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SPD - Ein heikles Unterfangen

Der Parteikonvent der SPD hat Sondierungsgesprächen mit der Union über eine Große Koalition zugestimmt. Am Ende sollen alle 470.000 SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen. Kann die Parteiführung die unzufriedene Basis damit beruhigen und in die Große Koalition führen?

Autoreninfo

Bachelor in Politik- und Kommunikationswissenschaft. Studiert Internationale Beziehungen im dänischen Aarhus.

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Genossin Birgit Monteiro will mitreden. Über die Zukunft der SPD. Doch zwischen ihr und den 200 Delegierten des SPD-Parteikonvents spannt sich ein rot-weißes Absperrband. Das bunte Grüppchen aus rund 50 Basismitgliedern muss vor der Tür des Willy-Brandt-Hauses bleiben. Ihren Ärger trillern sie in die Luft. Ein Parteimitarbeiter, der die Delegierten zum Konvent lotst, hält sich die Ohren zu.

Monteiro greift zum Megafon. Die 44-Jährige sitzt für die SPD im Berliner Abgeordnetenhaus. Mit dunklen, kurzen Haaren, rahmenloser Brille und dunkelrotem Halstuch stimmt sie die unzufriedenen Genossen auf die Demonstration ein. „Wir nehmen unsere eigenen Losungen ernst,“ sagt sie, „das Wir entscheidet.“ Monteiro und ihre Mitstreiter wollen erreichen, dass der Parteivorstand die Basis darüber entscheiden lässt, ob die Sozialdemokraten mit Angela Merkel koalieren sollen.

Fünf Stockwerke weiter oben, im Hans-Jochen-Vogel-Saal, ist Monteiros megafonverstärkte Stimme allenfalls ein dumpfes Rauschen im Hintergrund. Gehört wird sie trotzdem. Denn die Parteiführung um Sigmar Gabriel weiß, dass seine Genossen nichts mehr fürchten als in Muttis inniger Umarmung zu ersticken. Merkels ausgestreckte Hand will Gabriel nicht wegstoßen. Gleichzeitig muss Gabriel selbst die Hand ausstrecken. Hin zur enttäuschten Basis. Packt der Vorsitzende beherzt zu oder streift er schlapp die Fingerkuppen? Darum geht es bei diesem Parteikonvent.

„Nein zur Großen Koalition“

Mehrheitlich stehen die SPD-Mitglieder einer Zusammenarbeit mit der Union skeptisch gegenüber. Vor allem in den Landesverbänden und in Arbeitsgemeinschaften wie die der Sozialdemokratischen Frauen oder der Lesben und Schwulen in der SPD überwiegt die Skepsis. Eine moderne Gleichstellungspolitik sei mit der Union nicht zu machen.

Bei der Demo vor dem Willy-Brandt-Haus drückt eine stämmige SPD-Frau aus dem Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg Teilnehmern und Journalisten Zettel in die Hand. In fetten Lettern prangt die Titelzeile auf dem Blatt: „Nein zur Großen Koalition.“ Als ein Polizist die Zettelspenderin fragt, warum sie gegen eine Koalition mit der Union ist, zieht sie nach wenigen vorgetragenen Gründen ein drastisches Fazit für den Fall, dass der Vorstand für die Große Koalition plädiert: „Die Basis wird dann von der Parteiführung vergewaltigt.“

Demo-Organisatorin Monteiro, früher Mitglied in der PDS, ist selbst gegen eine Große Koalition. Sie wählt sanftere Töne. Die Partei müsse zunächst herausfinden, warum sie am Wahlsonntag schlecht abgeschnitten habe. Monteiro will, dass die Beschlüsse zur Stärkung der innerparteilichen Demokratie nun eingehalten werden.  „Die Partei muss sich wandeln“, fügt die Berliner Abgeordnete hinzu. Dazu gehörten auch personelle Konsequenzen in der Parteiführung.

Während Monteiro spricht, schiebt der Parteimitarbeiter, der sich zuvor noch die Ohren zuhielt, einen Servierwagen in Richtung Basis-Demo. Dampfender Kaffee gegen die Herbstfrische. Eine Nachricht reicht der Mann noch dazu: Jeder Genosse, der wolle, könne sich während des Konvents im Besucherforum aufhalten. Darf die Basis jetzt doch herein? Monteiro posaunt die frohe Kunde. Zufriedener Beifall.

Dann die Ernüchterung: Im Forum dürfen sich die Mitglieder zwar aufhalten. Doch was die Delegierten fünf Stockwerke weiter oben besprechen, hören sie nicht. Der Ton wird nicht live übertragen. „Dann können wir das lassen“, zischt Birgit Monteiro. Eine halbe Stunde später haben die Basis-Demonstranten ihre Plakate eingerollt. Der Kaffeewagen steht schon längst wieder hinter verschlossenen Türen. Dort, im hellen Atrium, warten nun die Journalisten auf Informationshappen, die einzelne Delegierte zwischendurch nach unten tragen.

Peer Steinbrück zieht sich zurück. Die Delegierten sind dafür, erste Gespräche mit der Union zu führen, falls das Angebot kommt. Ralf Stegner sagt, die SPD sei keine „Discount-FDP“. Und allmählich wird klarer, dass Sigmar Gabriel die Hand weit gen Basis streckt. Vor zwei Dutzend Fernsehkameras verkündet der SPD-Vorsitzende, dass der Parteikonvent nach Sondierungsgesprächen über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entscheiden soll.

Sollte es zu Verhandlungen kommen, entscheiden am Ende die mehr als 470.000 Parteimitglieder über den Koalitionsvertrag. „Jedes Mitglied hat eine Stimme“, sagt Gabriel. Die Basis darf entscheiden, ob sich die Inhalte des Wahlprogramms in einem möglichen Koalitionsvertrag wiederfinden. Und dort stand einiges, was den Christdemokraten kaum schmecken wird: Erhöhung des Spitzensteuersatzes, Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes, Bürgerversicherung. Das Ergebnis der Mitgliederbefragung ist bindend.

Ein heikles Unterfangen

Sigmar Gabriel zeigt sich in seiner Ansprache selbstbewusst: Schwarz-Gelb sei abgewählt. „Wir haben einen Auftrag für einen Politikwechsel.“ Die Partei habe weder Angst vor Regierung noch vor Opposition noch vor Neuwahlen. Mit ihrem Beschluss setzt die SPD die Union in den Sondierungsgesprächen und den sich anschließenden Koalitionsverhandlungen unter Druck. Gabriel kann dort immer auf die Erwartungen der SPD-Mitglieder verweisen und Merkel muss liefern, muss Zugeständnisse machen. Aber auch für die SPD-Führung ist eine Mitgliederbefragung ein heikles Unterfangen.

Mit dem Beschluss des Konvents ist die Berlinerin Birgit Monteiro zurückhaltend zufrieden. „Ein Mitgliederentscheid ist ein erster Schritt.“ Wichtig sei jetzt, dass beim nächsten Parteikonvent die Parteiöffentlichkeit hergestellt werde. Bedeutet: Mehr Mitsprache für die Basis jenseits des Delegiertensystems.

Sigmar Gabriel muss nun zeigen, dass er die SPD führen und gleichzeitig seine Genossen mitnehmen kann. Zu seinen politischen Stärken gehörte dies bislang nicht. Nicht nur die zukünftige Regierung dieses Landes sondern auch seine eigene politische Zukunft hängt nun von einem Mitgliedervotum in der SPD ab. Gabriel langt nach der Hand der Basis. Diese packt zögerlich zu. Lässt sie los, fällt Gabriel um.

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