Linkes Verhältnis zu Israel - Palästinenser-Folklore und Antisemitismus

Wer im derzeitigen Gaza-Krieg Palästinenser nur als Opfer sieht, israelische Sicherheitsinteressen völlig ausblendet und das Hamas-Massaker vom 7. Oktober herunterspielt, muss sich auch als Linker den Vorwurf des Antisemitismus gefallen lassen.

Demo in London / dpa
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Jan David Zimmermann ist Künstler und Wissenschaftsforscher. 

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Ohne Frage ist die humanitäre Lage im Gazastreifen bestürzend. Dennoch ist bezeichnend, wie sehr insbesondere linke Kreise im Westen sich mit einer antiisraelischen Agitation islamistischer Prägung gemein machen und so zu nützlichen Idioten muslimischer Fundamentalisten werden. Es tritt hier ein Habitus zutage, der sowohl in alten als auch in neuen linken Gruppierungen weit verbreitet ist: Man scheint oftmals ein Mündel zu brauchen, das man als Opfer konstruieren und paternalistisch bevormunden kann.

Je weiter dieses Mündel von der eigenen Gruppe entfernt ist, umso besser, denn es wird romantisiert und folkloristisch aufgeladen; die Gewalt auf palästinensischer Seite wird dann immer auch zur mythischen Erzählung eines nationalen Befreiungskampfs hochstilisiert, das terroristische Element wird ausgeklammert. Die Palästinenser werden in dieser Logik gleichsam zu Indianern, denen man im Kampf gegen die bösen weißen Siedler hilft. Gerade die Linken der 68er-Generation in Deutschland waren für ihren Antisemitismus bekannt, wie es auch der Historiker Götz Aly in seinem Buch „Unser Kampf: 1968“ beschreibt.

„Queers for Palestine“

Linker Antisemitismus hat eine lange Tradition. Man solidarisierte sich in den 1960ern mit den angeblich kolonisierten Palästinensern und beschrieb Israel als imperialen Aggressor. Auch die terroristische RAF war deutlich antiisraelisch und pro-arabisch eingestellt, kooperierte etwa bei der Flugzeugentführung von 1977 mit der Terrororganisation „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ und ließ sich 1970 in Jordanien von der palästinensischen Fatah im Guerillakampf ausbilden.

Auch wenn man linke antiisraelische Positionen natürlich nicht automatisch mit dem Terror der RAF gleichsetzen darf: Viele Alt-Linke sind heute nach wie vor der Meinung, Israel sei ein imperialistischer Staat, und geben den jungen Linken dabei nicht selten die Klinke in die Hand: Auch die identitätspolitisch ausgerichtete woke Linke der Gegenwart lebt von Folklorisierungen des palästinensischen „Befreiungskampfes“, die sich dann in realitätsfernen Slogans wie „Queers for Palestine“ ausdrücken.

Kritik an der israelischen Siedlungspolitik wird dabei in einem Atemzug geäußert mit dem großräumig angelegten Imperialismus ehemaliger Kolonialmächte, was angesichts der minimalen Ausdehnung der betroffenen Gebiete in Israel völlig absurd ist. Organisationen wie etwa die AIK (Antiimperialistische Koordination), die immer wieder gemeinsam mit der BDS-Bewegung auftritt, wird sogar vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) als klar antisemitisch eingestuft.

Schweigen im Kulturbetrieb

Erschreckend war, wie schnell nach dem 7. Oktober 2023 das antiisraelische Ressentiment auf linker Seite griff, obwohl gerade erst der verheerende Terroranschlag der Hamas an einem einzigen Tag 1200 Todesopfer forderte. Darüber herrschte weitgehend Schweigen, auch im sonst so politisch korrekten Kulturbetrieb. Doch nur zwei Tage nach dem Terroranschlag skandierte man auf einer Demonstration in Wien: „Chaibar, Chaibar, oh ihr Juden, Mohammeds Armee wird zurückkehren!“ Linke mit Palästinensertuch gingen gemeinsam mit arabischen Demonstranten auf die Straße und fanden solche Sprüche offenbar legitim.

Auch „Black Lives Matter“ fallen schon länger durch antiisraelische Parolen auf, nach dem Anschlag posteten sie jedoch Aussagen, die man kaum für möglich gehalten hätte. „Black Lives Matter Chicago“ postete am 11. Oktober 2023 auf Twitter das Bild eines Paragleiters, begleitet von dem Spruch „I stand with Palestine!“ – eine Anspielung darauf, dass die Hamas-Terroristen die Mauer zu Israel mittels solcher Fluggeräte überwanden.

Auf linken Social-Media-Profilen kursiert ein bearbeitetes Bild von Netanjahu als Hitler; unter der Hakenkreuzbinde blitzt der Davidstern durch. „Kindermörder Israel“ stand jüngst groß auf einer Häuserwand im Dritten Wiener Gemeindebezirk geschrieben. Der Autor dieser Zeilen hat vor etwa einem Monat ebenfalls in Wien Sticker mit der Aufschrift „Fuck Israel“ mit einem durchgestrichenen Davidstern entdeckt. Der jüdische Teil des Wiener Zentralfriedhofs wurde bereits am ersten November 2023 Opfer eines Brandanschlags – Hakenkreuzschmierereien inklusive.

