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Grünes Spitzenduo - Die Schöne und der Biest

Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin sollen im Wahljahr als grünes Spitzenduo die Mitte abräumen und obendrein schön links wildern. Klappt das? Eine politische Stilkritik

Autoreninfo

Peter Unfried ist Chefreporter der taz in Berlin

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Im Winter holt Katrin Göring-Eckardt ihr Strickzeug heraus. Brot backt sie zu jeder Jahreszeit am liebsten selbst. Eines Tages will sie Schlagzeug spielen lernen. Und wenn die erwachsenen Söhne ihre Kleidung mit den Worten „Mama, bist du peinlich“ kommentieren, dann zieht sie sich geschwind um. Das ist das Bild, das die Spitzenkandidatin der Grünen von sich entwirft. Es verströmt ein wenig von dem Landlust-Flair, das auch der Grünen-Ministerpräsident Winfried Kretschmann ausstrahlt. Kritiker setzen da gern und schnell den alten Kampfbegriff „spießig“ ein. Doch diese Sicht verkennt, dass dahinter ein gesellschaftlicher Trend steht: Sehnsucht nach Halt, Erdung und einer überschaubaren Heimat angesichts der globalen Komplexität.

Göring-Eckardt, 46, hatte bei der Urwahl der zwei Grünen-Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl überraschend die Fraktionsvorsitzende Renate Künast und die Parteivorsitzende Claudia Roth abgehängt und bildet seither mit Jürgen Trittin das Duo für den Wahlkampf. Das zeige, wie „weise“ die Basis doch sei, jubelte man in der Partei. Deren Politiker und Funktionäre wähnten sich fürs Jahr 2013 perfekt ausgestattet. Trittin, für viele Stammkunden immer noch ein klassischer Linker, transformiert sich zudem in der Öffentlichkeit vom Ex-Kommunisten und Dosenpfandler zum souveränen Globalökonomen. Wählbar für alle, die um ihr Geld fürchten. Göring-Eckardt wiederum gibt den Grünen, wie Parteichef Cem Özdemir es formuliert, „bei werteorientierten Wählern einen kräftigen Schub“. Also bei bisher eher der Union zugeneigten Wählern, die angesichts der dortigen Gebräuche (Guttenberg, Wulff, Mappus) um einen Verfall der Sitten fürchten.

Der links verortete Staatsmann und die schöne Bürgerliche – das klingt nach einer gar nicht so schlechten Kombination. Das Erstaunliche ist nur: Bisher klappt es noch nicht so richtig. Die Grünen sind obenauf, speziell seit sie in Niedersachsen die sechste Regierungsbeteiligung seit Frühjahr 2011 geschafft haben. Doch das liegt nicht am Spitzenduo.

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Das Potenzial: An sich ist die stilistische Strategie nicht schlecht erdacht. Was Göring-Eckardt in noch stärkerem Maße als Kretschmann ausstrahlt, ist eine Verfeinerung der traditionellen grünen Werte in den gelebten bürgerlichen Alltag hinein. Kinder, Küche, Kirche – aber irgendwie modern. Und dann hat sie sich für die zwischen Grünen, SPD und Linkspartei wandernde Kundschaft auch noch als linke Sozialpolitikerin neu erfunden, die für Kindergrundsicherung und gegen Altersarmut kämpft. „Anwältin der Ärmsten“ nennt die Parteifreundin Steffi Lemke sie neuerdings. Dieses Label kann in der großen Welt als Lob verstanden werden; in der kleinen Grünen-Welt aber als angemessener Hohn. Den goutieren Gegner Göring-Eckardts; sie tun gern so, als hätte sie in ihrer Zeit als Fraktionschefin die verhassten Arbeitsmarktreformen der rot-grünen Regierung („Hartz IV“) ganz allein durchgepeitscht.

