Habeck und Lindner - Briefwechsel unter Koalitionspartnern bedeuten Zoff 

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) streiten sich öffentlich um Bundeshaushalt, Steuererhöhungen und Schuldenbremse. Der Streit ist nur ein Vorgeschmack dessen, was auf die Koalition zukommt.

Werden in diesem Leben wohl keine Freunde mehr: Christian Lindner (FDP) und Robert Habeck (Grüne) / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Robert Habeck und Christian Lindner kennen sich recht gut, sie duzen sich sogar in Talkshows und kennen die Handy-Nummer des anderen. In der Fastnachtswoche hat der grüne Wirtschaftsminister dem Finanzminister von den Freien Demokraten jedoch einen Brief geschrieben, und Letzterer hat prompt geantwortet. Beides wurde prompt öffentlich bekannt, was auch der Zweck der Übung war. Es geht zwischen den Ampel-Partnern mal wieder ums Geld, vor allem um die Schuldenbremse und höhere Steuern. Der Ton ist nicht rau, sondern süffisant, was im Grunde viel schlimmer ist. 

Der CDU-Abgeordnete Andreas Mattfeldt wundert sich: „So etwas habe ich in meinen 14 Jahren als Haushälter im Deutschen Bundestag noch nicht erlebt“, kommentierte er den Briefwechsel. „Noch nie haben sich Bundesminister bereits im Vorfeld von Haushaltsverhandlungen derart gezofft.“ SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert ist ebenfalls verwundert: Das öffentliche Austauschen von Briefen sei ein Ritual, „bei dem alle Beteiligten verlieren“, monierte er. „Es schwächt das Ansehen der Absender, es nervt die Bürger, und es löst keine Probleme.“ 

Mag sein, dass sich Probleme brieflich eher schwieriger lösen lassen als beim Gespräch von Mann zu Mann. Jedenfalls sind solche Briefe immer ein Indiz dafür, dass es in einer Koalition knirscht. Das war schon so, als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach dem bei ihm typischen wochenlangen Zögern die Kontroverse zwischen FDP und Grünen über die Laufzeit der letzten drei Kernkraftwerke per Machtwort entschied – mit einem Brief. 

Solche Briefe, die im Grunde nichts anders sind als auf amtlichem Briefbogen verschickte Presseerklärungen, können sehr wohl der Anfang vom Ende sein. Vor mehr als 40 Jahren, am 9. September 1982, schrieb der damalige Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff (FDP) einen Brief an Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD). Dem fügte er das schnell berühmt gewordene Lambsdorff-Papier bei. Dieses „Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ war im Grunde ein Scheidungsbrief. Kurz darauf brach die seit 1969 regierende sozial-liberale Koalition auseinander. 

Die Grünen würden nichts lieber tun, als Steuern erhöhen und die Kreditaufnahme ausweiten

So weit ist es freilich noch lange nicht. SPD, Grüne und FDP sind angesichts der Mehrheitsverhältnisse zum Weiteregieren verdammt, zumal keine der drei Parteien angesichts ihrer Umfragewerte an Neuwahlen Interesse haben dürfte. Doch zeigen die Briefe, dass das zu Beginn der Ampel-Zeit zelebrierte innige Verhältnis der beiden „mittelgroßen“ Parteien Grüne und FDP stark gestört ist. Was nicht verwunderlich ist: Die Grünen als linke Partei geben der Klimapolitik den Vorrang vor Wirtschaftswachstum und würden nichts lieber tun, als Steuern erhöhen und zugleich die Kreditaufnahme ausweiten. Dass das mit der FDP so nicht gehen wird, war eigentlich von Anfang an klar. 

Habeck forderte in seinem Brief den Finanzminister mit Blick auf den Haushalt 2024 unter anderem dazu auf, „keine weiteren öffentlichen oder internen Vorfestlegungen zu treffen, die einseitig weitere Ausgaben priorisieren (u.a. Aktienrente, Umsatzsteuerermäßigung für die Gastronomie, Bundeswehr)“. Zugleich weist er darauf hin, dass die von Grünen geführten Ministerien „die Schuldenbremse zwar akzeptieren“ würden, machte sich gleichzeitig dafür stark, darüber zu beraten, „wie wir Einnahmen verbessern“.  

