schäuble/Lahmers-Papier zu „Kerneuropa“ ein Konzept für eine stärkere Integration, doch dürfte dies kaum als Blaupause für die aktuelle Lage taugen. Nach welcher Maßgabe künftig die nationalen mit den europäischen Interessen abgeglichen werden, hat sich bislang aus Merkels Sachzwang-Logik nicht erschlossen. Von dem Europa, worauf nun zugesteuert wird, hat die Partei keinen positiven Begriff. Und aus dem  vergangenheitsorientierten Europa-Pathos, das Helmut Kohl noch beflügelte, lässt sich ein solcher Begriff auch nicht mehr entwickeln. Ohne einen solchen Begriff wird Europa aber für die Union zu einem Verlierer-Thema.

- Das Bild wird noch komplettiert durch eine Bündnis-Politik, bei der sich Deutschland eher isoliert hat, als eine seiner Größe und wirtschaftlichen Bedeutung angemessene Führungsrolle zu übernehmen. Dies betrifft die Finanz- aber vor allem auch die Außen- und Verteidigungspolitik. Der Absentismus beim Lybien-Einsatz, die verbale Unterstützung des arabischen Frühlings und die gleichzeitige Militär- und Polizeihilfe für dortige Despoten vermitteln nicht das Bild eines in sich stringenten, gar auf eine gemeinsame europäische Außen- und Verteidigungspolitik zielenden Vorgehens.

- Die finanziellen Unwägbarkeiten der weiteren Entwicklung in Europa lassen die koalitionsinterne Absprache einer Einkommenssteuersenkung umso absurder erscheinen. Denn es ist mittlerweile offensichtlich, dass Staatsverschuldung das Einfallstor für spekulative Attacken der Finanzmärkte, Austeritätspolitik mithin nicht nur ein Gebot der Verfassung und der Generationengerechtigkeit sondern auch der staatlichen Stabilität ist. Während beim Bürger diese Einsicht weit verbreitet ist, schwankt die CDU noch zwischen Austeritäts- und klassischer Angebotspolitik.

- Die Union hat die Reform des Arbeitsmarktes durch die Hartz-Gesetze mitgetragen und von dem dadurch mit in Gang gesetzten Wirtschaftsaufschwung politisch profitiert. Sie hat jedoch auf die Fehlentwicklungen, welche die Reformen gezeitigt haben, die Ausweitung atypischer, großteils niedrig entlohnter Beschäftigungsverhältnisse und die damit verbundenen stetig steigenden staatlichen Lohnsubventionen, bis heute keine ordnungspolitisch überzeugende Antwort gefunden. Sie akzeptiert Sektor für Sektor Mindestlohnregelungen, und vollzieht damit lediglich nach, was SPD und Grüne mit klarerer Linie vorgeben.

- Die Familienpolitik war immer eine Identität stiftende Domäne der CDU. Sie wurde in den vergangenen Jahren unter Ursula von der Leyen zu dem  Ausweis einer modernen CDU. Nimmt man die Steigerung der Geburtenrate als eine – auch selbst formulierte – Messlatte des Erfolges einer finanziell äußerst ambitionierten Förderung, so kann man diese Politik angesichts der jüngsten Zahlen, die Deutschland den untersten Rang in der EU zuweisen, nur als gescheitert ansehen. Und es ist davon auszugehen, dass der mit viel programmatischem Herzblut ausgetragene parteiinterne Streit um die Ausgestaltung der Fördermaßnahmen auf dieses Ergebnis keinen Einfluss hat. Wenn eine Partei, für die Familie Priorität hat, eine Politik macht, unter der sich Familie immer weniger bildet, dann hat sie ein Problem.

- Ebenso selbstbezogen wirkt die Debatte um den programmatischen Markenkern, der im Zentrum des kommenden Parteitages stehen soll: das dreigliedrige Schulsystem. Die Lordsiegelbewahrer dieses Modells verlieren aus dem Blick, dass die von Annette Schavan verkündete Zusammenlegung von Haupt- und Realschule weniger programmatischem Eifer als vielmehr der normativen Kraft faktischer Veränderungen entspringt. Abnehmende Schülerzahlen erzwingen vielerorts pragmatische Lösungen, die auch von CDU-Politikern mit initiiert und getragen werden. Zudem war Schule zwar seit Jahrzehnten einer der letzten Schauplätze eines Kampfes der Systeme, doch mittlerweile setzt sich die Erkenntnis durch, dass weder das eine noch das andere Garant eines Bildungserfolges ist, sondern Ausstattung und Personal die entscheidenderen Größen sind. 

Angela Merkel hat die CDU wieder zu einem Kanzlerwahlverein gemacht. Selbst die Abgeordneten – die unmittelbare Basis exekutiver Macht – werden außen vorgelassen. In den zehn Jahren ihres Vorsitzes hat sie sich aller möglicher Konkurrenten entledigt, nun mangelt es der CDU an konzeptionellen Köpfen. Die Politik wird von einem Küchenkabinett gestaltet, das auf Merkel zentriert ist. Die Kommunikation in die Partei reduziert sich auf sporadische Regionalkonferenzen, deren Beitrag zur Willensbildung sich in „Dampf ablassen“ erschöpft. Es fehlt ein strategisches Zentrum, das die langen Linien der Politik deutlich macht und sowohl in die Partei als auch gegenüber der Öffentlichkeit kommuniziert. Von Merkel allein sind diese Veränderungen nicht zu erwarten. Doch ein Personal, dass Willens und in der Lage ist, sie ins Werk zu setzen, ist in der CDU derzeit nicht in Sicht.

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