Aber diese parteiinterne Porträtierung ist für den Wahlerfolg egal. Und man mag ja gar nicht glauben, dass es so was je gab, wenn sie heute auftritt: Die Reden und Slogans sind zwar von der Gerechtigkeitsstange, aber sie wirkt fraulicher als die meisten Spitzenpolitikerinnen und verströmt Empathie. Sie ist besser angezogen als Grünen-Frauen der Generation über ihr. Das liegt nicht an den Marken, sondern an ihrer Stilsicherheit und der Vermeidung maximaler Kontrastfarben. Den schrillen Weltverbesserungsanspruch der von ihr abgelösten Moralsirene Roth ersetzt sie durch eine leise Achtsamkeit gegenüber ihrer direkten Umwelt. „Zuhören“ – das wird ja jetzt verstärkt nachgefragt, und damit wirbt sie für sich.

Die Umsetzung: Die Frage ist, wie weit man damit in den Wahl-Casting-Shows von Jauch, Illner oder Will kommt. Da kann man ihr jetzt ab und zu beim Zuhören zusehen. Das große Wort führt sie nie, pseudoempörte Interventionen werden ebenfalls vermieden. Dafür wägt sie gern den Kopf nachdenklich hin. Und her.

Das ist zwar vorteilhaft, weil viele Leute das Krakeelen und Nölen gründlich satthaben. Doch andererseits bleibt immer die Frage offen, was sie eigentlich zum Thema sagt. Was ist der Unterschied zwischen ihr und den anderen Politikern in der Arena?

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Dieses Problem wird parteiintern indes nicht so kritisch beäugt wie die Inszenierungsirrungen ihres Ko-Spitzenkandidaten Jürgen Trittin, 58. Hundertmal hat man ihm erklärt, dass er im Fernsehen nicht so im Sessel lümmeln soll. Sonst hilft auch der gut sitzende Anzug nichts. Das Restgrinsen würde man ihm gern auch noch vollends abgewöhnen, da es der Wähler angeblich als überheblich oder gelangweilt wahrnimmt. Von der Wählerin gar nicht zu sprechen. Aber dann sitzt er nach dem Niedersachsensieg im Fernsehstudio und tauscht seine neue Rolle des kompetenten Weltenlenkers doch wieder gegen die berüchtigte Trittin-Action ein. Einen „Rückfall“ nennen andere Grüne es und „unmöglich“, wenn er wieder genauso losledert, wie man das früher halt gemacht hat in den rot-grünen Jahren, als er den Angreiferpart besetzte. Die stumme Bürgerliche und der Biest – so haben sich die Grünen ihr Traumpaar nicht vorgestellt.

Die Aussichten: Trotz der bisherigen Probleme in der Ausgestaltung bleibt die Grundkonstellation günstig. Zwei Geschlechter, zwei Politiker-Entwürfe und zwei Hauptthemen des Wahlkampfs (Gerechtigkeit und Finanzkrise) sind abgedeckt, und zusammen können Göring-Eckardt und Trittin das darstellen, was Letzterer begrifflich als „grüne Mitte“ besetzen will, den neuen bürgerlichen Mainstream, für den Energiewende, Mindestlohn und Homoehe genauso zum Werteportfolio gehören wie Pünktlichkeit, Anstand und Tischmanieren. Kann man so nicht die Linkspartei marginalisieren, bei der Union wildern und dann mit dem gewünschten Koalitionspartner SPD regieren?

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Göring-Eckardts Lieblingsslogan lautet „Grün oder Merkel“. Der Haken daran ist: Deutschland sieht das nicht so. Die Mehrheit will Merkel derzeit ja gar nicht loswerden, nur die FDP. Und gerade auch linke Teile der Grünen sind alles andere als begeistert vom SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück. So geht es hauptstadtstrategisch weniger darum zu regieren – und mehr darum, „glaubwürdig“ zu bleiben, wie das intern genannt wird.

Trotzdem, man weiß ja nie: Wenn Trittin sich verlässlich zusammenreißt statt siegesgewiss herumzuflegeln und Göring-Eckardt neben dem Zuhören auch noch „inhaltsstärker argumentiert“, wie ein Insider sagt, dann … Neuerdings darf auch die Spitzenkandidatin bei den montäglichen Presseterminen in der Berliner Grünen-Zentrale auftreten. Unlängst blickten Reporter der Nachrichtenagenturen nach einem solchen Termin mit Göring-Eckardt ganz verzweifelt auf ihren Block. Am Ende ging folgende Nachricht um die Welt: „Grüne optimistisch“

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