 

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Lindner wiederum machte sich in seiner Antwort darüber lustig, „dass die von den Grünen geführten Ministerien das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland nicht in Frage stellen“. Zudem machte er klar, „dass Steuererhöhungen oder sonstige strukturelle Mehrbelastungen für die Bürgerinnen und Bürger oder die Wirtschaft vom Koalitionsvertrag ausgeschlossen sind“. 

Einen sachlichen Grund, warum Habeck diesen Streit ausgerechnet jetzt losgetreten hat, gibt es nicht. Doch dürfte dabei die Berliner Wahl eine Rolle gespielt haben. Dort mussten die Grünen erfahren, dass ihre Bäume nicht in den Himmel wachsen. Ohnehin ist angesichts des Ukrainekriegs die Klimapolitik in den Hintergrund getreten. Deshalb will der Wirtschafts- und Klimaminister mehr Mittel in grüne Projekte investieren. Folglich sucht er nach „neuen und alternativen Wegen“, um politische Projekte bei Einhaltung der Schuldenbremse zu finanzieren. Das lässt sich angesichts der Finanzlage nur so übersetzen: Steuern rauf, und zwar kräftig. 

Lindner zeigt endlich ein klares FDP-Profil

Für Linder war der Brief des Vizekanzlers eine willkommene Gelegenheit, das zu zeigen, was viele Wähler bei der FDP offensichtlich vermissen – ein klares Profil. In der letzten schwarz-gelben Koalition zwischen 2009 und 2013 hatte sich die FDP ihr zentrales Wahlversprechen, nämlich eine grundlegende Steuerreform, von Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) abhandeln lassen. Das war der Anfang vom Niedergang, der 2013 zum Ausscheiden aus dem Bundestag führte. Einen solchen Fehler will Lindner – damals Generalsekretär seiner Partei – unter allen Umständen verhindern. 

Das könnte für die Ampel zur Zerreißprobe werden. Schon jetzt planen die Bundesministerien für 2024 zusätzliche Ausgaben in Höhe von 70 Milliarden Euro. Lindner selbst will unbedingt Unternehmen entlasten, nicht zuletzt den Mittelstand und Start-up-Firmen. Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) fordert fast täglich mehr Geld für die Bundeswehr. Dies alles trifft mit der aus der Sicht der Haushaltspolitiker misslichen Situation an den Kapitalmärkten zusammen. Die Zeit des Schuldenmachens zum Nulltarif ist endgültig vorbei. 

Habecks Brief ist nur ein Vorgeschmack dessen, was auf diese Koalition zukommt. Dabei ist der Grüne insofern im Vorteil, als er bei den Themen Steuererhöhungen und Schuldenbremse die SPD an seiner Seite hat. Diese beiden linken Parteien hätten, wenn sie alleine regierten, schon längst die Schuldenbremse ausgesetzt und zudem kräftig die Steuern erhöht beziehungsweise Vermögen besteuert. Auch in der Klimapolitik sind sich SPD und Grüne sehr nahe.  

In dieser Konstellation steht es aus Sicht der Freien Demokraten 1:2. Doch klein beizugeben kann sich die FDP nicht leisten, schon gar nicht mit Blick auf die wichtigen Landtagswahlen im Herbst in Bayern und Hessen. FDP-Vize Wolfgang Kubicki hatte nach der Berliner Wahlschlappe ein anderes Auftreten der FDP angemahnt: „Ich denke, unsere Wähler erwarten, dass die Bundestagsfraktion mehr konstruktive Konfliktbereitschaft an den Tag legt als bisher.“  

Ob die Fraktion dazu bereit ist oder nicht: Diese Konflikte werden kommen. Der Habeck-Lindner-Briefwechsel entspricht da eher einem leichten Aufwärmen als bereits einem harten Schlagabtausch. 

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