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Nach der Wahl - SPD zweifelt an großer Koalition

Nicht nur das eigene schlechte Abschneiden nagt am Wahlabend am Selbstbewusstsein der SPD. Denn völlig unklar ist, ob die SPD überhaupt für eine Regierungsbildung gebraucht wird

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Monath, Hans

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Ein paar Mal sind an diesem historischem Wahlabend im Willy- Brandt-Haus Freudenschreie zu hören, aber es ist bestimmt keine Freude über die eigene Stärke. Der erste Jubel der Genossen um 18 Uhr ist sogar einem blöden Irrtum geschuldet: Als in der ersten Hochrechnung der CDU-Balken auf dem großen Bildschirm bei 33 Prozent stehen bleibt, fangen etliche Sozialdemokraten im Foyer der Parteizentrale an zu klatschen.

Das ist verfrüht, wie sie schnell merken. Denn ihr Applaus erstickt urplötzlich, als Sekunden später die CSU-Werte dazukommen und das Unionsergebnis auf insgesamt 42 Prozent steigt. Verfrüht, das wird schnell klar, war auch die Hoffnung, die schwarz-gelbe Regierung durch eigene Stärke abzulösen.

Schadenfreude kann die Depression bei der SPD nicht vertreiben

Die 26 Prozent für die eigene Truppe in der ersten Prognose begleitet dann ein leises Aufstöhnen. Nur der FDP-Wert von 4,8 Prozent, der die Liberalen aus dem Bundestag katapultiert, bringt die SPD-Anhänger noch einmal in Wallung. „Das ist gerecht“, ruft ein älterer Mann mit weißen Haaren und klatscht in diesem Moment so begeistert wie die Mehrheit der rund 1500 Gäste im Foyer und in den Zelten vor dem Willy-Brandt-Haus.

Das Schauspiel wiederholt sich bei jeder Hochrechnung und Prognose, die die Liberalen unter fünf Prozent sieht. Doch auch die Schadenfreude vertreibt die Apathie und Depression nicht mehr, die sich unter den SPD-Anhängern breit macht: Mit leeren Blicke schauen sie auf die Bildschirme, auf denen Angela Merkels Triumph vorüberzieht, viele pressen die Lippen zusammen, kauen auf den Nägeln oder streichen sich wie abwesend mit den Fingern über das eigene Gesicht. „Süßsauer“ nennt Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil wenig später das Ergebnis, aber in Wirklichkeit ist es wohl schlimmer.

Als vierzig Minuten nach Schließung der Wahllokale der Kanzlerkandidat mit dem Parteichef die Bühne betritt, geht noch einmal ein Ruck durch den Saal. Manche rufen „Danke, Peer!“, der demonstrativ heftige Applaus klingt nach Trotz und Achtung vor der Leistung des eigenen Spitzenkandidaten Peer Steinbrück, der bis zuletzt tapfer kämpfte.

Parteichef Sigmar Gabriel spricht als Erster. „Ja, wir haben zugelegt, aber wir haben uns mehr erwartet“, sagt er und lobt, Steinbrück habe einen „fantastischen Wahlkampf“ gemacht. Dann wendet er sich zum Kandidaten und sagt: „Du bist ein Pfundskerl!“

Die Nachfolger für Peer Steinbrück und Sigmar Gabriel stehen schon bereit

Steinbrück und Gabriel sind nicht allein auf die Bühne gekommen. Die Männer und Frauen, die neben ihnen stehen und ebenfalls sehr ernste Mienen aufgesetzt haben, sollen ihnen in diesem Moment wohl den Rücken stärken. Aber manche von ihnen muss Parteichef Gabriel angesichts des mageren Zuwachses nun fürchten. Mehrere Wochen war die erweiterte Parteispitze aufgeschreckt von dem Gerücht, bei einem schlechten Abschneiden wollten die Parteivizes Hannelore Kraft und Olaf Scholz gemeinsam mit Schatzmeisterin Barbara Hendricks und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier den Parteichef ablösen, dessen Unstetigkeit viele in der SPD nervt.

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Gabriel selbst soll auch seine Generalsekretärin Andrea Nahles verdächtigen, sich von der Intrige nicht genügend distanziert zu haben. Der Hamburger Scholz hatte seiner Partei vor zwei Wochen in einem Interview empfohlen, in der heißen Phase des Wahlkampfes mehr auf Wirtschaftskompetenz zu setzen. Womöglich wird der Gedanke noch einmal eine Rolle spielen, wenn die SPD debattiert, ob sie im Wahlkampf der Mitte genügend Angebote gemacht hat.