Anstieg antisemitischer Straftaten

Erschreckend sind die Zahlen, die die Israelitische Kultusgemeinde Österreichs (IKG) kürzlich veröffentlichte: 1147 antisemitische Vorfälle gab es allein 2023 in Österreich, mit einem rasanten Anstieg ab Oktober; 18 davon waren tätliche Angriffe. Zum Vergleich: Im Jahr 2022 waren es „nur“ 719 Vorfälle. Elf dieser 18 tätlichen Angriffe aus dem Jahr 2023 wurden von Muslimen begangen. Der Großteil der übrigen Vorfälle kam dennoch überwiegend aus dem rechtsextremen Milieu.
 

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Auch in Deutschland gab es seit dem Terroranschlag der Hamas 2249 antisemitisch motivierte Straftaten. Nicht etwa bloß „Vorfälle“, sondern Straftaten. In Berlin etwa wurde ein jüdischer Student von einem pro-palästinensischen Kommilitonen so stark verprügelt, dass er mit Schädel-Hirn-Trauma ins Krankenhaus musste. Auch die Schweiz sorgte für Aufsehen: Anfang März wurde in Zürich ein 50-jähriger orthodoxer Jude von einem muslimischen Jugendlichen niedergestochen.

Propaganda in Dauerschleife

Klar wird bei der Betrachtung all dieser Phänomene, dass linke Kritik an Israel sich gar nicht primär gegen die Rechtsextremen in der dortigen Regierung, gegen die Siedlungspolitik und gegen das Erstarken eines religiös ausgelegten Zionismus richtet, sondern gegen Israel als Ganzes, als Staat, der einfach nicht sein darf und noch nie sein durfte. Man ist gegen den Zionismus in all seinen Ausprägungen und am Ende schließlich: gegen die Juden. Man schwieg beim Terroranschlag der Hamas, empörte sich jedoch beim Gegenschlag Israels. Israelische (Sicherheits-)Interessen scheinen in dieser Logik nicht zu existieren, werden mit keiner Silbe thematisiert. 

Mit Blick auf den Nahostkonflikt scheinen viele ebenso zu reagieren wie die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann beim Ukraine-Thema, als sie Ulrike Guérot in der Sendung „Markus Lanz“ anblaffte und sagte: „Es sterben Menschen!“ Auch im Fall des Nahostkonflikts wird mit toten Frauen und Kindern in Dauerschleife Propaganda betrieben, die jedes Sachargument im Keim erstickt. „Die Hölle in Gaza“ – solche Formeln erinnern stark an „Die Bilder aus Bergamo“.

Aber auch in den Kreisen des sogenannten Corona-Widerstands erlebt man dieses Muster. Bezeichnend dabei: Die zivilen Opfer im Ukraine-Krieg wurden von diesen Stimmen (die sich tendenziell pro-russisch zeigten) zu keinem Zeitpunkt thematisiert; beim Ukraine-Thema berief man sich darauf, dass das unsachlich sei. Eigenartig nur, dass dies für den Nahostkonflikt nicht gilt (außer es handelt sich um den Terroranschlag der Hamas, der zwar tragisch, aber dessen Thematisierung „unsachlich“ sei).

Einseitige Geschichtsauslegung bis zur Geschichtsverfälschung

Wesentliche historische Ereignisse werden völlig ausgeblendet. Denn wenn man über die palästinensische „Nakba“ spricht, muss man auch über die Juden der arabischen Welt, deren jahrhundertelange Entrechtung und die Vertreibung von 900.000 Juden aus arabischen und islamischen Ländern seit 1948 sprechen. Man muss über den Antisemitismus der arabischen Welt sprechen, den es nicht erst seit 1948 gibt. Und wer mit Blick auf Israel von Kolonialismus und Imperialismus spricht, sollte sich einmal vergegenwärtigen, dass Israel etwa die Größe Niederösterreichs oder Hessens hat.

Die Palästinenser sind ein perfektes politisches Instrument islamistischer und diktatorischer Regime, um Israel als Ganzes zu delegitimieren, was mithilfe von NGO-/EU-/UNO-Geldern, die auch den Hamas-Terror mitfinanzierten (Stichwort UNRWA), im Diskurs erfolgreich gelingt.

Und schließlich muss man sich vergegenwärtigen, dass an einem einzigen Tag 1200 Israelis getötet, Babys geköpft und Frauen vergewaltigt wurden und dass die 130 Geiseln immer noch nicht in Sicherheit sind; dass Israel destabilisiert, die Bevölkerung verunsichert bis traumatisiert ist, dass das Land nach wie vor beschossen wird, dass hunderte israelische Soldaten gefallen sind. Wer all dies stur ausblendet, der muss sich eben auch als Linker den Vorwurf des Antisemitismus gefallen lassen.
 

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