Weil in den Wochen vor der Wahl die SPD-Werte stiegen und die Parteilinke ankündigte, sie werde für Gabriel kämpfen, galt der Machtkampf als erledigt. Nun könnte er wieder aktuell werden. Jedenfalls klingt es wie ein Versuch der Selbstverteidigung, als Gabriel auf der Bühne Steinbrück dafür lobt, dieser habe es allen gezeigt: „Das ist deine Partei, und du bist unser Kandidat.“ Denn auch der Parteichef, der Steinbrück ausgesucht hat, trägt Verantwortung für dessen Abschneiden. Viele hatten angesichts des Kampfeswillens der eigenen Aktivisten, nach einem starken Schlussspurt mit mehr als vier Millionen Hausbesuchen mehr erwartet.

Das Kapitel Kanzlerkandidatur ist für Steinbrück beendet

Auch Steinbrück selbst hielt noch vor wenigen Tagen ein Ergebnis von 30 Prozent für machbar. Nun ist das Kapitel Kanzlerkandidatur für ihn beendet. Er steht auf der Bühne und scheint gerührt durch das Lob und den Applaus, er schluckt, seine Augen schimmern feucht. Immer wieder zeigt er mit nach oben gedrehten Handflächen ins Publikum, freut sich über den „warmherzigen Empfang“ und sagt: „Er tut mir sehr gut.“

Völlig unklar ist in diesem Moment noch, ob die SPD überhaupt für eine Regierungsbildung gebraucht wird. Steinbrück mahnt sicherheitshalber seine Partei, keine Spekulationen über die Regierungsbildung anzustellen: „Der Ball liegt im Feld von Frau Merkel“, sagt er. Es sei „nicht völlig ausgeschlossen“, dass die SPD ein Wahlziel noch erreiche, „dass nämlich die schwarz-gelbe Regierung völlig vom Platz gefegt wird.“ Erst als die SPD-Spitze längst wieder ins Sitzungszimmer im sechsten Stock gefahren ist, melden die ersten Hochrechnungen eine mögliche absolute Mehrheit der Union. „Das ist der Mega-Gau“, kommentiert ein gut vernetzter Sozialdemokrat.

Plötzlich sind all die Planspiele für eine Neuauflage der großen Koalition infrage gestellt, die viele in der SPD trotz aller rot-grünen Siegesrhetorik längst angestellt hatten. Die Parteilinke hatte gar schon einen Forderungskatalog mit Bedingungen an die Union ausgearbeitet, in dem sie den Mindestlohn von 8,50 Euro, höhere Steuern für Reiche und ein Ende des Betreuungsgelds auflistete. Nun besteht nur noch die vage Möglichkeit, dass die SPD von Merkel zu Gesprächen über eine Regierungsbeteiligung aufgefordert wird. Doch dass ihre Partei noch einmal zum „Steigbügelhalter von Merkel wird“, wie Steinbrück das einmal ausgedrückt hat, das können sich zumindest viele Vertreter des linken Parteiflügels nun nicht vorstellen.

Die SPD muss nun abwarten, ob Angela Merkel sie zum Regieren auffordert

Und Steinbrück? Der Kandidat, der vor dem 22. September angekündigt hatte, er würde im Fall von Koalitionsverhandlungen noch Wochen „im Fahrersitz“ bleiben wollen, reagiert in der „Berliner Runde“ auf die mögliche absolute Mehrheit der Union. „Meiner Partei würde ich dann raten, nicht für eine große Koalition zur Verfügung zu stehen, sondern in die Opposition zu gehen“, sagt er. Welche Rolle er selbst spielen wird, darüber verliert er kein Wort. Im Willy-Brandt-Haus hat er vieldeutig gesagt: „Ich werde auch in Zukunft für diese SPD immer bereit sein.“

Nicht nur eine möglicherweise notwendige Entscheidung über die Regierungsbildung im Bund dürfte für die SPD schwierig werden, sofern sie von der CDU-Chefin überhaupt gefragt werden wird. Denn in Hessen steht der sozialdemokratische Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel vor der Frage, ob er eine Zusammenarbeit mit der überraschend in den Landtag eingezogenen Linkspartei ausschlagen und stattdessen die Juniorpartnerschaft mit dem bisherigen CDU- Ministerpräsident Volker Bouffier wählen will. Wenig spricht für die Möglichkeit, dass Schäfer-Gümbel dann ohne enge Abstimmung mit der Parteispitze in Berlin agieren kann. Denn eine rot-rot- grüne Regierung in Wiesbaden, die CDU und CSU als Tabubruch verurteilen dürften, würde eine Koalition von Union und SPD im Bund gänzlich unmöglich machen. Der hessische Spitzenkandidat hat sich jedenfalls vorgenommen, am Montagmorgen schon um 6.45 Uhr die Maschine nach Berlin zu nehmen.

Dort beraten dann die Parteigremien. Auch eine kontroverse Fehleranalyse dürfte wenig daran ändern, dass die SPD nun abwarten muss, ob Merkel sie überhaupt zum Regieren auffordert. Bevor am Freitag der Parteikonvent tagt, dürfte zumindest diese Frage geklärt sein.

 

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